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Mittwoch, 15.01.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Staatstheater

Die Leiden des kochenden Wutbürgers: „Viel gut essen“ im Alten Rockcafe

„Viel gut essen“, das Stück der Brecht-Preisträgerin Sibylle Berg, entfaltet in der Inszenierung von Dominik von Gunten einen Furor des Hasses und legt dabei die Psychopathologie des Kleinbürgers frei.

Von Halrun Reinholz

Viel gut essen: Windhövel, Prazak, Müller Foto © Jan-Pieter Fuhr

Die sehr begrenzten Plätze im Alten Rock Café scheinen bei dieser Premiere noch um einige weniger zu sein. Seltsam unordentlich stehen die Stühle in zwei Blocks wild durcheinander. Und es sind Drehstühle. Das lässt schon ahnen, dass dieser Theaterabend sich nicht allein auf der kleinen Eck-Bühne abspielt, sondern tatsächlich im ganzen Raum, inklusive der Theke, die nach dem Einlass und Getränkeverkauf plötzlich vollkommen leer ist. Aber nicht lange, denn von hinten kommen drei Männer mit Blümchen-Hemde und weißen Hosen, alle nicht mehr ganz jung, aber scheinbar mitten im Leben stehend und von diesem gezeichnet. Und offenbar leidenschaftliche Hobbyköche, so wie sie Eierpaletten und andere Zutaten hereintragen. Dann wetzen sie riesige Messer und reden sich die Wut aus dem Leib.

Eine guter Einfall von Regisseur Dominik von Gunten, das Ein-Mann-Stück der Brecht-Preisträgerin Sibylle Berg von drei Darstellern verkörpern zu lassen. Die drei agieren im Gleichklang, wenn auch mit Nuancen (die Blümchen-Hemden variieren leicht), aber letztlich geht es Sibylle Berg um den Typus „alter weißer Mann“, dem alles im Leben schief gelaufen ist: Beruf gescheitert, Haus verloren, Frau weg , Sohn verweichlicht und missraten und in der  Nachbarschaft lauern die, die daran schuld sind: „Asylanten“, „Homos“, „Rumänen und Muslime“, „Feministinnen mit Gendersternchen“, „Gutmenschen“ und was sich sonst noch auf dieser bekifften Welt herumtreibt. 

Was bleibt, ist noch die Herrschaft am Herd, („ich liebe Bio-Supermärkte“) und der Plan, die Familie mit einem fantastischen Menü wieder ins rechte Lot zu bringen. Denn man ist sich keiner Schuld bewusst, hat immer alles richtig und ordentlich gemacht. Symbolhaft thronen die drei auf Barhockern und kappsen sich synchron die Zehennägel durch den löchrigen Strumpf.

Das anfangs noch recht sachlich anmutende Klagelied des wehleidigen, vom Leben enttäuschten  Mannes  in der Lebensmitte steigert sich schnell und wird nach und nach zum Furor, zum anklagenden Rundumschlag. Von fern grüßt Gerhard Polt mit seinen Geschichten aus dem richtigen Leben. Kongenial komisch und vielseitig wetteifern Klaus Müller, Kai Windhövel und Thomas Prazak  dabei, sich die Bälle der Wut und des Einvernehmens zuzuwerfen, jonglieren mit den satirischen Spitzen, die Sibylle Berg mit offenkundigem Vergnügen in das Stück komponiert hat.

Zwischen den Schimpf-Tiraden blitzt immer wieder ein kulinarischer Einwurf auf, eine ernüchternde Besinnung auf die Gegenwart, bevor im nächsten Moment die Salve losgeht, etwa wenn sich der blanke Homo-Hass entlädt und die drei Männer die realen Fenster aufreißen um ihren Frust in die Nacht hinaus zu brüllen: „It`s the final countdown!“

Bei solchen Aufführungen wird den Zuschauern bewusst, wie sehr ein Ersatz für den Hoffmannkeller gefehlt hat. Realsatire braucht den Funken, der nur bei direkter Tuchfühlung so wirkungsvoll auf das Publikum überspringt.  Ein hervorragend komponiertes, kräftig gepfeffertes Menü, das da im Rock-Café serviert wird. Bei den Lachsalven ist Vorsicht geboten, die eine oder andere bleibt auch mal im Hals stecken.