Meinung
Kommentar zum VHG-Urteil: Ein Ausrufezeichen für die Stadt, ein Armutszeugnis für die Stadtregierung
Warum die Stadt Augsburg lernen muss das Klimacamp auszuhalten
Kommentar von Siegfried Zagler
Das Augsburger Klimacamp ist, seit Volker Schafitel im politischen Ruhestand ist, eine politische Zumutung erster Kategorie – für die Stadtregierung, für die Stadt und für die meisten Augsburger*innen. Eine Zumutung im besten Sinn, weil die Aktivist*innen des Klimacamps nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass die Stadt Augsburg ihr CO2-Restbudget zu schnell verbraucht und insgesamt – trotz einer grüngeprägten Stadtregierung – eine zu lasche Klimapolitik betreibt. Dabei werden auch die Konsumgewohnheiten aller Bürgerinnen und Bürger hinterfragt.
Doch daran liegt es nicht, dass das Klimacamp vor Ort, aber vor allem in den Leserbriefspalten der Augsburger Allgemeinen und auch in den Kommentarleisten der DAZ angefeindet wird. Es sei eine Schande für die Stadt und auch für die Justiz, dass es nicht möglich sei, diesen “Verhau” im Herzen der Stadt loszuwerden, so der grobmotorige Kanon der Klimacamp-Verächter, die sich offensichtlich über ein paar Quadratmeter unkonventioneller Protestkultur stärker aufregen als über jene große Schandmale der Stadt, die der Stadtrat zu verantworten hat und schleifen lässt, als gäbe es kein Morgen.
Nach wie vor stinkt es aus den Toiletten nicht weniger Schulen, regnet es durch die Dächer, bröckelt der Putz und nicht selten schimmelt es. Das ist eine Schande! Wenig ruhmreich auch, dass der Perlachturm, ein Augsburger Wahrzeichen seit langer Zeit für die Öffentlichkeit gesperrt ist, dass der Augsburger Bahnhof seit gefühlten 100 Jahren in einer Baustelle versinkt, deren Ende nicht abzusehen ist. Dass das große Versprechen des Königsplatzumbaus (Fuggerboulevard) nicht eingehalten wurde und immer wieder verschoben wird. Eine Schande ist es auch, wie die Stadt mit ihren Schwimmbädern umgeht, ebenso wie es eine Schande ist, dass Bürger auf die Barrikaden gehen müssen, damit in Sachen Römermuseum Handlungsbereitschaft entsteht. Und natürlich ist es eine Schande, dass die Stadt es über viele Jahre hinweg zuließ, dass im Sommer von Donnerstag bis Samstag das Nachtflair der Maximilianstraße von einem Partymob dominiert wurde und wird.
Ordnungsreferent Frank Pintsch will sich daran messen lassen, ob es ihm gelingt, das Nachtleben in der Maximilianstraße aus der trostlosen Dunkelkammer der Alkoholexzesse heraus zu führen. Es ist ihm gutes Gelingen zu wünschen.
Doch aktuell quält Frank Pintsch etwas anderes. Er hat sich in Sachen Klimacamp verrannt und muss nun zusehen, dass er, OB Eva Weber und Bürgermeisterin Martina Wild bei ihrer politischen Blamage (Räumungsabsicht Klimacamp im Sommer 2020) wieder die Kurve kriegen.
Momentan sieht es noch nicht danach aus. Obwohl man eigentlich davon ausgehen sollte, dass die Stadt Augsburg keine weitere Beschwerde gegen das VGH-Urteil einlegen wird und auf den Gang zum Bundesverwaltungsgericht verzichtet. Denn auch dort würde wohl eine juristische Klärung ausbleiben – bezüglich der städtischen Befürchtung, dass die Protestform des Klimacamps eine kopierbare Präzedenz herstelle. – Der städtische Räumungsbescheid vom 10. Juli 2020 war rechtswidrig. Ende!
Mit diesem Ausrufezeichen muss die Stadt klarkommen. Dass man wegen Niederlagen vor Verwaltungsgerichten politisch nicht zugrunde geht, könnte man von Alt-OB Kurt Gribl lernen.
Falls die Juristen Eva Weber und Frank Pintsch sich ernsthaft davor fürchten sollten, dass auch Nazis auf der Maximilianstraße campieren könnten, dann müssten sie mit ihren Ängsten vor das dafür zuständige Verfassungsgericht in Karlsruhe ziehen. Jeder blamiert sich eben so gut er kann.
Das gilt besonders für die Augsburger Stadtregierung, die im Grunde keine Stadtregierung ist – so wie die Opposition keine Opposition ist. Und auch der Begriff “Fraktion” oder “Koalition” kommt in der Bayerischen Gemeindeordnung nicht vor, was damit zu tun hat, dass der Stadtrat keine Gesetze erlässt und demnach kein Parlament ist, sondern ein Kollegialorgan an der Spitze der städtischen Verwaltung. Neunzig Prozent der Abstimmungen im Stadtrat werden einstimmig getroffen, ein Enthaltungsrecht bei Abstimmungen gibt es nicht. Wenn Stadträte nicht abstimmen wollen, gehen sie kurz vor Abstimmung auf die Toilette. Mit diesem Verhalten lässt sich allerdings erkennen, dass der Stadtrat in der Praxis wie ein Parlament funktioniert.
Es gibt einen “Koalitionsausschuss”, ein Gremium, dem nur Mitglieder der “Regierungskoalition” angehören. Ein Gremium, das sich turnusmäßig trifft, um sich darüber zu beraten, was demnächst realisiert werden soll. Es gibt städtische Spezialzuwendungen, also Geld und Büroräume für Gruppierungen in “Fraktionsstärke”, es gibt “Fraktionsvorsitzende”, die in Augsburg die doppelte Aufwandsentschädigung erhalten. In den Ausschüssen haben selbstverständlich die Parteien und Gruppierungen, die die Stadtregierung bilden, die Mehrheit. Bei den Stadtratssitzungen sollen nur die Fraktionsvorsteher sprechen. Dass es Fraktionszwang bei Abstimmungen gibt, ist ebenfalls bekannt. Oberbürgermeister, Bürgermeister leiten die Stadtratssitzungen und haben großen Einfluss auf die inhaltliche wie strukturelle Gestaltung der Kommunen. Kurzum: Der Stadtrat arbeitet politisch und konkret fast wie ein Parlament.
Wenn aber eine Stadtregierung oder eine Oberbürgermeisterin, eine Partei oder ein Referent in politische Schwierigkeiten kommt und politisch angegriffen wird, wird von den Betroffenen oft das Argument vorgeschoben, dass es politische Verantwortung im Rahmen eines Kollegialorgans nicht geben könne.
Dieser Ausflug ins Grundsätzliche war nötig, um den Sachverhalt zu verdeutlichen, dass sich CSU und Grüne (auch: “Regierungskoalition” oder “Stadtregierung” genannt) richtig schwer tun, einen gemeinsamen Nenner, eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Programmatik zu entwickeln. Das lässt sich im politischen Alltag daran erkennen, dass die beiden Parteien zu jeder Erbse, die sie gemeinsam über den Berg bringen, eine gemeinsame Presseerklärung verfassen. Und lässt sich auch daran erkennen, dass sie bei verkehrspolitischen Maßnahmen, die auch im Koalitionsvertrag fixiert sind (wie zB die autofreie Maximilianstraße) dazu neigen, ein Gutachten vorzuschalten, um den Eindruck zu vermeiden, dass die Augsburger Regierungskoalition verkehrspolitisch unterschiedliche Denkweisen pflegt.
Als der Räumungsbescheid zum Klimacamp auf der politischen Agenda stand, war die neue Augsburger Stadtregierung seit zwei Monaten im Amt. Die Grünen beugten sich dem Furor der CSU, die “Verhau und Protest” vor dem Rathaus schnellstmöglich loshaben wollte. Also informierten OB Eva Weber und die Grüne Bürgermeisterin Martina Wild die Aktivist*innen mündlich darüber, dass die Stadt den Platz räumen werde. Dagegen legten die Aktivist*innen Widerspruch vor dem Augsburger Verwaltungsgericht ein und bekamen Recht. Liest man die Begründung des Augsburger Gerichts genau, kommt man zur Auffassung, dass die Stadt dem Klimacamp das Versammlungsrecht verwehren wollte, weil sie das Handeln der Aktivist*innen nicht mehr als politische Willensbekundung bewertete. Eine hochpolitische Rechtsauffassung der Stadt.
In diesem Zusammenhang klingt die Schlussbemerkung der jubilierenden Stellungnahme des Grünen Fraktionschefs Peter Rauscher zum VGH-Urteil absurd: “Die Fraktionen bzw. Mitglieder des Stadtrats als politische Vertreter*innen der Bürger*innen wurden weder beim ersten Räumungsbescheid im Juli 2020, noch beim Antrag auf Berufung einbezogen, da gemäß Gemeindeordnung solche Entscheidungen durch die Verwaltung und die Oberbürgermeisterin als deren Leitung in alleiniger Zuständigkeit geregelt werden. Es handelt sich um sogenannte Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, die Verwaltung wird unmittelbar tätig, ohne den Stadtrat einzubeziehen.”
Weder Weber noch Pintsch und schon gar nicht Martina Wild wären als Vertreter der Verwaltung unmittelbar tätig geworden, hätten sich die Grünen mit aller Macht gegen den Räumungsbeschluss im Sommer 2020 gestemmt. Hätte die Stadt es dennoch gewagt, hätten die Grünen dies skandalisieren müssen. Mit Erleichterung haben die Grünen reagiert als die Stadt (bzw. die Stadtregierung) den Widerspruch des Klimacamps zum Anlass nahm, die Räumung auszusetzen, um damit bis zur Entscheidung des Gerichts zu warten.
Wie gesagt: Eine Stadtregierung im Augsburger Stadtrat gibt es formal nicht, für die aktuelle Augsburger Stadtregierung trifft das von Beginn an auch im Konkreten, also in der Praxis zu. Eine politische Entscheidung mit einer vorgeschobenen politischen Befürchtung an die Rechtspflege abzugeben, zeugt von tiefgreifender Handlungsunfähigkeit, die der Grüne Fraktionsvorsitzende Peter Rauscher ungeschickt mit einer “unmittelbar tätig werdenden Verwaltung” kaschieren wollte.
Von der CSU gibt es keine Stellungnahme und wird wohl auch keine folgen. Das Gleiche gilt für die Stadt. Von Albert Camus stammt das Wort, dass aktuell der Sieger, langfristig und somit stärker aber der Unterlegene das gesellschaftliche Fortkommen gestalte.
Pro und Contra, Sieg und Niederlage bilden in der Politik einen dialektischen Prozess, der für Fortschritt steht. Werden unterschiedliche Meinungen aber überhaupt nicht ausgefochten, verspielt die lokale Politik ihren Wählerauftrag und verliert somit einen Großteil ihrer Legitimation. Das gilt für die CSU und die Grünen, aber auch für die Stadtvertreter. Das Klimacamp und seine Unterstützer sind knallharte Opposition, eine wahre demokratische Herausforderung. Eva Weber und Frank Pintsch und die Stadtregierung sollten die Gelegenheit nutzen, um daran politisch zu wachsen.