Pflegeskandal
Seniorenheim Ebnerstraße: Die Vorkommnisse sind menschenverachtend
Die Stadt Augsburg versuchte im vergangenen Stadtrat bei der Causa Ebnerstraße sich in den “Status einer Nichtzuständigkeit” zu flüchten, da es sich um eine “übertragene Staatsaufgabe” handle, so OB Eva Weber, die jedoch zugleich mehrmals darauf hinwies, dass der Augsburger Gesundheitsreferent Reiner Erben der “höchste Heimaufseher” sei. Merkwürdig ist es in diesem Zusammenhang auch, dass die Stadt kurz nach Bekanntwerden der Missstände durch die Medien das Heim schloss und nicht der Freistaat.
Die Opposition im Augsburger Stadtrat sieht in der Mehrheit die Verantwortung ohnehin bei der Stadt. “Dennoch darf man die Aufarbeitung der menschenverachtenden Vorkommnisse im Seniorenheim Ebnerstraße nicht nur dem Gesundheitsreferat überlassen”, so die SPD-Stadträtin Jutta Fiener auf Anfrage zur DAZ. Man dürfe aber auch nicht mit einem Schnellschuss nach mehr Bürokratie rufen, sondern müsse das Thema schonungslos aufarbeiten und dann die notwendigen Schlüsse ziehen.
Ob sie denn für die DAZ eine Positionierung verfassen möchte, die dem Geist der 41 SPD-Fragen entsprechen. “Natürlich sehr gerne” so Fiener, die als sozialpolitische Sprecherin der sozialen Fraktion tief im Thema Pflege verankert ist.
Gastbeitrag von Jutta Fiener
Die Vorkommnisse im Seniorenheim Ebnerstraße sind schockierend und menschenverachtend! Wir können das Geschehene nicht rückgängig machen, aber wir haben die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass so etwas in Zukunft nie wieder passiert! Und dafür müssen die Vorgänge gründlich aufgearbeitet werden – denn es gab nicht nur erhebliche Mängel in der Einrichtung, sondern auch erhebliche Mängel bei den verantwortlichen Aufsichtsbehörden. Es geht hier in erster Linie nicht darum, Schuldige zu suchen, sondern darum, die notwendigen Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen.
Wir wissen von einer Anzahl von Prüfungen und Beratungen, die vor Ort stattgefunden haben und dass dabei erhebliche Mängel festgestellt wurden. Daraus ergeben sich Fragen wie:
- Welche Konsequenzen hatten die Ortstermine?
- Was ist aus Sicht der Heimaufsicht falsch gelaufen und inwieweit braucht sie eine bessere Ausstattung und Rückendeckung – d.h. ist die Heimaufsicht personell in qualitativer und quantitativer Hinsicht ausreichend besetzt?
Man muss jedoch gar nicht erst im Seniorenheim selbst gewesen sein, um zu erkennen, dass die Einrichtung die nötige Versorgung und Pflege schlicht nicht leisten konnte. Dazu genügt vielmehr ein Blick in die Pflegevergütung, die man dem Internet entnehmen kann. Für seriöse Heime in Augsburg bezahlt man monatlich etwa 3100 Euro und nicht 1600 Euro wie im Seniorenheim Ebnerstraße. Die Differenz zwischen Ebnerstraße und anderen Heimen beträgt also 1500 Euro pro Monat und diese Differenz rührt in erster Linie aus den Kosten, die für „pflegebedingte Aufwendungen“ bezahlt werden. Wir sprechen hier über Personalkosten und Pflegematerial.
Bei Dumpingpreisen kann die Pflege nicht gesichert sein
Das bedeutet zwangsläufig, dass die Pflege nicht gesichert sein konnte! Um hier nochmals eine Summe zu nennen: Für „pflegebedingte Aufwendungen“ wurden in der Ebnerstraße 373 Euro veranschlagt. In Einrichtungen anderer seriöser Träger sind es etwa 1600 Euro. Andere Träger berechnen mehr als das Vierfache (!) und es geht hier wohlgemerkt nicht darum, Gewinne zu erwirtschaften.
Die beunruhigende Frage lautet demnach: Wie kann eine Einrichtung, die Pflege zu Dumpingpreisen anbietet und damit Leistungen bewirbt, die objektiv so nicht zu leisten sind, eine Zulassung und einen Versorgungsvertrag mit den Kassen erhalten? Und wie konnten Sozialleistungsträger Menschen einer solchen Einrichtung zur Pflege anvertrauen?
Wie viele Fachkräfte sind tatsächlich vor Ort?
Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgabe der Fachkraftquote von 50 Prozent ist teuer. Im Seniorenheim Ebnerstraße musste aber „gespart“ werden – und wo spart man? An Personalkosten. Angesichts des allgemeinen Notstandes an Pflegepersonal verursacht die schlechte Bezahlung massive Schwierigkeiten.
Daraus ergeben sich weitere Fragen, die nicht weniger beunruhigend sind: Hat die Heimaufsicht die Qualifikationsunterlagen der Mitarbeitenden, die auf dem Dienstplan stehen, angeschaut? Wie viele Fachkräfte sind tatsächlich vor Ort und nicht nur auf dem Papier präsent oder dauerhaft krank?
Der Dumpingpreis für die „pflegebedingten Aufwendungen“ ist nur haltbar durch systematische Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse – und dabei geht es längst nicht nur darum, dass geputzt wird, wenn sich ein Besuch der Heimaufsicht ankündigt.
Pflegemängel und ihre Vertuschung sind hier immanent!
Dass die Bewohner und Bewohnerinnen endlich verlegt werden konnten, ist ein großer Verdienst vieler helfender Hände von Pflegekräften, die eingesprungen sind, von Sanitätsdiensten innerhalb der Trägerlandschaft, der städtischen Altenhilfe, der AWO, der Caritas, der Diakonie, dem SKF und von allen engagierten Trägern sowie den Mitarbeitenden in den zuständigen Referaten. Hier kann man nicht oft genug von ganzem Herzen Danke sagen! — Fadenscheinig und fragwürdig ist allerdings, dass die Verlegung ausschließlich mit Corona bedingten Personalausfällen begründet wurde.
Was ist zu tun?
So viel zu den Geschehnissen. Was ist jetzt zu tun? Die ganzen Vorgänge um dieses Seniorenheim müssen systematisch aufgearbeitet werden, um festzustellen, warum es so weit kommen konnte und wie dies in Zukunft verhindert werden kann. Dies darf dem Referat nicht selbst überlassen bleiben. Ein ganzer Fragenkomplex muss dazu abgearbeitet werden.
Die SPD/Die Linke-Fraktion hat 41 Fragen zu vier Themenbereichen formuliert. Fragen zur Personalsituation, zur Pflege, zur Ausstattung und den Ressourcen sowie zu den Möglichkeiten und Grenzen der Heimaufsicht bzw. der Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA). Diesen Fragenkatalog haben wir dem zuständigen Referenten schriftlich zukommen lassen und um zeitnahe schriftliche Beantwortung gebeten. Erst daraufhin können wir die notwendigen Schlüsse in der Rolle der Heimaufsicht im Zusammenhang mit der Ebnerstraße ziehen.
Wir haben eine besondere Verantwortung gegenüber älteren Menschen, die in vielen Heimen gut versorgt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass einige tiefschwarze Schafe in der Altenpflege aus Profitgier die gesamte Branche immer wieder negativ in die Schlagzeilen bringen. Wir sollten daher nicht mit einem Schnellschuss nach mehr Bürokratie rufen, sondern die Fragen sauber abarbeiten und dann die notwendigen Schlüsse ziehen! (Jutta Fiener)