Friedenskundgebung in Augsburg
Am Freitagabend setzten zirka 2.500 Menschen auf dem Augsburger Rathausplatz ein Zeichen der Solidarität mit den vom Krieg in der Ukraine betroffenen Menschen. Im Anschluss an die Versammlung fand eine Gesprächsrunde im Rathaus statt.
Von Bernhard Schiller
Zwischen 1.500 und 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten auf dem Augsburger Rathausplatz ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und allen, die von dem russischen Angriffskrieg betroffen sind. Kinder hielten selbstgemalte Plakate mit Friedenstauben in die Höhe. Ein einzelner Kommunist schwenkte eine rote Fahne mit Hammer und Sichel. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist zahlenmäßig stark vertreten. Vor allem aber sind Nationalfarben der Ukraine zu sehen. Das Rathaus und das Gebäude der Stadtverwaltung erstrahlen in Gelb und Blau.
Es gab viele Reden. Alle Augsburger Bundestagsabgeordneten kamen zu Wort. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen) fordert die Kunst- und Kultureinrichtungen auf, ukrainische Kunst zu zeigen, das Leben der Menschen in der Ukraine auf diese Weise zu erhalten. Denn „Vergessen tötet,“ so Roth. Ihr Kollege Volker Ullrich (CSU) forderte die Beschlagnahmung der Oligarchenyachten, um sie geflüchteten Kindern für Erholungsfahrten zur Verfügung zu stellen. Ulrike Bahr (SPD) betont die neu beschlossene Aufrüstung Deutschlands. Maximilian Funke-Kaiser (FDP) die westlichen Werte.
Der mennonitische Prediger Wolfgang Krauß verlas eine Stellungnahme des Runden Tischs der Religionen Augsburg, dessen Sprecher er ist. Der Runde Tisch der Religionen ist ein Gremium der Friedensstadt Augsburg, dem Vertreter der meisten in der Stadt vorhandenen Glaubensgemeinschaften und Konfessionen angehören. Krauß hob hervor, dass der hiesige Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche, Georg Neumann, den Krieg ausdrücklich verurteilt.
Didem Karabulut, Vorsitzende des Augsburger Integrationsbeirats betonte die Werte der Freiheit und der Solidarität durch ein Zitat des türkischen Lyrikers Nazim Hikmet.
Eine Schweigeminute für die Toten des Krieges und ein in ukrainischer Sprache gesungenes Gebet vereinen die Menschen auf dem Rathausplatz in Mitgefühl und Solidarität.
Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber versicherte den in Augsburg lebenden Menschen aus der Ukraine, dass sie ein fester Teil der Stadtgesellschaft sind und diese mit ihnen uneingeschränkt solidarisch ist. Tanja Hoggan-Kloubert vom Ukrainischen Verein Augsburg sagte, sie habe in den letzten Tagen seit Kriegsbeginn die „Stärke der Solidarität“ erfahren. Die Nachricht an alle, die jetzt vom Krieg betroffen sind, laute deshalb: „Du bist nicht allein.“
Im Anschluss an die Kundgebung fand im Oberen Fletz des Augsburger Rathauses auf Einladung des städtischen Friedensbüros und dessen Kooperationspartnern eine Gesprächsrunde statt. Ziel war es, die Geschehnisse in der Ukraine und die Reaktionen in Augsburg einzuordnen: Humanitär, historisch und organisatorisch. Zu diesem Zweck sprachen unterschiedliche Akteure.
Der Moderator:
Professor Christoph Weller ist Friedens- und Konfliktforscher an der Universität Augsburg und moderierte das Podiumsgespräch. Er warnte eingangs vor der Eigendynamik, die Konflikte entwickeln, wenn sich subjektive Wahrnehmungsmuster zu Feinbildern verfestigen.
Der Ukraineverein:
Marina Sidak und Tanja Hoggan-Kloubert sind nicht nur Mitglieder des im Jahr 2019 gegründeten Ukrainischen Vereins Augsburg e.V., sondern vor allem selbst unmittelbar von Russlands Angriffskrieg betroffen. Sidak lebt als Studentin der Sozialen Arbeit seit vier Jahren in Augsburg. Während sie sichtlich gefasst zu den Bürgerinnen und Bürgern im Augsburger Rathaus spricht, hat für ihre Großeltern eine weitere Nacht in einem Luftschutzbunker in Kiew begonnen. Sidak berichtet von russischen Sabotageeinheiten in der ukrainischen Hauptstadt und von „tschetschenischen Bestien in Menschengestalt“, die durch Kiew streifen und morden. „Meine Familie kann nicht fliehen“, erklärt Sidak. Den Krieg führe Russland nicht gegen die Ukraine, sondern „gegen die gesamte westliche Welt“ und deren Werte.
Auch Tanja Hoggan-Kloubert hat Angehörige in der Ukraine. Sie wisse nicht, wie es ihnen geht, da aktuell sämtliche Kontaktmöglichkeiten unterbrochen seien. Hoggan-Kloubert lebt mit ihrer Familie in Augsburg, sie arbeitet am Lehrstuhl für Pädagogik an der hiesigen Universität, ist im Integrationsbeirat der Stadt tätig. Bis vor wenigen Tagen sei sie eine Pazifistin gewesen, habe auch immer gedacht, dass das Böse überwunden werden könne. Das sehe sie nun anders. „Das Böse ist gerade eine atomare Macht“, sagt Hoggan-Kloubert. Diese Macht sei nicht so leicht zu zerstören. Sie ist froh, dass nun auch Waffen in die Ukraine geliefert werden. In einer Welt, in der das Böse siegreich sei, würde sie nicht leben wollen.
Der Krisenmanager:
Michael Gebler, Geschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes in Augsburg, kennt internationale Katastrophenorte aus eigener Einsatzerfahrung. Anders, als etwa bei Naturkatastrophen, gelten bei einem Kriegszustand die Regeln der Genfer Konvention. Diese schreiben dem Roten Kreuz und somit auch Gebler selbst „absolute Neutralität“ vor. Die Genfer Konvention schreibe auch humanitäre Hilfskorridore vor, die laut Gebler schon längst hätten eingerichtet sein müssen. Den Willen, sofort humanitäre Hilfe zu leisten, stellt Geber auch bei den Ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Roten Kreuzes fest, viele würden bereits „mit den Füßen scharren“. Jedoch würden die nun beschlossenen Hilfskorridore keine Sicherheit garantieren. Von selbstorganisierten Transporten an die ukrainische Grenze rät Gebler ab. Oft würden Hilfsgüter nicht dort ankommen, wo sie gebraucht werden oder nicht den tatsächlichen Erfordernissen entsprechen. Sachspenden seien derzeit nicht zielführend, die Lager mit Kleiderspenden seien voll. Jetzt gehe es darum, die Hilfebedarfe zu evaluieren und eine bestimmungsmäßige Verteilung zu organisieren. Die „wirkliche humanitäre Katastrophe“ stehe noch bevor, wenn der Krieg erst einmal zu Ende sei. Dann komme die Aufbauarbeit in der Ukraine, die Jahrzehnte dauern werde. Hierfür, so Gebler, gelte es Ressourcen einzuplanen.
Der Koordinator:
Michael Hegele ist als persönlicher Referent der zweiten Bürgermeisterin Martina Wild für die Organisation und Koordination der Hilfsleistungen verantwortlich. Er würdigte das breite zivilgesellschaftliche Engagement in Augsburg. Wieder einmal, so Hegele, habe sich gezeigt, dass die Behauptung einer Entsolidarisierung in der Gesellschaft nicht zutreffe. Sondern das „genaue Gegenteil“. Schnellstmöglich hätten Bürgerinnen und Bürger Sachspenden und Geld gesammelt, Transporte organisiert. Solidarität sei das, „was diese Stadt kann“. Deren Administration befinde sich aufgrund der Pandemie seit zwei Jahren im Krisenmodus, weshalb die Zusammenarbeit innerhalb der Stadtverwaltung sehr gut funktioniere. Nun komme es darauf an, die Solidarität und die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung zu organisieren und zu strukturieren. Es würden aktuell etwa keine Kleiderspenden gebraucht, vorrangig seien stattdessen Hygieneartikel. Vor allem aber werde es auf einen „langen Atem“ ankommen. Passgenaue Hilfen seien nicht nur sofort, sondern noch wochen- und monatelang erforderlich.
Die Oberbürgermeisterin:
Eva Weber sagt, sie sei „stolz auf Augsburg“ und das, „was wir gerade in Augsburg auf die Beine stellen“. Die Stadtverwaltung sei seit Kriegsbeginn im Krisenmodus. Die Einsatzbereitschaft vieler Augsburger habe in dieser Woche gezeigt, „was für eine großartige Stadtfamilie wird sind“. Die Stadt Augsburg sei ihrer „Rolle als Friedenstadt“ immer gerecht geworden und das Engagement der letzten Tage habe „gezeigt, was eine Friedensstadt kann“.
Der Osteuropaexperte:
Prof. Dr. Guido Hausmann beschrieb das Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland als hierarchisch und als eine Tradition von Herablassung und Respektlosigkeit seitens Russlands. Die beiden Staaten hätten sich über die Jahrzehnte kontinuierlich auseinanderentwickelt. Während in der Ukraine ein schwacher Staat entstanden sei und eine Nationsbildung durch das Volk stattgefunden habe, sei in Russland die Staatsbildung seit jeher von oben erfolgt. Russland und sein Präsident Putin seien, so der Experte, „Gefangene der Geschichte“. Zukunftsideen seien in Russland sehr schwach ausgeprägt und diese visionäre Schwäche würde nun durch Krieg kompensiert.
Einig sind sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gesprächsrunde vor allem in einem Punkt: Der Schock, die Angst, die Trauer und die Wut dürfen nicht in blinde Konfrontation, Schwarz-Weiß-Denken und somit zu Eskalationsspiralen führen. Auch die Menschen in Russland seien Leidtragende. Soldaten ebenso wie diejenigen, die sich mutig der Diktatur entgegenstellen und von ihr geschlagen, verhaftet, eingekerkert werden. Kollektive Schuldzuweisungen seien falsch. Es gelte die Dialogfähigkeit zu erhalten und weiterhin Frieden, Freiheit und Demokratie für die Menschen in der Ukraine, in Europa und weltweit anzustreben.