Unverschämt und intelligent
„Unverschämte Wirtshausmusik“ in der Kresslesmühle
Von Frank Heindl
Muss das eine schöne Zeit gewesen sein, als die Volksmusik noch so war: Frech, aufmüpfig, lustig – und dabei auch noch zum Mitsingen und Tanzen geeignet. Nicht blöd, sondern intelligent, nicht schmalzig, sondern zum Lachen, nicht 08/15, sondern originell, nicht klischeehaft, sondern hochmusikalisch, nicht bieder-verklemmt, sondern unverschämt-frivol. Ein paar wenige Menschen immerhin gibt es, die sich darum bemühen, diese Tradition wieder zum Leben zu erwecken: Das Duo „Göttler & Kraus“ zum Beispiel, das am Dienstag im Rahmen des „Festivals der 1000 Töne“ mit seiner „Unverschämten Wirtshausmusik“ in der Kresslesmühle gastierte.
Vor allem der männliche Teil des Duos, Otto Göttler, ist in der neuen Volkmusik kein Unbekannter: 1986 gehörte er zu den Begründer der Formation „Bairisch Diatonischer Jodelwahnsinn“ – der Einfluss dieser Gruppe auf die Wiederbelebung traditioneller bayrischer Volksmusik ist nicht mehr wegzudenken. Vor eineinhalb Jahren hat sich Göttler mit der Harfenistin Konstanze Kraus zusammengetan, und wiederum verfügt das gemeinsame Oeuvre über jene Portion Wahnsinn, die es braucht, um dem – nicht nur bayerischen – Alltag dichterisch und musikalisch auf die Spur zu kommen. Dazu dient unter anderem das „Gstanzl“: Viel Vorspiel, wenig Text, abruptes Ende – so ist’s normalerweise typisch für diese Liedform. Göttler & Kraus toppen das Schema mit einem wunderbaren Vers, der es (nicht) in sich hat: Der Zipfl Miche, singen sie, „kummt oiwei z’spat“ – und damit hat sich’s. Man darf diesen Miche durchaus beneiden dafür, solcherart mit einem minimalistischen Einzeiler geehrt zu werden!
Aber nicht nur der Zipfl bekommt sein Fett weg in den treffsicheren Texten des Duos. Die Bänker, die Politiker, die „Oberen“ halt, werden genauso auf die Schippe genommen wie „die Weiba“, „die Menna“ und das Publikum. Als Instrumentarium dienen hauptsächlich eine schlagkräftig gehandhabte Harfe und das Knopfakkordeon, daneben aber auch die Tuba, eine diatonische Mini-Concertina, eine Säge oder eine zufällig, aber passenderweise extrem verstimmte Ukulele – ebenfalls im Miniformat. Die wurde, wie Göttler später erzählt, gefertigt vom Schreiner des Gärtnerplatztheaters zu München. Zu kunstvoll allerdings, weil zu klein – der Handwerker konnte das Instrument nicht spielen und verscherbelte es an den Musiker weiter.
Kunstvolle Preziosen mit bösen Pointen
Ob man die Qualität der Texte oder doch eher die der Musik hervorheben soll, muss unentschieden bleiben – in beiden Metiers erschaffen die beiden Preziosen. „Pistenwahnsinn“ etwa ist ein so kunstvoll-absurdes Stück, dass man zunächst gar nicht glauben mag, dass es nicht von Morgenstern, Ringelnatz oder Schwitters, sondern aus der Feder des Duos stammt – was dann aber doch erkennbar wird an der heftig bösen Pointe, die es als Vorteil einer gewaltigen, alles verschlingenden Lawine herausstellt, dass anschließend im Feriengebiet „wieder Zimmer frei“ sind.
Eine Gaudi war’s, ein sinnliches, aber auch ein intellektuelles Vergnügen. Und freundlicherweise übersetzten die beiden ihre Texte teilweise sogar aus dem Oberbayrischen ins Deutsche – für eine Gruppe von Freiburger Touristen, denen der Dialekt doch etwas fremd war. Noch mehr Integrationsbemühungen zeigte eine Übersetzung höchst traditionellen bayerischen Liedguts ins Türkische: Der Wildschütz Jennerwein war kaum mehr wiederzuerkennen, und man darf annehmen, dass mit dem Phantasietürkisch aus Giesing ein echter Osmane ebenso wenig hätte anfangen können wie Zuhörer aus München, Freiburg, Augsburg oder von sonst wo her. Oder genauso viel.
Wer es versäumt hat, die CD mitzunehmen, kann das übrigens nachholen: Die „Unverschämte Wirtshausmusik“ gibt’s zum Preis von 10 Euro im Internet: www.unverschämte-wirtshausmusik.de.