„Kunst und Kultur befördern die wechselseitige Akzeptanz“
DAZ-Gespräch mit Timo Köster vom Augsburger Friedensbüro
Ein großer Artikel im Bayern-Teil der Süddeutschen Zeitung beschäftigte sich am gestrigen Freitag mit Timo Köster. Überschrift: „Ein Angestellter für den Frieden.“ Morgen folgt ein neuer Höhepunkt in der Tätigkeit des 32jährigen aus Dessau: Das Augsburger Hohe Friedensfest endet mit der großen Friedenstafel auf dem Rathausplatz. „Drücken Sie mir die Daumen, dass es aufhört zu regnen“, bat Köster am Freitag kurz vor Mitternacht per Email an die DAZ. Frank Heindl unterhielt sich mit Köster über seine Arbeit, seine Erwartungen, seine Pläne in Augsburg.
DAZ: Herr Köster, Sie leiten das Projektbüro für Frieden und Interkultur im Kulturamt der Stadt Augsburg und haben sich recht viel vorgenommen. Wie viel Zeit haben Sie noch?
Köster: Mein Vertrag – es handelt sich um eine volle Stelle – ist auf drei Jahre befristet. Ich habe im Mai 2009 angefangen, aber weil der Job wohl nicht mitten im Jahr, sondern zum Saisonende enden wird, habe ich noch zwei Jahre vor mir.
DAZ: Wie läuft es bisher?
Köster: Das erste Jahr hat in einem sehr spannenden Arbeitsumfeld zu einem großen Teil aus Netzwerkarbeit bestanden – man muss die Strukturen und die Akteure kennenlernen. Ich habe jetzt einen sehr guten Überblick. Mir macht diese Arbeit großen Spaß – sie ist eine echte Herausforderung.
DAZ: Sprechen wir von Ihrer Aufgabe: Sie sollen das interkulturelle Leben und mit ihm die Integration der Migrantenbevölkerung fördern. Was hat das eine mit dem anderen zu tun – warum fällt die Integrationsproblematik in den Bereich des Kulturressorts?
Integriert der Oberfranke den Unterfranken?
Köster: Kunst und Kultur fördern die wechselseitige Akzeptanz. Allerdings gilt es die Begrifflichkeiten zu klären. Der Begriff der Interkulturalität geht in Anlehnung an das Herdersche Kulturalitätsmodell von einem Konstrukt aus, wonach die eigene (deutsche) Kultur einer fremden (nichtdeutschen) begegnet. Aus dieser Annahme hat sich letztlich der Begriff Integration entwickelt. Doch stellt sich die Frage: Wer integriert hier wen – der Westberliner den Ostberliner, der Oberfranke den Unterfranken, der (deutsche) Integrationsbeauftragte den Türken? Wir Deutschen integrieren Euch, die Ausländer – eine solche Herangehensweise suggeriert Differenzen, die so sicher nicht (mehr) existieren. Auch der Begriff der Multikulturalität ist problematisch: Verschiedene Kulturen innerhalb einer Gesellschaft werden dabei gegeneinander gestellt. Und auch dabei wird von in sich homogenen Kulturen ausgegangen, die so nicht existieren und auch noch nie existiert haben. Wir verwenden stattdessen den Begriff der Transkulturalität: Dabei geht es um das Erleben des Anderen als wesentlichen Ausgangspunkt für die Kommunikation, um einen fortwährenden Prozess der gegenseitigen Durchdringung des Eigenen mit dem Anderen und des Anderen mit dem Eigenen. Gegner der Transkulturalität unterliegen dem Irrtum, das Andere könne das Eigene dominieren. Wir können uns aber heutzutage in unserer heterogenen Gesellschaft nicht dem ständigen Erleben unterschiedlicher Kulturen entziehen.
DAZ: 40 Prozent der Menschen in Augsburg haben Migrationshintergrund. Wie begegnet man denen „transkulturell“?
Köster: Es geht um die Teilhabe der Menschen am kulturellen Leben. Dafür braucht man zunächst Strukturen, sozusagen einen organisatorischen Rahmen. Und da sind wir in Augsburg mit unseren Formaten gut aufgestellt. Wir haben die Festivals der Kulturen und der 1000 Töne, das Hohe Friedensfest als wesentliche Formate im Bereich interkultureller Kultur- und der interreligiösen Projektarbeit. Zudem haben wir bildungs- und gesellschaftspolitische Veranstaltungsreihen, die sich theoretisch mit Themen wie Diversity, Migration, Vielkulturalität, Transkulturalität etc. auseinandersetzen.
DAZ: Auf den ersten Blick sind die Festivals und das Friedensfest nicht zwei Formate, sondern eines …
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Das Friedensfest als Plattform für die Religionen der Welt
Köster: Sie sind schon klar unterschiedlich definiert – was nicht heißt, dass wir nicht an der Schärfung der Profile noch zu arbeiten haben. Beim Festival der Kulturen vor drei Wochen konnte man aber schon deutlich sehen, dass diese Formate als Beteiligungsprojekt angelegt ist – und zwar als sehr erfolgreiches. Die Migrantenvereine und -organisationen waren mit vielfachen eigenen Beiträgen beteiligt, aber auch mit kuratierten – das heißt, dass sie Gäste ausgewählt und eingeladen haben. Diese Form der Teilhabe unterscheidet uns stark von den meisten anderen Festivals der Kulturen – es gibt ja unzählige in Deutschland. Wir haben allein 200 Vereine angeschrieben, mit sehr großer Resonanz.
DAZ: Kommen wir zum Friedensfest.
Köster: Das Hohe Friedensfest, bei dem ursprünglich die Augsburger Protestanten erstmals im Jahr 1650 das durch den Westfälischen Frieden eingeleitete Ende ihrer Unterdrückung während des Dreißigjährigen Krieges gefeiert haben, stellt mit seinem Rahmenprogramm eine Plattform für die Religionen der Welt dar. Parität und Partizipation als wesentliche Inhalte des Augsburger Religionsfriedens von 1555 müssen permanent verhandelt werden. Der Augsburger Religionsfrieden hat damals das friedliche Zusammenleben zwischen den christlichen Bekenntnissen geregelt – jetzt geht es um ein beispielhaftes Miteinander in einer ethnisch, kulturell und religiös weitaus heterogeneren Gesellschaft. Um den religiösen Ursprung des Hohen Friedensfests stärker herauszustellen, möchte ich mich mit aktuellen Themen und Diskursen in diesem Bereich befassen. Insofern geht es auch um eine Profilschärfung für die Zukunft, die das Thema Vielreligiösität mit all seinen Problemen und Ressourcen in unserer Gesellschaft beinhaltet.
DAZ: Jetzt fehlt noch ein dritter Schwerpunkt.
Keine Partei kommt um das Thema herum
Köster: Das sind die Agendaforen wie das Forum Interkultur oder das neugegründete Islamforum. Beim Forum Interkultur zum Beispiel verhandeln wir auf theoretischer Ebene Fragen des Diversity-Diskurses. Neben Vernetzungen von Kultureinrichtungen mit Vereinen geht es insbesondere auch um die Gestaltung des interkulturellen Öffnungsprozesses. Ende des Jahres wird das alles in ein Konzept einfließen, mit dem Prozess der Gestaltung und Ausarbeitung haben wir im April begonnen.
DAZ: Das hört sich alles gut und schön an. Aber ist das in Augsburg auch durchzusetzen? Immerhin regiert mit der CSU im Rathaus eine Partei, die jahrzehntelang an der Behauptung festgehalten hat, Deutschland sei kein Einwanderungsland und Bayern schon dreimal nicht. Und es gibt ja durchaus Stadtratsmitglieder aus dieser Partei, die sich explizit – zum Beispiel auch in Zeitungsannoncen – gegen die von Ihnen intendierte Öffnung wenden. Hat sich das Klima in Augsburg schon gewandelt?
Köster: Es kommt keine Partei drum herum, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen – und ich bin überzeugt, dass man sich da auch interfraktionell auf Themen und Projekte einigen kann und dass man längst nicht mehr von einer Deutungshoheit der Linken in diesem Bereich sprechen kann. Beispiele wie Armin Laschet, von 2005-2010 Integrationsminister in NRW, die erste Ministerin mit Zuwanderungsgeschichte Aygül Özkan in Niedersachsen, ein eigenes Referat „Interkulturelle Kulturarbeit“ in der Staatskanzlei NRW belegen das sehr deutlich. Unabhängig von den Parteien gibt es natürlich auch Kreise, die nicht so offen sind – das sollte uns aber nicht daran hindern, diesen Prozess voranzutreiben. An den gesellschaftlichen Realitäten kann doch inzwischen keiner mehr vorbei.
DAZ: Wo liegen momentan die aktuellen Probleme im vielkulturellen Miteinander?
„So etwas muss verhandelt werden in unserer Gesellschaft“
Köster: Ein Teilnehmer des Islamforums hat mir erzählt, seine Frau, eine gebildete Türkin, die studiert hat, sei auf dem Arbeitsamt als arbeitsunwillig in die Kategorie Putzfrau eingeteilt worden – aus dem alleinigen Grund, dass sie ein Kopftuch trug. So etwas geht nicht, dagegen müssen wir etwas tun. Da manifestieren sich natürlich Vorurteile und es zeigt sich, dass wir mit der „interkulturellen Öffnung der städtischen Verwaltung“, die im Stadtrat einstimmig beschlossen wurde, noch längst nicht weit genug sind. Wir hören leider oft, dass Frauen mit Kopftüchern diskriminiert werden. Das ist in anderen deutschen Großstädten anders.
DAZ: Sind Sie sicher? In Belgien, Frankreich, England erhitzt sich die gesellschaftliche Diskussion ja derzeit an der Burka.
Köster: Grundsätzlich kann man sich natürlich fragen, ob sich eine Frau mit einer Burka in unserer Lebenswelt zurechtfindet und ob unsere Gesellschaft eine Frau mit Burka akzeptieren kann und will. So etwas muss verhandelt werden in unserer Gesellschaft. Deshalb sind solche Foren wie das Islamforum, aber auch der Runde Tisch der Religionen wichtig. In aller Klarheit müsste das natürlich letztlich der Rechtsstaat regeln. Ein Burkaverbot wäre verfassungsrechtlich sehr schwierig. Ein Verbot würde sicher gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes verstoßen.
DAZ: Das Augsburger Islamforum steht noch ganz am Anfang. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Alle Gruppierungen in Augsburg wollen den Dialog
Köster: Es wollen alle Gruppierungen in Augsburg den Dialog, bisher grenzt sich niemand aus – das allein ist schon eine sehr positive Nachricht. Es sind viele Themen, die in solch einem Gremium besprochen werden können: Probleme mit der Verwaltung, wo finden Grabstätten für Muslime ihren Platz, wie wird der Schwimmunterricht an den Schulen geregelt, gibt es Badezeiten für muslimische Frauen in den städtischen Bädern … Sie sagen aber richtig, dass wir mit dem Islamforum erst ganz am Anfang stehen – deshalb haben wir zunächst vereinbart, bei unseren ersten beiden Treffen die Presse nicht einzuladen. In der Anfangsphase ist es wichtig, Vertrauen zu schaffen.
DAZ: Das wird ohne Öffentlichkeit schwerlich klappen …
Köster: Wir verheimlichen ja nichts – wenn es daran geht, über konkrete Probleme zu diskutieren, werden wir das selbstverständlich auch nach außen kommunizieren. Eine Dokumentation der ersten Sitzung wird Anfang nächster Woche an die Presse gegeben, wie auch von jeder anderen Sitzung. Der Umgang mit der Presse wird vom Forum selbst entschieden.
DAZ: Es gibt in anderen Städten die Erfahrung, dass bestimmte Teile der Migranten an einer Öffnung, hart gesagt: an einer Integration gar nicht interessiert sind.
Köster: Meiner Ansicht ist moderne Kulturpolitik und Kulturarbeit immer auch eine Verknüpfung von Kultur, Bildung und Sozialem. Man reagiert auf das, was in der Stadt und in der Gesellschaft relevant ist. Insofern sollten wir uns insbesondere um die Themen kümmern, die hier in Augsburg anstehen. Beispielsweise müssen die interkulturelle Öffnung und die interkulturelle Kulturarbeit immer auch mit kultureller Bildung einhergehen. Es gibt nicht die Migranten und die Mehrheitsgesellschaft, sondern es sind Schichten und Milieus, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Man muss Wege und Formate finden, die kulturelle Bildung vorantreiben – das können die Schulen nicht alleine leisten. Das gilt im Übrigen für die gesamte Gesellschaft und ist kein spezielles Problem von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.
Das Potenzial der Vielkulturalität
DAZ: Wer kann es dann leisten?
Köster: Ein Beispiel: Wenn die Stadtbücherei Projekte generiert, in denen Mehrsprachigkeit eine Rolle spielt, sind das sehr positive Ansätze. Zudem die Projektplattform Ksaug, die derzeit weiterentwickelt wird. In Berlin gibt’s zwischen Kulturinstitutionen und Schulen Partnerschaften: kleine Projekte, Praktika – damit werden Barrieren aufgebrochen. Vielen Kindern wird ja vom Elternhaus in der Richtung gar nichts mitgegeben – aber in solchen Zusammenhängen können dann kulturelle Bildung und Integration stattfinden. Und die dienen ja nicht nur den Migranten: In der Debatte wird leider zumeist das Bild vom defizitären Migranten gezeichnet, man sollte das Augenmerk aber auf das Potential legen, das in der Vielkulturalität besteht. Das ist in anderen Ländern anders, da wird eher überlegt, wie man die Ressourcen, die eine vielkulturelle Gesellschaft bietet, nutzen kann.
DAZ: Tun die Migranten genug für ihre Integration?
Köster: Den größten Erfolg des diesjährigen Festivals der Kulturen sehe ich darin, dass sich die sogenannten Migrantenökonomien sehr aktiv daran beteiligt haben. Wir hatten mit dem UNESCO-Botschafter Zülfü Livaneli einen türkischen Star auf der Bühne am Rathausplatz, den wir uns von städtischer Seite nie hätten leisten können. Dieses Jahr sind aber mehr Sponsoren und dazu noch Turkish Airlines dazugekommen, deshalb hat das geklappt. Das ist vor allem die zweite Generation der Migranten: Bei ihnen ist der Wille zur Teilhabe und Mitwirkung am gesellschaftlichen Leben vielleicht etwas deutlicher vorhanden. Sie nehmen die Möglichkeit der Teilhabe an einem städtischen Festival an und tun auch etwas dafür, und sie wollen und bekommen dafür Anerkennung. Darüber hinaus trug sich Livaneli in das Goldene Buch der Stadt Augsburg ein. Hier entstehen Dinge, die man gar nicht hoch genug schätzen kann. Wenn die Menschen mit Migrationsgeschichte sehen, dass ihre Teilnahme erwünscht und gefragt ist, dann engagieren sie sich und gestalten mit. Auf diesem Weg überwinden wir die Auswirkungen einer Politik, die jahrzehntelang die Probleme und vor allem auch die Ressourcen verdrängt hat, die nicht wissen wollte, dass wir ein Einwanderungsland sind.
DAZ: Herr Köster, vielen Dank für das ausführliche Gespräch!