Durchs Requiem gehastet
4. Symphoniekonzert mit vielen Fragezeichen
Von Frank Heindl
Ein paar Zuhörer verließen am Ende wild gestikulierend und diskutierend das 4. Symphoniekonzert der Augsburger Philharmoniker: Wie bloß, bedrängte ein Mann mittleren Alters seine Partnerin, könne man derart uninspiriert durch das Requiem hetzen?
In der Tat hatte Dirigent Domonkos Héja sein Orchester nicht nur in deutlich übertriebenem Tempo durch eines der beim Publikum beliebtesten Mozartwerke gejagt: Zum einen waren die Musiker dieser rasanten Hast nicht gewachsen – es kam zu Schludrigkeiten, mangelnder Präzision, auch Dynamik und Ausdruck wurden in Mitleidenschaft gezogen. Zum anderen, und das wiegt genauso schwer, verlor Mozarts letztes Werk dabei stark an Gewicht. Das Requiem ist nicht nur Publikumsrenner, sondern werkgeschichtlich und biographisch stark überlastet. Die Mythen und Märchen, die sich um seine Entstehung ranken, überwuchern das Werk. Es kann und muss vom Jenseitigen berichten, von Grenzerfahrung, von Todesfurcht und Erlösungshoffnung. Wer sich auf Spekulationen um die Entstehungsgeschichte einlässt, der erwartet gleichzeitig eine musikalische Illustration von Mozarts Leiden um die Komposition, seines Kampfes mit ihr und um sie, seines Todes vor der Vollendung.
Dies alles hat Tendenzen zu Kitsch und zum Populär-Trivialen – Milos Formans „Amadeus“-Film von 1984 muss da ebenso mitgedacht werden wie Falcos „Rock me Amadeus“-Hit. Insofern mag es Gründe geben, das Stück neu und anders zu interpretieren. Doch falls dies Héjas Plan gewesen sein sollte, ist er gescheitert. Denn der Turbo-Durchlauf brachte nicht nur musikalische Unfälle mit sich – gleichzeitig verlor das Werk durch einen deutlichen Mangel an dynamischer Ausgewogenheit einen Großteil seiner dramatisch-ergreifenden Tiefe. Oftmals schien Héja geradezu Plakatives, Überdeutliches anzustreben und damit den „Popfaktor“ noch zu verstärken: Da platzten manche Choreinsätze, beispielsweise im „Dies irae“ oder im „Domine Jesu“, heraus wie Schreie, da leiteten die Violinen das „Rex tremendae“ hoppla-hopp allzu irdisch ein, da klang das „Recordare“ ob der überhöhten Geschwindigkeit mitunter fast schon nach Debussy – so schnell und strömend flossen die Geigenklänge ineinander.
Auch bei Pärt überwog das Demonstrative
Leider kann man diesen interpretatorischen Missgriff nicht einmal als einmaligen Ausrutscher stehen lassen. Denn im Requiem, das den zweiten Teil des Konzertes bildete, bestätigte sich ein Verdacht, der schon vor der Pause aufgekeimt war: Auch Arvo Pärts „Fratres“ wurden zu schnell gespielt. Und Héja steigerte das Stück, das als Inbegriff der Möglichkeit musikalischer Schönheit nach der Auflösung traditioneller Formen und Bezugsebenen dienen könnte, nicht langsam und vorsichtig zu einem nur andeutungsweise wahrnehmbaren Höhepunkt hin, sondern ließ das Orchester in der Hälfte des Stücks allzu deutlich und also wieder mehr plakativ in ein nahezu überraschend kommendes Mezzoforte wechseln. Auch hier raubte er dem Werk, das viel mit Philip Glass‘ serieller Musik gemeinsam hat, ein Gutteil seiner Tiefe, die gerade im Nicht-Plakativen, im Meditativen bestehen sollte, dessen Fließen und Anschwelle genaues Hinhören braucht und durch zeigefingerartiges Verdeutlichen eher zerstört wird. Ein Teil des Publikums nahm das übel. Schade für zwei – eigentlich – wunderbare Werke.