Kirche, Theater, Eierkuchen
Eine konfliktarme Podiumsdiskussion in der Brechtbühne
Von Frank Heindl
In der vom Deutschen Bühnenverein angestoßenen und deutschlandweit durchgeführten Diskussionsreihe „In welchen Städten wollen wir leben“ ging es am Sonntag in der Augsburger Brechtbühne um „Kirche und Künste als Akteure im städtischen Raum“ – ein Thema, das durchaus Konfliktstoffe birgt. Auf dem Podium wurde vor allem konsensual diskutiert.
Juliane Votteler stieg in die Diskussion ein, indem sie gleich mal eines der großen Probleme des Theaters offen zugab: Vom „Silbersee“ sprechen die Theaterleute, wenn sie von den Rängen aus aufs Parkett hinunterblicken und dort vor allem Grauhaarige sehen. Votteler relativierte diesen Missstand mit Verweis auf die Vergangenheit: Spannungen zwischen den Ansprüchen der jungen und denen der älteren Generation der Theaterbesucher habe es nämlich „immer gegeben.“ Theaternachwuchs aus dem Bevölkerungsteil der Migranten zu fischen, hält die Intendantin allerdings für wenig aussichtsreich: Muslime hätten völlig andere Theater-, Kunst- und Erzähltraditionen, diese nun qua westlichem Überlegenheitsgefühl „ins Theater zu holen“, damit sie dort „eine kulturelle Entwicklung“ nachholen könnten, empfindet sie schlichtweg als „rassistisch“. Eine Gemeinsamkeit mit den Kirchen sieht Votteler in dem Besitz von riesigen, architektonisch bedeutsamen Räumen in den Zentren der Städte, in denen etwas verhandelt werde, „was im Interesse der Menschen ist.“ Diese Aufgabe möchte sie verstärken, sähe das Theater gerne als einen Ort von großer Transparenz und Diskussionsfreude. Im Einwand des kulturpolitischen Sprechers der Augsburger SPD, Frank Mardaus, dass eine solche Offenheit die Migranten und auch die Muslime unter ihnen einschließen müsse, sah Votteler das Streben nach „Entertainment“, dem das Theater nicht nachgeben könne.
In den Städten „kommt zusammen, was nicht zusammengehört“
Weniger explizit äußerten sich die Vertreter der beiden großen Konfessionen: Die evangelische Stadtdekanin Susanne Kasch sieht das Altersproblem ebenso gelassen wie Votteler: Noch immer sei eine Gemeinde ein „altersmäßig sehr gemischter Haufen“, trotzdem müssten in einem zeitgemäßer Gottesdienst die „Fragen der Zeit und die Relevanz fürs Leben vorkommen.“ Helmut Haug, katholischer Pfarrer in St. Moritz, forderte, seine Kirche müsse sich „dem Anspruch einer Gesellschaft im Wandel stellen.“ Man mag beiden Kirchenvertretern durchaus abnehmen, dass sie diesen Ansprüchen gerecht werden. Ein kritischerer Moderator als Gernot Müller, Altphilologe an der Uni Eichstätt, hätte die gefährliche Nähe solcher Statements zum phrasenhaften Wischiwaschi trotzdem als Gelegenheit zu konkretisierenden Fragen aufgegriffen – Müller verkniff sich das und gab an den aus München angereisten Soziologen Armin Nassehi weiter.
Nassehi, Sohn eines muslimischen Vaters und einer katholischen Mutter, gab sich als „braven Katholiken“ zu erkennen und schied damit als Gegenpol zu so viel Einigkeit schnell aus. Er griff zunächst das derzeit beliebteste Argument im Diversitäts-Diskurs auf, indem er darauf verwies, die Theaterverweigerer in der Bevölkerung seien eben nicht die Migranten, sondern „bildungsferne Schichten“ unter In- wie Ausländern. Provozierender schon seine These, die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen der Städte dürften „niemals miteinander befriedet werden“, in den Städten komme „zusammen, was nicht zusammengehört“, und gerade daraus erwachse Potenz und Zukunftsfähigkeit von Wohnorten, die „keine Einheit, kein System“, sondern eine mehr oder weniger chaotische Zusammenballung von Menschen seien. Gerade das Nicht-Verstehen sei „eine Bedingung für das Lernen“, die Akzeptanz des Fremden jene Eigenschaft, die den „bildungsnahen“ Bevölkerungsteil auszeichne.
Zuviel Selbstzufriedenheit auf dem Podium
So interessant die einzelnen Statements mitunter waren – man konnte die Einwände des SPDlers Mardaus gut verstehen. Denn alles in allem schien die Veranstaltung auf eine allzu große Selbstzufriedenheit hinauszulaufen, schienen sich alle Podiumsdiskutanten einig darin, ohnehin alles richtig zu machen, ihre Bestes zu tun und zu geben. Man hätte gerne wenigstens vernommen, dass es noch viel zu tun gibt. Man weiß von Frau Votteler, dass der Problembereich Migranten/Muslime sie nicht kalt lässt – man hätte gerne von ihr gehört, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, wenn es um die „Inklusion“ solcher Bevölkerungsgruppen geht, als darum, ihnen ein Gefühl und ein Bewusstsein davon zu vermitteln, dass sie dazugehören dürfen, dass man ihnen Wege und Möglichkeiten schaffen möchte, sich auch in ihrer Andersartigkeit als Teil der hiesige Gesellschaft wahrzunehmen. Solche Versuche müssen nicht per se überheblich oder gar rassistisch sein und sie fordern sicherlich einen deutlich längeren Atem als die Dauer einer Intendanz. Und sie brauchen mehr Befürworter als „nur“ die Künste. Über die Rolle der Kirchen in einem solchen Prozess wurde am Sonntag nicht gesprochen – wenngleich der Soziologe Nassehin den Augsburger Religionsfrieden von 1555 als Beispiel einer „Generalinklusion“ erwähnte: Die verfeindeten Parteien hatten erstmals anerkannt, dass die unter einem Dach zusammengehörten, ohne dabei ihre Konflikte zu begraben – das war dann die Aufgabe der nachfolgenden 500 Jahre.
Das Theater muss derzeit ebenso sehr um seine Existenz kämpfen wie die Kirchen, die Deutungshoheit über die Gegenwart ist beiden Institutionen abhanden gekommen, beide beklagten am Sonntag die „Ökonomisierung“ der Gesellschaft. Hätten in diesen Zusammenhang nicht auch Begriffe wie „Opposition“ oder gar „Widerstand“ gehört? Juliane Votteler hatte in einem Verweis auf Shakespeare und dessen „Kritik an Macht, Staat, Herrschaft“ darauf hingewiesen, dass Kunst und Widerstand über weite Strecken zusammengehören. Pfarrer Helmut Haug freute sich aufrichtig und wortreich über einen großen, ungenutzten Raum in seiner neuen Moritz-Kirche, 10 Meter lang, 28 Meter hoch, nur dem Licht gewidmet. In der Tat ein architektonisches Zeichen gegen die penetrante Forderung nach Nützlichkeit und ökonomischem Nutzen. Aber sicherlich nicht ausreichend, um eine Stadt lebenswert zu machen und zu erhalten, deren City, beispielsweise, über keine Lebensmittelgeschäfte mehr verfügt.
Oder darf man Kunst, Theater und Kirche nicht so nahe mit profanen Alltagsproblemen zusammenbringen? Etwas mehr Konfrontation mit dem, was Alexander Mitscherlich schon vor vierzig Jahren als die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ beschrieb, hätte der Diskussion jedenfalls nicht geschadet – so endete sie mit allzu viel Konsens über durchaus strittige Themen. Mit „Friede, Freude, Eierkuchen“ bezeichnet man gemeinhin Situationen, in denen die wahren Konflikte unter den Teppich gekehrt werden. Vielleicht waren die zwei Stunden in der Brechtbühne aber auch einfach nur zu kurz, um zu den konkreten Problemen vorzudringen.