„Effi, Ach Effi Briest“ auf der Brechtbühne – Ein großer Spaß fast ohne Fontane
Effi Briest weckt Erinnerungen an Schullektüre. An ein Frauen- und Gesellschaftsbild, dem ich als Abiturientin der 80er Jahre mit tiefem Unverständnis begegnete. Ach, ein weites Feld. Und nun Effi auf der Bühne? Das Augsburger Staatstheater unternimmt in dieser Spielzeit einen ungewöhnlichen Versuch dazu – mit Überraschungen und unerwarteten Erkenntnissen.
Von Halrun Reinholz
Denn genau genommen bekommt das Publikum auf der Brechtbühne nicht Fontanes Effi Briest zu sehen. Der junge Wiener Moritz Franz Beichl, Nestroy-Preisträger, hat daraus ein Stück gemacht, das den vielsagenden Untertitel trägt: „Frei nach Fontane, mit fast keinem Satz von Fontane, wer braucht schon Fontane, wenn er Effi hat? Effi. Ach Effi. Ach. Ach.“
Das Personal ist in seiner Konstellation aus dem Roman vertraut. Doch Effi, dort eher Objekt als Subjekt ist, der alles nur „wiederfährt“, bekommt bei Beichl eine gute Portion Frische und Selbstbewusstsein. Naiv und vertrauensselig lässt sie sich auf die Ehe mit Innstetten, dem Jugendfreund der Mutter, ein. Langweilt sich in der Provinz und begrüßt die Gelegenheit, sich mit Crampas zu treffen. Als ihr Mann die Affäre Jahre später per Zufall entdeckt, folgen die von der Gesellschaft erwarteten Konsequenzen – Duell und Scheidung. So weit, so Fontane. Beichls Parodie nimmt den Klassiker ernst und führt ihn gleichzeitig ad absurdum. Der Text enthält, wie angekündigt, fast keinen Satz von Fontane, aber dafür kommt vieles zur Sprache, was bei Fontane fehlt: „Lasst uns darüber einen Monolog führen.“ Beichls Textgrundlage nutzt die Regisseurin Nina Mattenklotz für eine schrille Inszenierung mit farbenfrohen Kostümen (Johanna Pfau) und reichlich Slapstick.
Moritz Franz Beichl hat die Uraufführung seines Stückes in Wien 2022 selbst inszeniert und dabei alle sechs Rollen mit Männern besetzt. Nina Mattenkotz tut dies nicht, spielt aber auch zeitgeistkonform mit den Geschlechterrollen, indem sie die Amme Roswitha mit dem in jeder Hinsicht vielseitigen Klaus Müller und den in charmanter Strizzi-Manier wienerisch plaudernden Crampas mit der zeitweise barbusigen Mirjam Birkl besetzt. Klaus Müller ist nicht nur der stets treue Beschützer von Effi, der im Regen den Schirm über sie hält, er ist auch der Chansonnier, der das Geschehen auf die Musik von Romy Camerun kommentiert. In unterhaltsamem Kontrast stehen sich die Briest-Eltern auf der Bühne gegenüber: Die lustvoll sexgeile Mutter (Sarah Maria Grünig), die sich auch dem Ex-Lover gleichsam an den Hals wirft, als dieser um die Hand der Tochter anhält, und der schweigsame Vater (Sebastian Müller-Stahl), der kaum Textarbeit zu leisten hat, dafür pantomimisch brilliert. Eine Karikatur seiner selbst ist Innstetten (Mehdi Salim), unfähig zur Empathie, aber Kenner der gesellschaftlichen Spielregeln, die ihn zum Duell verpflichten. Die karikierte Duell-Szene wird dadurch zum satirischen Kernstück der Aufführung: Die beiden Männer trinken erst kumpelhaft Brüderschaft, bevor sich wie beiläufig der Schuss löst. Dumm gelaufen.
Im Dauer-Einsatz auf der Bühne ist Christine Jung als Effi. Zwischen Naivität und Vernunft pendelnd, stellt sie Fragen, picknickt mit Crampas, überlegt, hinterfragt, singt und spielt zwischendurch auch mal Trompete. Zusätzlich zu Beichls Text hat die Regisseurin ihr noch einige feministische Textstellen verpasst, die sich stimmig in die Handlung einfügen, ohne aufgesetzt zu wirken. Damit konterkariert sie das Frauenbild, das Fontane ihr zugewiesen hat. „Ich habe nicht vor, schon zu sterben“, sagt sie einmal beiläufig und wiederholt diesen Satz am Ende, als sie laut dem Roman-Drehbuch eigentlich sehr wohl sterben müsste. Doch das Schicksal der Roman-Effi war auch im 19. Jahrhundert nicht zwangsläufig, wie das reelle Vorbild für die Romanhandlung zeigt: Elisabeth von Ardenne, die wegen einer Affäre geschieden wurde, nutzte diese Freiheit zur Selbstverwirklichung und wurde 99 Jahre alt. Diese Botschaft gab die Bühnen-Effi dem Augsburger Publikum mit auf den Weg.
Viel Applaus für eine frische, unterhaltsame Inszenierung, die auch so mancher Schulklassen einen ganz anderen Blick auf Fontanes Effi Briest ermöglichen könnte.