Weltwärts: Der Tod als Transmigrationsfeier
Kann man aus dem Thema „assistierter Suizid“ eine Komödie machen? Der amerikanische Theaterautor Noah Haidle versucht sich daran und David Ortmann gelingt eine stimmige Inszenierung mit dem Schauspielensemble des Augsburger Staatstheaters.
Von Halrun Reinholz
Anna (Marie Scharf) mit dem Geigenlehrer Louis (Julius Kuhn)
Anna (Marie Scharf), gerade mal Mitte 30, ist unheilbar krank und entschließt sich, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Nicht still und heimlich, sondern mit einer Art Abschiedsparty im Kreise ihrer Familie und vor allem ihrer siebenjährigen (etwas altklugen) Tochter Rose (Milena Kaltenbach). Die „Transmigrationszeremonie“ ist minuziös geplant („es wird jetzt Zeit für den Betablocker“), denn Annas Mutter Dorothy (Natalie Hünig) und deren Bruder Buddy (Gerald Fiedler) haben schon öfter mitgewirkt, wenn Menschen freiwillig aus dem Leben scheiden wollten. Die etwas esoterische Dorothy, die eigentlich Hebamme ist, sieht keinen Widerspruch darin, den Anfang und das Ende des Lebens gleichermaßen zu begleiten. Als einzige nicht eingeweiht ist Baby, Annas Zwillingsschwester, die glaubt, zu einer Familienfeier gekommen zu sein und zunächst kein Verständnis für Annas Wunsch zeigt. Anna möchte zum Abschied etwas auf der Geige spielen, dafür nimmt sie sozusagen im letzten Moment noch eine Geigenstunde bei Louis (Julius Kuhn). Nicht eingeladen ist der Nachbar Kevin (Patrick Rupar), der die Zeremonie mit allerlei Einfällen zu stören versucht und schließlich sogar die Polizei ruft, um einen „versuchten Mord“ zu verhindern. Doch auch Officer Owen (Mehdi Salim) lässt sich von der Idee der Transmigrationszeremonie überzeugen. Das Zusammenspiel der skurrilen Charaktere führt zu allerlei komischen Verwicklungen, die den durchaus philosophischen Ernst der Dialoge konterkarieren. Die Balance, die sich daraus ergibt, ist der Grundton dieser wider alle Erwartungen stimmigen Tragikomödie, nicht zuletzt auch wegen der musikalischen Einlagen an passenden Stellen. Das trotz allem realitätsferne Geschehen lebt von der Leichtigkeit der Dialoge und der Ernsthaftigkeit der Charaktere, die die selbstbestimmte Entscheidung nicht in Frage stellen. Auch Rose nicht, die „als einzige Stopp sagen kann“, wie Anna versichert. Doch sie will nur wissen, welches die letzten Worte der Mutter sein werden. Das weiß Anna zunächst nicht, doch als letzten Wunsch möchte sie ihre Entscheidung publik machen, dazu hat sie einen Brief an die Zeitung verfasst – wohl wissend, dass ihre Helfer dann mit Gefängnis rechnen müssen.
Das Ensemble mit den Lebensuhren – Fotos: Jan-Pieter Fuhr
„Warum sich vor etwas fürchten, was uns allen bevorsteht?“ – das ist der Tenor des Stücks von Noah Haidle, das in einer amerikanischen Kleinstadt spielt (jeder kennt jeden und Dorothy war bei allen Geburten dabei), aber in den USA bisher nicht aufgeführt werden konnte. In Europa wird das Thema assistierter Suizid schon länger diskutiert, doch auch in Deutschland ist die Gesetzeslage nach wie vor nicht eindeutig. Anna begründet ihren Wunsch nach selbstbestimmtem Sterben damit, dass es ein „großes Geschenk“ sei, Fragen zu beantworten, „auf die es eigentlich keine Antwort gibt“, nämlich: „Wann und wie möchte ich sterben?“
Im hervorragenden Zusammenspiel der einzelnen Figuren sticht vor allem Natalie Hünig als Dorothy heraus, die als einzige die Grenze zwischen den Welten passieren kann. Die vielen Standuhren, die das Bühnenbild prägen, erklären sich erst am Schluss: Es sind die Lebensuhren der einzelnen Protagonisten, die zum Schluss noch erzählen, was sie im Leben erwartet, bevor das Licht ausgeknipst wird. So stehen die Zufälle, die Biografien beenden, der Selbstbestimmung wie im richtigen Leben unaufgelöst gegenüber.
Trotz aller Betroffenheit und Ernsthaftigkeit des Themas ist es ein heiterer Theaterabend mit vielen Lachern im Publikum, das den Darstellern und dem Regieteam zum Schluss heftig applaudiert.