Mehrgenerationentreff Hochzoll: “Harte Zahlen, harte Fakten”
500 Mehrgenerationenhäuser gibt es bundesweit. Am Freitag vergangener Woche wurde das zehnte von insgesamt zwölf Mehrgenerationenhäusern in Augsburg als Konzeptbaustein in den aufwendig renovierten “Holzerbau” in der Neuschwansteinstraße 23 in Hochzoll integriert.
Das Großprojekt wird vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend und dem Europäischen Sozialfonds für Deutschland (ESF) initiiert und gefördert. “Der demografische Wandel und die Globalisierungsmechanismen haben die Grundlagen der Gesellschaft verändert und traditionelle Leitbilder infrage gestellt. So haben die gestiegenen Lebenserwartungen das Bild von älteren Menschen grundlegend gewandelt und zu einer Ausdifferenzierung dieser Alterphase geführt, die sogenannte ‘Generation 50 plus’ verfügt über wichtige Potentiale für die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens”, so die Diplom-Pädagogin Angelika Diller in der Einleitung zu ihrem Recherchebericht für das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.
Das Ministerium hat unter Federführung von Familienministerin Ursula von der Leyen als Antwort auf diesen radikalen gesellschaftlichen Veränderungsprozess das bundesweite “Aktionsprogramm der Mehrgenerationenhäuser” ins Leben gerufen. Ziel des Programms ist es, den Zusammenhalt zwischen den Generationen auch außerhalb der Familien zu stärken sowie das Prinzip der Großfamilie in die moderne Gesellschaft zu übertragen. Das Programm, so das Ministerium auf seiner Homepage, soll das selbstverständliche Nehmen und Geben von Menschen unterschiedlichen Lebensalters unter einem Dach und damit in einem öffentlichen Raum ermöglichen.
“Klingt so leicht und ist doch so schwer”
Den mit dem Programm angestrebten Paradigmenwechsel in den Generationenbeziehungen betonte auch OB Kurt Gribl in seinem Grußwort zum Start des neuen Mehrgenerationentreffs in Hochzoll. “Im Jahr 2035 werden wir die älteste Bevölkerung in der Welt haben.” Es sei aber nicht so, dass wir wollen, dass die Menschen weniger alt werden. “Man wird nicht nur älter, es steigt auch der Erfahrungsschatz.” Gribl zitierte die bekannten düsteren Prognosen des demografischen Wandels. In 40 Jahren werde auf zwei Sterbefälle nur eine Geburt kommen. “Harte Zahlen, harte Fakten”, die für Gribl eine Herausforderung mit der Botschaft bedeuten, dass es nur miteinander gehe. “Wir müssen also Konzepte entwickeln, um das Kommende zu meistern. Alt und Jung zusammenbringen in dem Sinne, dass ältere und jüngere Menschen miteinander etwas tun. Klingt so leicht und ist doch so schwer.”
“In dieser Stadt fühl´ ich mich zu Haus”
Die zwölf Mehrgenerationentreffs – die Häuser Elf und Zwölf sind in der neuen Stadtbücherei und im Wollmarkt vorgesehen – sollen in Augsburg dazu beitragen, dass der Wunsch aller Generationen nach Sinnstiftung und Gemeinschaft eine örtliche Entsprechung findet. Im Zentrum des Netzes wird der Treff in der neuen Stadtbücherei stehen, von dem “Impulse intergenerativen Denkens in alle Stadtteile” ausgehen sollen.
Während drinnen die Festreden gehalten wurden und zwischendrin die im Programm als “Frau Schuster” angekündigte Solosängerin Hildegard-Knef-Songs zum Besten gab, unterrichte der in den Siebzigern stehende Senior Klaus Schielke draußen im Hof Kinder im Schachspiel. Beim Song der hervorragenden Knef-Interpretatorin mit dem treffenden Refrain “In dieser Stadt kenn´ ich mich aus, in dieser Stadt fühl´ ich mich zu Haus” gönnte sich der Lechhauser Schachtrainer ein paar Sekunden Pause und wippte ohne es zu merken mit dem Oberkörper ein paar Takte mit.
Ex-Finanzreferent “Vater des Projekts”
Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend fördert Mehrgenerationshäuser seit Januar 2008 mit 40.000 Euro pro Jahr. Sieben konkrete Mindestkriterien sind dabei zu erfüllen. Um den “Gelddurchfluss” (SPD-Stadtrat Stefan Quarg) nicht zu gefährden, sei der Umzug des “Mehrgenerationenladens” von der Karwendelstraße in die Neuschwansteinstraße notwendig geworden. “Das Haus in der Karwendelstraße hätte aus räumlicher und somit auch aus organisatorischer Sicht den Förderkriterien nicht genügt”, so Stefan Quarg, der zusammen mit den Stadträten Liselotte Grose (SPD) und Werner Lorbeer (Pro Augsburg) unter den Festtagsgästen weilte. Werner Lorbeer, der in der ehemaligen Schule des Holzerbaues noch unterrichtete, konnte sich im Gespräch mit der DAZ die Bemerkung nicht verkneifen, dass die Augsburger SPD mit der mehr als einer Million Euro teuren Renovierung des Hauses und der terminlich passenden Einweihung “geschickt” Wahlkampf betrieben habe.
Der erste Vorsitzende des Trägervereins “Bürgertreff”, Gregor Lang, hob in seiner Eröffnungsrede dann auch hervor, dass ohne den umsichtigen Einsatz des ehemaligen Finanzreferenten Gerhard Ecker – “der Vater des Projekts” – das neue Haus in dieser beeindruckenden Gestalt nicht möglich gewesen wäre. Kurt Gribl stimmte zu: “Es ist sehr beeindruckend, was das Haus ausstrahlt.”
Die Förderkriterien für Mehrgenerationenhäuser des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend:
- Einbeziehung der vier Lebensalter: Kinder und Jugendliche, Erwachsene, junge Alte (über 50 Jahre) und Hochbetagte
- Generationsübergreifende Angebote
- Kinderbetreuung
- Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamtlichen auf gleicher Augenhöhe; starke Einbeziehung des bürgerschaftlichen Engagements
- Entwicklung als Informations- und Dienstleistungsdrehscheibe vor Ort
- Einbeziehung der lokalen Wirtschaft
- offener Tagestreff mit Cafeteria/Bistro