Ohne starke Opposition keine starke Regierung
Warum die Stadtregierung daran erinnert werden muss, dass sie eine Stadtregierung ist
Kommentar von Siegfried Zagler
Die Augsburger Stadtregierung agiert nicht wie ein gewähltes politisches Organ, sondern wie eine scheinbar organisch gewachsene Verwaltung, die stets das Beste will und dabei auf halben Weg so tut, als wäre das Beste bereits erreicht. Nicht wenige Projekte der Ära Gribl sowie der Vorgängerregierungen blieben in der Mitte oder im Ansatz stecken, weil das Geld zu Ende ging. Beim Jahrhundertprojekt „Innenstadtumbau“ wurde „vorübergehend“auf die große stadtplanerische Versprechung, den Fuggerboulevard verzichtet. Das Römermuseum musste wegen Einsturzgefahr geschlossen werden, für ein neues Konzept und ein neues Museumsgebäude fehlt das Geld. Die Sanierung des Stadtmarkts blieb auf halber Strecke stehen, die Sanierung der Grottenau und die Sanierung des Plärrerschwimmbads sind untergegangen wie havarierte Großtanker. Die Sporthalle ist für Großveranstaltungen nicht mehr nutzbar und auch das CFS bleibt ohne Überdachung der zweiten Eisbahn auf einem immerhin höheren Niveau unvollendet. Die Augsburger Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand, sodass die Verwaltung im Schadensfall gar Klagen befürchtet. Die Augsburger Grünen schätzen die Summe, die die Auflösung des Augsburger Sanierungsstaus ermöglichen würde, auf über eine Milliarde Euro. Das Defizit der Altenhilfe wird mit 4 Millionen pro Jahr beziffert und die Schulen wurden über viele Jahrzehnte nicht auf Stand gehalten, weshalb nun in Zusammenarbeit mit dem Freistaat ein großflächiges wie kostenintensives Sanierungsprogramm gestartet wurde, das zirka 300 Millionen Euro schwer wiegt.
Für das Augsburger Stadttheater, eines der größten Theatergebäude in Deutschland, wurden viele Jahrzehnte weniger als 200.000 Euro pro Jahr für den Gebäudeunterhalt ausgegeben. Ein Missstand, den erst Kulturreferent Peter Grab im Jahre 2010 zum Besseren wenden konnte. Grab erhöhte die Unterhaltssumme auf zirka eine Million Euro, eine Summe, die immer noch nicht ausreicht, um den städtischen Theaterkomplex baulich zu unterhalten. Die historischen Wallanlagen, die historischen Gemäuer beim Lueginsland werden unzureichend gepflegt und gewartet und selbst ein auf dem silbernen Tablett servierter Gesamtzusammenhang einer historischen Struktur, die Augsburger Wasserwirtschaft der vergangenen Jahrhunderte könnte auf der Zielgeraden zum Unesco-Weltkulturerbe-Titel scheitern, weil die Stadt die Folgekosten fürchtet. Die Stadt Augsburg kann mit ihrer schwachen Finanzkraft offenbar gerade noch die Pflichtaufgaben der kommunalen Daseinsfürsorge bewältigen. Für die Pflege des größten Schatzes der Stadt, ihre Historizität, fehlt hinten wie vorne das Geld.
Mit zirka 340 Millionen Euro ist die Stadt bereits verschuldet. Der jährliche Schuldendienst der Stadt Augsburg beträgt 14 Millionen Euro und nun soll wegen der umstrittenen Sanierung des Stadttheaters mit 72 Millionen Euro ein neuer Rekordkredit aufgenommen werden. Im Jahre 2022/23 wäre damit das Große Hause fertig saniert. Ein Jahr später sollte dann die komplette Sanierung samt Neubauten erledigt sein. 189 Millionen soll die Augsburger Generalsanierung insgesamt kosten. 56, 5 Prozent davon übernimmt der Freistaat – aber nicht mehr als 107 Millionen Euro. Nach oben ist diese Summe gedeckelt. Die Frage, ob eine dergestalt hohe Neuverschuldung in die Finanzkulisse der Stadt passt, hat Finanzreferentin Eva Weber bereits mit einem deutlichen „Nein“ beantwortet, indem sie die Laufzeit der Finanzierung auf 25 Jahre streckte. Das kann man so machen, doch dann sollte man die Stadtgesellschaft wissen lassen, mit welchem gesellschaftspolitischen Ziel diese langfristige Festlegung verbunden wird.
Auch wenn es der Stadtregierung nach der gescheiterten Fusion und einem derzeit laufenden Bürgerbegehren gegen die geplante Theatersanierung schwer fällt, sollte sie sich darauf besinnen, dass sie eine gewählte Regierung ist, von der man verlangen kann, dass sie ihren Wählern und Bürgern erklärt, wohin ihr Weg im besten Fall führen soll. Das galt für die Fusion, wo die Stadtwerke in Zusammenarbeit mit der Stadt die betroffenen Stadtwerke-Mitarbeiter ins Gefecht schickten und das gilt nun für die Theatersanierung, die ein wenig spät mit einem nachgeschoben Bürgerbeteiligungsverfahren einen demokratischen Anstrich erhalten soll. Ähnlich wie bei der Schlacht um die Fusion werden nun am Vorabend der Schlacht um die Theatersanierung seitens der Stadt Betroffenheitsansichten ins Feld geführt: Eine verstärkte Öffnung des Theaters und eine bessere Kooperation des Stadttheaters mit der freien Szene sind Kernaussagen, die das städtische Bürgerbeteiligungsverfahren zutage gefördert haben.
Man darf davon ausgehen, dass diese inhaltlichen Ziele von betroffenen Akteuren der freien Szene formuliert wurden oder von theaterbegeisterten jüngeren Zuschauern. Und man darf davon ausgehen, dass sich diese Ziele, falls sie umgesetzt werden sollten, sehr wahrscheinlich als Fehlschläge erweisen. Es wären aber immerhin Ziele, die man diskutieren könnte. Die Grundannahme: Mit Kooperationen dieser Art wird die ohnehin nachlassende Kraft eines Stadttheaters geschwächt, das immer noch so konstituiert ist, dass es den institutionalisierten Kanon der Kunst gestaltet und verfestigt. Und damit wird die Kraft der freien Theaterszenen geschwächt, die wie Schnellboote dorthin fahren sollten, wo es blutet und der Schmerz am größten ist. Die Staats- und Stadttheater erzeugen nur dann eine starke freie Szene, wenn sie sich in ihrem Streben nach Qualität nicht von Transformationsprozessen schwächen lassen. Ohne These keine Antithese, ohne hochsubventioniertes Repräsentationstheater keine virulente freie Szene. Diese beiden Theaterkonzepte bedingen einander und verschwinden im Nichts, wenn sie miteinander kooperieren. So die gängige Lehre, die natürlich oft genug von Entwicklungs- und Karriereprozessen großer Theaterkünstler bestätigt wurde. Auch wenn die Qualitätsdifferenz der beiden Konzepte nicht mehr so so deutlich erkennbar ist, lebt die deutsche Theaterlandschaft von der Differenz dieser Konzepte.
Wollte die Stadt diese Grundannahme stärken, müsste sie ihr klassisches Repräsentationstheater mit Opernhaus, Schauspielhaus und Konzertsaal verstärkt fortführen und zugleich die freie Szene nach allen Kräften fördern. Will sie diese Grundannahme unterlaufen, sollte sie ein Kooperationsbüro einrichten und den soeben abgeschlossenen Bürgerbeteiligungsprozess vom Kopf auf die Beine stellen. Damit würde sie aber eine Kulturpolitik beschleunigt fortsetzen, die sie im Grunde mit ihren Förderkriterien bekämpfen müsste: die Entfaltung des Mittelmaßes.
Die Dialektik der Qualitätsprozesse in der Kunst lassen sich mit ein bisschen Fantasie auch für den Augsburger Stadtrat denken: Ohne starke Opposition keine starke Stadtregierung, ohne starke Stadtregierung keine Zielformulierungen. Ohne Zielformulierungen ist die Stadt, sind die Stadtregierung und der Stadtrat jedoch entpolitisierte Gremien, die von einer politisierten Bürgerschaft leicht zu übertrumpfen sind.