Abserviert
Eine kurze Chronik zu einem unvermeidlichen Abschied
Kommentar von Siegfried Zagler
Juliane Votteler – Foto: Siegfried Kerpf
In Sachen Augsburger Theaterchefin existiert jede Menge „Flüsterpost“. Damit sind Aussagen auf der Gerüchte-Ebene und nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Bewertungen bezüglich des Führungsstils und der kommunikativen Kompetenz der Intendantin gemeint. Bewertungen, die man weder laut sagen noch zugespitzt beschreiben darf, da eine öffentliche Debatte bezüglich einer individuellen Struktur ganz sicher etwas Beschädigendes für die Person hätte. „Worüber man nicht sprechen kann, soll man schweigen“, so Ludwig Wittgensteins Schlusssatz in seinem tractatus logico-philosophicus, den Wittgenstein selbst viel redend im Lauf seines weiteren Schaffens ad absurdum führen sollte.
Bleiben wir bei der Intendantin. Unter ihrer Ägide ist der Opernball des Stadttheaters zu einem Großereignis aufgestiegen. Wenn man aber inhaltlich bewerten wollte, was sie für die Theaterstadt Augsburg geleistet hat, dann hätte man regelmäßig ins Theater gehen müssen: Lohengrin, Intolleranza, Hänsel und Gretel, Heilige Johanna der Schlachthöfe, Wozzek, Gärtnerin aus Liebe, Macbeth und nimmt man noch La Boheme und Jenufa und die skandalumwitterte Fledermaus dazu, kommt man auf zehn Musiktheater-Inszenierungen, die in der Summe ein künstlerisches Format hatten, das es in dieser Nachhaltigkeit so in dieser Stadt noch nicht gegeben hat. Juliane Votteler hat das Augsburger Musiktheater aus seiner Bedeutungslosigkeit nah an die Sphären der Erstklassigkeit gehievt. Diese gewaltige Leistung dürfte als Fazit übrigbleiben, wenn Theaterintendantin Juliane Votteler im Sommer 2017 die Stadt verlässt. Der Rest besteht aus Schweigen.
Schweigen geht von einer konservativen Interpretation der Wirklichkeit aus, also von der Annahme, dass die normative Kraft des Faktischen unveränderlich ist. Das unmissverständliche Schweigen in Sachen Votteler zeigt aber auch, dass die politische Stadt Tabuisierungen in Kauf nimmt, um den Prozess der Verarbeitung von Zumutungen ein wenig erträglicher zu gestalten. Schweigen kann ein starkes Zeug sein, eine gut begründete Strategie, Schutz und Selbstschutz zugleich: Wer schweigt, schützt die Person, um die es geht und macht sich selbst nicht angreifbar.
Die Vorgänge um den bereits lange feststehenden Abschied der Theaterchefin sind von einem langen Prozess des Schweigens geprägt. Selbst die finale Debatte um die Vertragsverlängerung ist weder vom Kulturreferenten Thomas Weitzel noch von den kulturpolitischen Entscheidern öffentlich geführt worden – auch nicht mit inhaltlichen, also künstlerischen Argumenten geführt worden. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Wäre dies geschehen, wäre die Strategie des Schweigens in Gefahr gewesen. Die politischen Vorgänge zeugen von dieser Strategie und sie bezeugen im Grunde, dass man lieber die politische Ordnung der Stadt auf den Kopf stellt, als eine einmal als richtig betrachtete Kommunikationsstrategie aufgibt. Weder der Kulturausschuss und noch viel weniger der Stadtrat waren in die seltsamen Vorgänge eingebunden, die dazu geführt haben, dass Juliane Votteler zusammen mit Thomas Weitzel eine “Alles ist gut-Pressekonferenz-Show” gab. Die politische Ordnung der Stadt ist damit aus allen Fugen geraten. Davon erzählt dieses Abschiedsprotokoll:
Dienstag, 14. Juli 2015: Die drei Regierungsparteien (CSU, SPD und Grüne) beschließen am Abend beinahe gleichzeitig, den Vertrag mit Juliane Votteler nicht zu verlängern. Nach Informationen der DAZ soll Kulturreferent Weitzel allen drei Fraktionen beratend zur Verfügung gestanden haben.
Mittwoch, 15. Juli 2015: Thomas Weitzel überbringt der überraschten Intendantin vormittags die Nachricht der Nichtverlängerung, die auf nichts als auf einer politischen Absichtserklärung fußt. Vottleler akzeptiert – wohl wegen der faktischen Machtverhältnisse im Stadtrat – diese Absichtserklärung, als würde es sich um einen Beschluss der Stadt handeln. Um 14 Uhr informiert Juliane Votteler auf einer eilig einberufenen Generalversammlung die Mitarbeiter des Theaters über den Stand der Dinge.
Donnerstag: 16. Juli 2015: Kulturreferent Thomas Weitzel und Juliane Votteler laden die Presse zu einem „Hintergrundgespräch“ ins Theaterfoyer ein. Die Intendantin zeigt sich professionell gefasst bis souverän und kündigt ein weiteres tolles Theaterjahr an.
Dienstag: 21. Juli 2015: Im Kulturausschuss der Stadt Augsburg wird via Tischvorlage im nichtöffentlichen Teil die Nichtverlängerung des Vertrages mit der Intendantin unspektakulär und gegen drei Stimmen beschlossen, ohne eine inhaltliche Debatte. Der Fachausschuss soll sich nicht besonders darüber echauffiert haben, dass er bei der Entscheidungsfindung nicht die geringste Rolle spielte.
Am kommenden Mittwoch, den 29. Juli, wird der Stadtrat den nachgereichten Beschluss des Fachausschusses bestätigen und den Abschied von Juliane Votteler formal vollziehen. – Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es weder von der sogenannten Opposition noch von der lokalen Presse (bis jetzt) für das technokratische Abservieren der Intendantin fern der Gemeindeordnung eine kritische Würdigung gab. Immerhin befindet sich Stadtregierung und die Stadt Augsburg mit dieser Vorgehensweise wieder in jenem dunklen Wald, den sie nach der dramatischen Niederlage beim Bürgerentscheid zur Fusion verlassen wollten.