Die Schlacht um den Königsplatz
Der neue Königsplatz ist fertig. Er ist das Produkt eines politischen Entscheidungsprozesses, der in seiner Härte ohne Beispiel ist. Die Vorentscheidung einer jahrelangen Auseinandersetzung wurde durch einen Bürgerentscheid eingeleitet.
Von Siegfried Zagler
Plakate zum Kö-Bürgerentscheid am 25. November 2007
Soll der Augsburger Stadtrat dem Umbau des Königsplatzes erst dann zustimmen, wenn er seiner Entscheidung Planungen zugrunde legen kann, die von unabhängigen Fachleuten in einem offenen ldeenwettbewerb entwickelt wurden, der ein Gesamtkonzept für den künftigen innerstädtischen öffentlichen Personennahverkehr und den motorisierten lndividualverkehr zum lnhalt hat?
So die Fragestellung eines Bürgerentscheids, der in der politischen und städtebaulichen Geschichte der Stadt eine Wende einleiten sollte. Es handelte sich um jenen Bürgerentscheid, der die damalige Königsplatzplanung der Stadtwerke stoppte. 24 Prozent der wahlberechtigten Augsburger nahmen an der Abstimmung teil, davon beantworteten 53,2 Prozent diese Frage mit Ja. Das war am 25. November 2007 und stellte nicht nur für die damalige Stadtregierung eine große Überraschung dar. Schließlich entschied sich die Mehrheit der Augsburger mental für einen Tunnel am Königsplatz, der damals als einzige verkehrliche Alternative zum „Wengert-Kö“ im Raum stand. Die CSU warb für diesen Tunnel („Tunnel statt Chaos“) und der heutige Oberbürgermeister bekam noch im Herbst 2007 im Bierzelt der Lechhauser Kirchweih großen Applaus, als er für einen Tunnel am Königsplatz plädierte und Volker Schafitels Begehren „volle Unterstützung“ zusagte. Übrigens: gegen die Haltung des späteren Koalitionspartners Pro Augsburg. Die Wählervereinigung unterstützte in der entscheidenden Schlacht um die Gestaltung des Augsburger Königsplatzes die Position der damaligen Stadtregierung, die damals argumentierte, dass man das gesamte Projekt gefährde, würde es der Bürger mit diesem Bürgerentscheid verzögern, da sonst die Fördermittel von Land und Bund nicht mehr fließen würden.
Ein Gegenbegehren blieb erfolglos
Als das Ergebnis des Bürgerentscheids bekannt wurde, sorgten der damalige Oberbürgermeister Paul Wengert und der damalige Fraktionsvorsitzende Karl-Heinz Schneider mit ihren unbedachten Bemerkungen („Die Wähler haben die Fragestellung nicht verstanden“) für einen tagelangen Shitstorm auf der Leserbrief-Seite der Augsburger Allgemeinen und meißelten somit ihre kommende Wahlniederlage in Stein. Per OB-Verfügung beauftragte Paul Wengert am Tag nach dem Entscheid die Verwaltung mit der Ausschreibung des vom Bürgerentscheid geforderten Ideenwettbewerbs. Ein medial beachtetes Gegenbürgerbegehren wurde zwei Monate später (fünf Wochen vor der Kommunalwahl) gestartet: “Sind Sie dafür, dass die Stadt Augsburg die bereits gefassten Beschlüsse des Stadtrats zur Verwirklichung des Gesamtprojektes Mobilitätsdrehscheibe – insbesondere den sofortigen Umbau des Hauptbahnhofs – unverzüglich umsetzt und deshalb das Ergebnis des Bürgerentscheids vom 25. November 2007 aufgehoben wird?“, so die Fragestellung, die dem Initiator Walter König zwar einen Auftritt in der BR-Satiresendung „quer“ verschaffte, aber sonst keine weiteren Erfolge. Nach 5.000 mühevoll gesammelten Unterschriften gab Walter König auf.
Im März 2008 gewann Kurt Gribl als Außenseiter-Kandidat der CSU die OB-Wahl gegen SPD-Mann Paul Wengert. Als großer Wahlverlierer ging die Fraktion der SPD hervor, die fünf Sitze im Stadtrat verlor. Der Ideenwettbewerb lief zwischenzeitlich längst auf vollen Touren. Im Februar 2009 wurden die Entwürfe in der Toskanischen Säulenhalle im Zeughaus ausgestellt und knapp 10.000 Besucher der Ausstellung staunten über den Siegerentwurf von Architekt Eberhard Wunderle: Die Idee eines autofreien Augsburg-Boulevards mit der Brechung der Konrad-Adenauer-Allee und einer gegenläufigen Schaezler- und Schießgrabenstraße war geboren und wurde von der neuen Stadtregierung (CSU/Pro Augsburg) und Oberbürgermeister Kurt Gribl mit vielen Abstrichen und schweren Nebengeräuschen aus den Reihen der CSU umgesetzt.
Ein “Tunnelbegehren” blieb erfolglos
Im Sommer 2010 formierte sich unter der Federführung von Gottfried Schröder, Wolf Noack und Erika Still-Hackel eine Bürgerinitiative, die für einen “Tunnel am Königsplatz statt Chaos in der Innenstadt” ein Bürgerbegehren startete. Unterstützt wurde die Initiative von Volker Schafitel (heute OB-Kandidat der Freien Wähler) und Rolf von Hohenhau (CSU), die bis auf den heutigen Tag davon überzeugt sind, dass die „Merkle-Realisierung“ des Ideenwettbewerbs keine gute Lösung für den innerstädtischen Gesamtverkehr darstellt. Nachdem abzusehen war, dass die Initiative ihre 10.000 Unterschriften stemmen wird, startete die Stadtregierung mit Hilfe der SPD ein Ratsbegehren gegen das Vorhaben, „das Wahlversprechen der CSU verspätet einzulösen“ (Still-Hackel). Nicht zuletzt mit der Unterstützung eines hochkarätigen Werbefeldzuges der Stadtwerke gewann die Stadtregierung das ungleiche Duell eindeutig: 73,9 Prozent der Wähler sprachen sich für das Ratsbegehren aus. Das war am 21. November 2010.
Hätte sich das Bürgerbegehren nicht durchgesetzt, hätte wir heute eine andere Stadtregierung
Von diesem Tag an ging es „nur noch“ darum, wie viel vom Geist des Siegerentwurfs in den Bebauungsplan 500 Niederschlag findet. Zahlreiche Debatten und Abstimmungen im Augsburger Stadtrat waren davon gekennzeichnet. Am 15. Dezember 2013 wurde der neue Königsplatz „mit großem Bahnhof“ eröffnet. Die alte Wengert-Planung hätte städtebaulich nicht viel Aufhebens gemacht, sie hätte einfach mehr Platz geschaffen für die länger gewordenen Straßenbahnen und eine zusätzliche Straßenbahnlinie. Hätte sich der Regenbogen (und Pro Augsburg) im Herbst 2007 gegen die Mutter aller Bürgerbegehren am 25. November 2007 durchgesetzt, hätten wir heute eine völlig andere Stadtregierung und ein anderes Stadtzentrum. Die Fußgänger würden noch mittels Verkehrsampeln die Konrad-Adenauer-Allee queren und die ehemalige Stadtautobahn vom Theodor-Heuss-Platz bis zum Theater wäre als zentrale Nord-Süd-Achse noch erhalten.
Dass sich beim Regenbogen diese Planung gegen Tunnelpläne am Königsplatz behauptete, ist nicht auf städtebauliche Überlegungen zurückzuführen, sondern auf ein vom damaligen Stadtwerke-Chef Norbert Walter geschnürtes Paket namens „Mobilitätsdrehscheibe“. Ein Paket mit einer positiven Standardisierten Bewertung: Linie 6, Königsplatz, Bahnhof. Würde man dieses Paket nochmal aufschnüren, so wären die Fördergelder nicht mehr sicher, so das Credo des damaligen Chefplaners. Dass sich die CSU nur sehr zögerlich dem Bürgerbegehren Schafitels anschloss, hatte mit dieser Legende zu tun, aber auch damit, dass die CSU von Beginn an bei der Planungsentstehung und Fortschreibung beteiligt war. „Demokratieschädigend“ nannte Stefan Kiefer (OB-Kandidat der SPD) das Umsteuern der CSU, da „sie mit falschen Phrasen gezündelt“ hat.
Nur sehr zögerlich ließ sich die CSU-Fraktion vom Schafitel-Furor eines Bürgerbegehrens anstecken. Kurt Gribl blieb damals lange skeptisch („ein zu heißer Ritt“) und Volker Ullrich (heute Bundestagsabgeordneter und inoffizieller Generalsekretär der Augsburger CSU) war hartnäckig dagegen und blieb dabei. Die innerparteilichen Zwistfelder, die die Augsburger CSU bis heute prägen, stammen aus dieser Zeit. Neben Schafitel waren auch Rainer Schönberg und Günter Göttling sowie Karin Wagner Initiatoren. Schafitel war der politische Macher und Kopf der „Viererbande“, die mit ihrem gewonnenen Bürgerbegehren den Lauf der Stadtgeschichte so nachhaltig veränderte. Zweimal „feierte“ die Stadtratsfraktion der Grünen via Pressemitteilung das Datum des Bürgerentscheids als Mahn-Datum, um darauf aufmerksam zu machen, dass man so nicht Politik machen dürfe. Heute betrachten die Grünen das damalige Szenario milder. Für Dieter Ferdinand, damals Fraktionschef der Grünen, steht heute fest, dass es viel besser gewesen wäre, wenn man die Kö-Planung von Beginn an mit einem Ideenwettbewerb gestartet hätte.