Musik
5. Sinfoniekonzert: Cello mit weiblicher Perspektive
„Reprise classique“ – „klassische Wiederaufnahme“ hat man das 5. Sinfoniekonzert der Augsburger Philharmoniker benannt. Reprise? Aus der Sicht der Zuschauer gab es in dem Programm nur zur Hälfte „Wiederaufnahme“ von Bekanntem. Dafür viel zu entdecken. Das liegt wohl an der Cellistin Raphaela Gromes, Opus Klassik-Preisträgerin und in dieser Spielzeit „artist in residence“ bei den Philharmonikern.
Von Halrun Reinholz
Seit Jahren setzt sie sich für die Aufführung der Werke von Komponistinnen ein, die sie akribisch ausgräbt und ihre Entdeckungen in allen ihren bisherigen Alben der Öffentlichkeit präsentiert. Ihr jüngstes Doppelalbum „Femmes“ hat dies zum Programm erhoben, es versammelt 23 herausragende Komponistinnen aus neun Jahrhunderten.
Die Philharmoniker mit Ivan Demidov am Dirigentenpult nahmen die Herausforderung an und präsentierten dem Augsburger Konzertpublikum mit Marie Jaells Violoncello-Konzert und Louise Farrencs Sinfonie Nr. 3 ganz neue Perspektiven auf die Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Flankiert wurden diese beiden Komponistinnen-Werke sozusagen paritätisch vom 1. Violoncello-Konzert von Camille Saint-Saens und dem (für die Parität programmatischen?) „Flirt“ der einführenden Ouvertüre zu „Béatrice et Bénédict“ von Hector Berlioz. Zeitlich wie räumlich bewegte sich das Programm also ausschließlich im Paris des 19. Jahrhunderts, wenn auch die 1804 geborene Louise Farrenc, als Professorin für Klavier am Pariser Conservatoire sicher eine Ausnahmeerscheinung ihrer Zeit, eine ganze Generation älter ist als Marie Jaell. Louise Farrenc stammte aus der Maler- und Bildhauerfamilie Dumont, die ihre künstlerischen Ambitionen bedingungslos unterstützte, auch mit privatem Kompositionsunterricht, der ihr am Pariser Konservatorium als Frau verwehrt war. Ihr Mann Aristide Farrenc war Flötist, hatte aber auch einen Musikverlag, was für ihren Erfolg als Komponistin nicht unerheblich war. Bemerkenswert, dass sie sich an das Format der Sinfonie gewagt hatte, derer sie gleich drei schrieb. Der Musikkritiker Théophile Gauthier bescheinigte ihrer 3. Sinfonie „das Niveau der größten Meister“, was an diesem Konzertabend für das Augsburger Publikum nachvollziehbar schien.
Auch die zweite Komponistin des Abends, die 1846 geborene Marie Jaell, hat eine bemerkenswerte Biografie vorzuweisen. Sie trat zusammen mit ihrem Mann Alfred Jaell als gefeierte Pianistin auf und ließ sich von Camille Saint-Saens in Komposition unterrichten. Als eine der ersten Frauen wurde sie 1887 in den Pariser Komponistenverband aufgenommen. Auch als Klavierpädagogin war sie herausragend.
Eine reizvolle Idee der Programmacher dieses Konzertabends, gleich zwei Cello-Konzerte mit der Star-Cellistin Raphaela Gromes ins Programm zu nehmen. Erst die Schülerin Marie Jaell, nach der Pause dann den „Lehrer“ Camille Saint Saens.
Doch bei aller Kontinuität machte gerade die Gegenüberstellung deutlich, wie eigenständig die Klangsprache von Marie Jaell ist. „Stünde der Name eines Mannes auf ihren Partituren, sie würden in ganz Europa gespielt.“ Mit diesen Worten hat Franz Liszt sich anerkennend über die Komponistin geäußert. Diese lebte nach dem Tod ihres Mannes eine Weile in Weimar, wo sie engen Kontakt zu Liszt und der örtlichen Musikszene pflegte und wo auch das Violoncello-Konzert entstand.
Der Applaus des Augsburger Konzertbesucher galt natürlich hauptsächlich dem virtuosen, ausdrucksstarken Spiel von Raphaela Gromes. Als Zugabe überraschte sie das Publikum mit einer weiteren französischen Komponistin des 19. Jahrhunderts: Pauline Viardot-Garcia. Wie beim letzten Sinfoniekonzert bezog sie auch jetzt wieder Streicher aus dem Orchester in die Zugabe mit ein. Ein bemerkenswerter Konzertabend, der zur Erweiterung des musikalischen Horizonts beigetragen hat. Man darf gespannt sein, welche weiblichen Perspektiven die „Residenzzeit“ der jungen Cellistin noch zu bieten hat.