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Dienstag, 26.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Fulminantes Finale der Conn-Ära mit Carmen und Bolero

Die letzte Ballettproduktion der aktuellen Spielzeit ist auch der fulminante Abschied von Ballettdirektor Robert Conn und vermutlich dem größten Teil seines Ensembles, das noch einmal alle Facetten seines Potenzials zum Besten gibt.

Von Halrun Reinholz

Ravels Bolero gilt mit seinem rhythmischen und klanglichen Spannungsbogen als Inbegriff der musikalischen Erotik, prädestiniert für eine tänzerische Darstellung, für die es letztlich auch komponiert wurde. Umso überraschender die im Kongress-Saal aufgeführte Choreografie von Riccardo de Nigris, die die Musik von Ravel zunächst nur andeutungsweise anklingen lässt, dann aber das Ensemble zu Techno-Musik tanzen lässt. Die gespielte Handlung (Fluss, Spiegelbild) erklärt sich durch den der Musik beigefügten Sachtext über Narzissmus. Dem ideenreichen Hauschoreografen gelingt es dadurch tatsächlich, dem Bolero einen vollkommen neuen Kontext jenseits jeder sexuellen Erotik zu verleihen: Den der Selbstverliebtheit des Menschen, der sich zu sozialer Kommunikation und Empathie als unfähig erweist.

Ravels Bolero im Kontext des Narzissmus

Die Musik von Ravel kommt im zweiten Teil der Choreografie dann doch noch (in der Aufnahme des London Symphony Orchestra mit Valery Gergiev), doch der Kontext des Narzissmus bleibt bestehen. Die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird von drei Ebenen bestimmt: Ein Mensch auf dem Laufband, der sozusagen den Grund-Rhythmus vorgibt, der optischen Darstellung einer Herzrhythmus-Kurve und dann der Handlung auf der Bühne, die abseits von jeder Erotik die Tänzer-Individuen in sozialer Interaktion zeigt. Diese Diskrepanz zwischen (narzisstischem) Individuum und sozialem Zusammenhalt zu zeigen, ist die erklärte Absicht des Choreografen. Der zuerst womöglich vielleicht enttäuschte Zuschauer verfolgt dies mit wachsender Faszination, was sich vom frenetischen Schlussapplaus ableiten lässt.

Erotische Spannung folgt im zweiten Teil

Valentina Turcus Inszenierung der „Carmen“ im zweiten Teil des Ballettabends verzichtet dagegen nicht auf erotische Spannung. Die von Rodion Schtschedrin komponierte Suite aus Bizets Opernmusik war bereits auf Wunsch von dessen Ehefrau, der Ballerina Maja Plissetskaja, für die tänzerische Darstellung vorgesehen. Die aus Kroatien stammende Chroeografin stützt sich bei der Handlungsführung jedoch nicht auf Bizets Oper, sondern auf die Novelle von Prosper Mérimé, wodurch die Handlung wesentlich übersichtlicher, geradliniger und leichter darstellbar wird. Sozusagen als Fazit vorangestellt wird das Lied „Gracias a la Vida“, in einer sehr emotionalen Version gesungen von Yasmin Levy, das die freiheitsliebende und in dieser Konsequenz rücksichtslose Haltung von Carmen vorwegnimmt. Die facettenreiche Choreografie verbindet Spitzentanz mit modernen Tanzformen und folkloristischem Flamenco-Anklang zu einem schnörkellosen Gesamtkonzept, das frei von Kitsch, aber dennoch erotisch und mit melodramatischem Schmelz daherkommt. Valentina Turcu kann sich dabei auf das hervorragende und gut eingespielte Ensemble verlassen.

Die Erwartungen an Conns Nachfolge sind groß

Als kleines Abschiedsgeschenk an das Augsburger Publikum tritt Ballettdirektor Conn höchstpersönlich als Zuniga auf die Bühne. In den begeisterten Schlussapplaus mischt sich aber auch bei so manchem Augsburger Ballett-Fan bange Wehmut. Die früher bei vielen eher ungeliebte Sparte für „Spezialisten“ (und Frauen) hat es unter Robert Conn doch tatsächlich geschafft, zum stets ausverkauften Geheimtipp im Spielplan zu avancieren. Die Erwartung an den Nachfolger ist groß. Bleibt zu hoffen, dass dieser sich der großen Fußstapfen seines Vorgängers würdig erweisen wird. Mit Carmen und Bolero hat das Ensemble jedenfalls noch einmal alle Register seines Könnens gezogen.

——– Foto: Nik Schölzel