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Mittwoch, 05.02.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Zwei Biographen und kein Moderator

Brechtfestival: Parker vs. Knopf

Von Frank Heindl

Jan Knopf und Stephen Parker: Mit sehr unterschiedlichen Herangehensweisen arbeiten die beiden Brecht-Forscher an ihren Brecht-Biographien. Am Montag stellten sie ihre Ansätze und Ergebnisse im Brechthaus dem Publikum vor. Augsburgs Brechtforscher Jürgen Hillesheim hätte als Moderator durchaus eine Rolle spielen können – hielt sich aber allzu vornehm zurück.



Seit 3 ½ Jahren arbeitet Stephen Parker „fulltime“, wie er sagt, an einer Biographie des Augsburger Dramatikers, die sich hauptsächlich an dessen Krankheiten orientiert. Im kommenden Jahr soll sie auf Englisch erscheinen, wann es eine deutsche Übersetzung geben wird, ist noch offen. Brecht sei sein ganzes Leben über „kränker als bisher angenommen“ gewesen, fand Parker heraus, er habe schon als Kind ein Herzleiden gehabt, zusätzlich eine lange urologische Krankheitsgeschichte. Schon in seinen Jugendtagebüchern habe der Dichter über seine Krankheiten geschrieben – „und auch über seine angehende Tätigkeit als Schriftsteller.“ Parker sieht da einen Zusammenhang: Er behauptet zwar, er lehne eine psychoanalytische Herangehensweise ab, führt aber gleichzeitig an, Brechts Sensibilität sei geprägt von den eigenen Leiden, er habe derentwegen „eine Überempfindlichkeit entwickelt seelischen Wahrnehmungen gegenüber.“ Mit diesem Ansatz könne man seine Lyrik „auf ganz neue Art lesen.“

Von 1200 auf 600 Seiten gekürzt

Unterschiedlicher könnten die Auffassungen nicht sein, gibt Jan Knopf gleich zu Anfang zu Protokoll. Der wissenschaftliche Berater des Augsburger Brechtfestivals will ebenfalls bald fertig sein mit seiner Biographie. Bei ihm aber soll sich alles um Brechts Werk und dessen zeitgeschichtlichen Kontext drehen. Knopf hat sein Buch gerade auf rund 600 Seiten heruntergekürzt – vorher war es doppelt so dick „und es hätte noch mehr sein können.“ Er hält nicht damit hinterm Berg, dass er es für längst nicht mehr zeitgemäß hält, das Werk eines Künstlers aus dessen individueller Biographie heraus zu interpretieren – die Zeitgeschichte sei unauflöslich mit Werk und Künstler verbunden. Knopf leitet das weit ausholend von Goethe und Schiller, von Hegel und Marx her: „Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen.“ Weil Brecht nicht nur in seiner Zeit gelebt habe, sondern vor allem von dieser „gelebt worden“ sei, habe er seinem Vorsatz folgen können, „die Sprache der Wirklichkeit zu sprechen.“ Automatisch habe sich so die Zeitgeschichte mit Brechts Werk und seiner Biographie verwoben.

Auf Jürgen Hillesheims Frage, ob es denn wirklich neue Fakten über Brecht gebe, können beide Biographen allerdings nicht eben viel erzählen. Er habe in Augsburger Archiven „sehr interessante“ Briefe an Augsburger Mädchen gefunden, betont Parker, ebenso ein „ganz interessantes frühes Gedicht.“ Knopf geht es eher um das Aufräumen mit falschen Vorurteilen: Einem großen Anteil der Sekundärliteratur über Brecht lägen falsche Beurteilungen des Werkes zugrunde, sagt er – auch mithilfe richtiger zeitlicher Einordnungen will Knopf zeigen, wann und unter welchen Einflüssen bestimmte Werke entstanden sind. Auch innerfamiliäre Schönheitskorrekturen am Brechtbild will er rückgängig machen: Man glaube gar nicht, sagt er, „was die sich zusammenfantasiert haben, um eine heile Familie Brecht darzustellen.“

Von Kopernikus über Goethe zu Marx

Jan Knopf konnte an diesem Abend sicherlich mehr Sympathien für seine Annäherung an Brecht und sein Werk ernten. Er quillt über vor bildreichen Beispielen, schafft es immer wieder, in scheinbar endlos mäandernden Satzschlingen von Kopernikus und Francis Bacon über Schiller und Goethe zu Hegel und Marx zu kommen, um am Ende doch noch haarscharf wieder bei Brecht zu landen. Während Parker über Brechts Werk fast gar nicht spricht, findet Knopf immer wieder gute Beispiele für seine Thesen. Da hat es Stephen Parker schwerer, obwohl er fließend Deutsch spricht – er ist kein Erzähler und Schwadronierer wie Knopf.

Keine rühmliche Rolle spielte dabei Jürgen Hillesheim: Er stellte einige Fragen und ließ seine Blicke ansonsten in die Ferne schweifen. Dabei hätten beide Biographen seine Hilfe brauchen können: Knopf hätte er ab und zu sanft zum Thema zurückholen können. Dessen Sätze hätten, wie sein Buch, auf die Hälfte zusammengekürzt immer noch Wirkung entfaltet – dann wäre auch Parker öfter zu Wort gekommen. Und auch der hätte Hilfe gebrauchen können: Als er dem Filmemacher Heinrich Breloer nicht genau genug antwortete, unterbrach ihn Breloer – was Parker zum Anlass nahm, den Beleidigten zu geben und eine weitere Antwort zu verweigern. Ein Moderator, der diesen Titel verdiente, hätte vermittelt – Hillesheims Schweigen machte die Situation peinlich.