Theatersaison 2015/2016: „Das ist das neue Leben“
Mitten in der Sanierungsdiskussion hat die Metapher vom “neuen Leben” einen besonderen Beiklang. Doch in der kommenden Spielzeit bleibt räumlich noch alles beim Alten. Dennoch ist die Diskussion um die Daseinsberechtigung von Theater in vollem Gang.
Von Halrun Reinholz
Die Pressekonferenz zum Spielplan der kommenden Saison hat immer ein bisschen was von Weihnachten: Es gibt Wünsche, Ahnungen und Gerüchte – und dann werden die Päckchen aufgeschnürt. Zunächst sitzt diesmal ein neuer Kulturreferent mit in der Runde. Er ist gleichzeitig ein alter Bekannter und aktiver Unterstützer des Theaters, woher er selber kommt. Thomas Weitzel ist ein Teil der Familie. Und dann schwingt bei allem, was gesagt wird, die Diskussion um die Theatersanierung unterschwellig und explizit mit. Eine Diskussion, die das Theater offensiv und mit breiter Bürgerbeteiligung führt – nicht erst, seitdem die voraussichtlich astronomischen Sanierungskosten veröffentlicht wurden, aber dann erst recht. – Die kommende Spielzeit ist von den Sanierungsplänen allerdings noch nicht wirklich betroffen – das Große Haus kann ebenso genutzt werden wie die Brechtbühne und der Hoffmannkeller. Alles wie immer, eigentlich.
Bewährter Mix aus Bekanntem und Neuem im Schauspiel
Als Erste packen die beiden Schauspiel-Leiter Viktoria Maria Linke und Oliver Brunner ihr Päckchen aus. Ein gefälliger Mix aus Klassikern und weniger Geläufigem kommt zum Vorschein, was an sich keine Überraschung ist und sich bewährt hat: Oscar Wilde (Der ideale Mann, in der deutschen Fassung von Elfriede Jelinek), Shakespeares Sommernachtstraum, Tennessee Williams mit Endstation Sehnsucht und Platonow von Anton Tschechow. Eröffnet wird mit einem Stück des jungen Dramatikers Wolfram Lotz, „Die lächerliche Finsternis“, der für seine absurd-komischen Karikaturen über die globalisierte Welt bekannt ist. Ein Schmankerl (und Publikumsrenner) verspricht „Die Geierwally“ zu werden, die Geschichte um eine starke Frau aus den Tiroler Alpen nach dem Roman der 1836 in München geborenen Wilhelmine von Hillern. In Kooperation mit dem Jungen Theater Augsburg entsteht im Hoffmannkeller „Der Boxer“ nach den Lebenserinnerungen des von den Nazis verfolgten jüdischen Boxers Hertzko Haft. Ebenfalls im Hoffmannkeller werden als Uraufführung „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“ aufgetischt, nach einer wohl viel Komik verheißenden Familiengeschichte der Russin Alina Bronski. Zwei Romanadaptionen also im Spielplan, damit scheint die Mode (um nicht zu sagen: Unart) der Dramatisierung von Epischem nun auch in Augsburg angekommen zu sein. Auch Kooperationen sind in Mode gekommen: „Twenty four Augsburg“ entsteht (noch ohne nähere Angaben) mit dem sensemble Theater, während im Justizpalast „Schuld & Bühne“ zusammen mit bluespot productions stattfindet. Das Märchenstück in der neuen Spielzeit ist „Peter Pan“, daneben gibt es aber auch eine Produktion auf der Brechtbühne für Jugendliche: „Max & Moritz – Bad Boys“, ein als „Rapucation“ firmierendes Stück von Sigrun Fritsch und Robin Haefs in Uraufführung. Rap wird dort als Stilmittel eingesetzt und Jugendliche spielen in der Aufführung mit.
Hamlet selbst gemacht und Ballettgala an zwei Abenden
Robert Conn packt die Gaben des Tanztheaters aus. Hauptgeschenk: Hamlet als Handlungsballett, choreographiert von Stephen Mills nach der Musik von Philip Glass, also eine Eigenproduktion des Hauses. Außerdem wird „Romeo und Julia“ wegen des großen Zuspruchs wieder aufgenommen. Dann gibt es noch je eine Produktion im Großen Haus („Von Göttern und Menschen“, ein vierteiliger Ballettabend) und auf der Brechtbühne („Soto Danza“ – Choreografien von Cayetano Soto). Ein „Koffernballett“ wird speziell für Kinder produziert. Aufführungsort ist das Foyer des Theaters, aber auch andere Orte können mobil bedient werden. Das „Zuckerl“ lässt sich Robert Conn auf der Zunge zergehen: Die Ballettgala wird es im Juni 2016 doppelt geben, also an zwei Tagen hintereinander. Wenn das nicht wie Weihnachten ist!
150 Jahre Augsburger Philharmoniker mit neuem Generalmusikdirektor
Lancelot Fuhry stellt als kommissarischer GMD das Konzertprogramm vor. Mit der neuen Spielzeit endet die GMD-lose Interimszeit und so ist der neue Chef Domonkos Héja immerhin schon mit einem Grußwort im Programmheft zu finden. Präsenz zeigt er dann ab Herbst auch am Dirigentenpult: Bei fünf von acht Sinfoniekonzerten bietet er den Augsburgern Gelegenheit, ihn mit allen seinen Facetten kennenzulernen. Gleich zum Einstieg im Oktober wird es ein „Fest-Spiel“ im wahrsten Sinne des Wortes geben: Das Orchester feiert nämlich sein 150. Jubiläum, unter anderem übrigens mit einer Auftragskomposition von Hans-Jürgen von Bose. Dank des treuen Sponsors MAN Roland können auch in der kommenden Spielzeit wieder hochkarätige Gäste eingeladen werden: „Artist in residence“ ist der Meisterpianist Bernd Glemser, der in zwei Sinfoniekonzerten, aber auch im Familienkonzert und in einigen Sonderkonzerten zu hören sein wird. Auch die Geigerin Isabell van Keulen, der Flötist Henrik Wiese und der Dirigent Konrad Junghänel werden in Augsburg gastieren. Beim Publikum haben sich die monatlichen Konzertabende im Kongress am Park längst zum Geheimtipp entwickelt, wenn man als Kriterium dafür die oft zweimal ausverkaufte Halle in Betracht zieht.
Musiktheater: Von Schostakowitsch bis Cabaret
Georg Heckel entpackt das Geschenkpaket des Musiktheaters. Auch hier eine gute Mischung aus Bühnenhits und Unbekanntem. Einstieg gleich Ende September mit der „ultramodernen“ Oper von Alexander Zemlinsky „Der König Kandaules“. Zemlinksy hatte die Oper nach einem Drama von Andre Gide in den dreißiger Jahren zu schreiben begonnen und nahm sie mit ins New Yorker Exil, wo niemand Interesse daran fand. Das unvollendete Werk wurde erst 1996 vervollständigt aufgeführt. Eine Herausforderung für den neuen Generalmusikdirektor und den Regisseur Lorenzo Fioroni. Ebenfalls wenig geläufig ist „Lady Macbeth von Mzensk“ von Schostakowitsch. Die Inszenierung von Peter Konwitschni (in Augsburg in dieser Spielzeit mit einer umjubelten Jenufa präsent gewesen) entstand in Kooperation mit der Königlichen Oper Kopenhagen. An Klassikern wird es Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach geben und Donizettis Liebestrank, daneben mal wieder eine Operette: Die Csárdásfürstin von Emmerich Kálmán. Auch das Musiktheater hat eine mobile Opernproduktion für Kinder im Portfolio: „Kannst du pfeifen, Johanna?“, von Alexander Stessin. Ja, und die Freilichtbühne natürlich. Da gibt es im nächsten Jahr auch wieder Musical „klassisch“: Cabaret. Offenbar hat man künftig die Absicht, Musical auf der Freilichtbühne als Regel zu etablieren – die Zuschauerzahlen sprechen dafür. Interessant deshalb die Unterscheidung von Juliane Votteler, man wolle abwechselnd „rockige“ (wie in diesem Jahr Blues Brothers) und „klassische“ Musicals (wie Cabaret) produzieren.
Zwischen Innovation und Spießbürgertum
Ein gefälliges, ein „spießiges“ Programm für Augsburg? Ein Programm, das Augsburg und seinen Bedürfnissen gerecht wird, würde man sagen. In den letzten 20 Jahren hat das Theater deutlich an Struktur gewonnen und den Spagat zwischen gefälliger Unterhaltung für ein konventionell gesinntes Publikum und innovativen Ideen nach einigem Stolpern doch weitgehend hinbekommen. In der Diskussion um die Zukunft des Theaters in Augsburg ist das der entscheidende Aspekt. Es gibt sicher Gestaltungsmöglichkeiten, man kann sich mehr öffnen und andere Gruppen ansprechen. Das alles wird bereits getan, weil es eine Forderung der Zeit ist (nicht nur in Augsburg). Und doch hat auch das „klassische“ Theater seine Berechtigung. Angesichts einer Jugend, die sich politisch radikalisiert, obwohl es ihr (zumindest materiell) an nichts fehlt, stellt sich die Frage nach den Werten einer Gesellschaft mit neuer Dringlichkeit. Die Frage selbst ist nicht neu, es gibt bereits Antworten darauf – oder zumindest Denkanstöße. In der Literatur (die man erst lesen müsste). Und im Theater. Allein darum ist es Unsinn, das „Bildungsbürgertum“ nach München ins Theater zu schicken. Das Bildungsbürgertum braucht diese Hinweise nicht, es geht von allein auch in München, Stuttgart, Wien, Berlin oder sonstwo ins Theater. Aber die Klassiker (ebenso wie die Autoren von heute) haben auch Antworten für die jungen Leute oder für die, die nicht zum klassischen Bildungsbürgertum gehören. Und die sich niemals nach München in ein Theater aufmachen würden. Die kann ein Theater vor Ort, wie es das Augsburger Theater ist, auffangen und zum Nachdenken bringen. Mit Klassikern. Mit modernen Stücken. Auch mit unbequemen Stücken. Aber Theater soll auch unterhalten, Spaß machen, Kunstgenuss bieten. Und deshalb muss es präsent sein, mit allen Sparten, mit allen Facetten, mit allen Möglichkeiten. Freie Bühnen sind eine (wichtige!) Ergänzung, aber kein Ersatz. Die Arbeit mit Kindern, die Theaterpädagogik, das sind prägende kulturelle und bildungspolitische Standortfaktoren. Orchester, Ballett, Musiktheater – sie gehen an Schulen und zeigen, wie Kunst funktioniert. Wie soll man sowas leisten ohne eine zentrale Institution wie das Theater? Wie soll man Werte vermitteln und Vorbild sein? Mit dem neuen Spielplan versucht das Theater auch diesmal wieder, all dem vor Ort gerecht zu werden. Man kann über die Inhalte diskutieren, über die Gewichtung von Werten, über Spielpläne und Spießer, nicht aber über das Theater als solches.
» Der Spielplan zum Download (pdf 11,9 MB, via theater-augsburg.de)