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„Reife“ Leistung

Mit zwei “Werken der Meisterschaft” – so die Ankündigung des Konzerts – beschlossen am vergangenen Dienstag die Augsburger Philharmoniker im Kongress am Park die Saison 2015: Béla Bartóks Konzert für Orchester, eines der effektvollsten symphonischen Werke des 20. Jahrhunderts, und Johannes Brahms’ zweites Klavierkonzert, das der Meister im Alter von 50 Jahren komponiert hat.

Von Otto Hutter



„Sinfoniekonzert“ bezeichnet eine musikalische Veranstaltung eines Orchesters, in der zwei Gattungen die Konzertprogramme dominieren. Einmal die Sinfonie, ein prototypisch vierteiliges Musikstück: Schnell, langsam, Tanz (oder Scherzo), schnelles Finale. Während unter „Konzert“ im engeren Sinne ein Musikstück verstanden wird, in dem ein Soloinstrumentalist von einem Orchester begleitet wird oder gegen dieses anspielt. Typischerweise 3-sätzig: Schnell, langsam, schnell. Das achte Sinfoniekonzert der Augsburger Philharmoniker, „Reife“ überschrieben, stellt nicht zufällig zwei „Konzerte“ gegenüber, die die Grenzen der traditionellen Gattungen überschreiten.

Das zweite Klavierkonzert in B-Dur von Johannes Brahms charakterisiert der legendäre Kritiker Eduard Hanslick, ein Brahms-Zeitgenosse, als „große Sinfonie mit obligatem Klavier“. Den Sinfonie-Charakter lassen die ersten zwei Sätze hören, in denen Brahms seinen typischen, vollen Orchesterklang entfaltet. Anders der liedhafte („lyrische“) dritte Satz. Kammermusikalisch singt ein einzelnes Cello das Thema, die Instrumentengruppen schleichen sich ein, und sobald das Klavier übernimmt, zeigt der Solist des Abends, der Brahms-Experte Gerhard Oppitz, dass er ein großer Pianist ist. In Solokonzerten gesteht der Dirigent üblicherweise dem Solisten die interpretatorische Führung zu. So reduziert Oppitz bei seinem Einsetzen das Tempo, und es gelingt ihm eine Intensität des Lyrischen, die organisch in eine dramatische Steigerung mündet. Im spielerischen Finalsatz klappt ab der Reprise das Zusammenspiel von Orchester und Klavier makellos. Mit diesem Eindruck wollte man in die Pause gehen, und Gerhard Oppitz ist zu danken, dass er den albernen Versuchen eines Teils des Publikums, eine Zugabe „herauszuklatschen“, nicht nachgab.

Als Spitzenorchester präsentiert

Die Sensation des Abends ereignete sich aber nach der Pause. Béla Bartóks „Konzert für Orchester“ ist kein (Solo-)Konzert, sondern eine fünfsätzige Sinfonie. Die Bezeichnung als Konzert erklärt sich durch eine „solistische Handhabung gewisser Instrumente“. Entstanden 1943 nach dreijähriger Komponierpause zeigt Bartók hier noch einmal alle Facetten seines Könnens. Verblüffend, welche Unterschiede in Klangfarben, Rhythmen und damit an Stimmungen Bartók mit den Instrumenten des Orchesters erzeugt. Anders als bei Brahms, wo sich alles aus dem Vorangegangenen entwickelt, arbeitet Bartók rhapsodisch. Der Reiz entsteht dadurch, dass disparate Elemente kontrastiert werden.

Die Schwierigkeit für die Instrumentalisten besteht hierbei nicht so sehr in der Gestaltung der eigenen Parts als vielmehr im Zusammenspiel, also der exakten Übernahme und der exakten Weitergabe. Dass dem Dirigenten hier eine entscheidende Rolle zufällt, versteht sich von selbst. Erschwert wird das ganze dadurch, und das prädestiniert dieses Werk zur Standortbestimmung eines jeden Orchesters, dass man alles hört. Die Beschreibung des Höreindrucks mag übertrieben klingen, wird durch den Applaus eines Publikums, das durchgehend gebannt war, aber bestätigt: Man hat alles gehört, und alles hat gestimmt. Die Augsburger Philharmoniker haben sich als Spitzenorchester präsentiert.

Der Dirigent Lancelot Fuhry war sich bewusst, dass er nach dem Weggang von Dirk Kaftan und vor der Ankunft von Domonkos Héja mit diesem Konzert seine große Chance hat. Er hat sie genutzt.

Zum Autor:



Otto Hutter, Stadtrat DIE LINKE, hat in Erlangen Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft studiert. Er war 1. Geiger im Erlanger Universitätsorchester und zeitweise Konzertmeister. Er war Mitglied in der Findungskommission für den neuen Generalmusikdirektor.