Das Gignoux-Haus – oder die Geschichte vom Ausverkauf unserer Städte
Bisweilen schafft es die Gestalt des Denkmalpflegers sogar in die Niederungen der bundesdeutschen Unterhaltungsindustrie. Im Krimi „Schandfleck“ (2015 ausgestrahlt) löst die Entscheidung des Denkmalamtes sogar einen Mord aus. Die bürokratischen Anweisungen der Denkmalpfleger sind dabei dogmatisch, ungerecht und für keinen normalen Menschen nachvollziehbar. Höchste Zeit für die Verteidigung der Denkmalpfleger.
Von Dr. Gregor Nagler
I. Das Gebäude
Das so genannte “Gignoux-Haus” wurde 1764-65 im Auftrag von Georg Christoph Gleich als Wohnhaus und Kattunmanufaktur errichtet. Der Architekt des Gebäudes, Leonhard Christian Mayr, wurde später, 1770-71, auch von Johann Heinrich Schüle mit dem Bau seiner Kattunmanufaktur am Roten Tor beauftragt. Georg Christoph Gleich war durch Heirat mit Anna Barbara Gignoux in den Besitz der Gignoux´schen Kattunmanufaktur gekommen, trieb diese jedoch 1770 in den Konkurs. Anna Barbara führte danach den Betrieb erfolgreich weiter. Das ehemalige Manufakturgebäude liegt an einer platzartigen Situation an der Gasse Vorderer Lech. Gegenüber sieht man noch Wohnhaus der Anna Barbara Gignoux, das 1782 vielleicht wiederum von Leonhard Christian Mayr umgebaut wurde.
Das dreigeschossige Gignoux-Haus entstand über winkelförmigem Grundriss durch Zusammenfügung mehrerer älterer Gebäude. Mit seinem Mansardendach und der vielleicht von Franz Xaver Feuchtmayer reich stuckierten Rokoko-Fassade stellt es architektonisch eine Ausnahmeerscheinung im alten Augsburger Handwerkerviertel dar. Nach dem Teilabbruch der Schüleschen Kattunfabrik handelt es sich um das bedeutendste Beispiel einer Augsburger Kattunmanufaktur aus reichsstädtischer Zeit. Zudem zählt die Architektur nach der des Schaezlerpalais zu den bedeutendsten Rokoko-Bauwerken der Stadt. Das Gignoux-Haus ist zum Teil über einem Kanal errichtet und damit ein hervorragendes Beispiel für die Nutzung der Energiequelle Wasser – ein Themenfeld, mit dem sich Augsburg als UNESCO-Weltkulturerbe-Stätte bewirbt.
Die alte Manufaktur wurde nach dem Tod von Anna Barbara Gignoux umgenutzt. 1822 zog die Gaststätte „Blaues Krügle“ ein, für die schließlich ein Tanz- und Aufführungsaal angebaut wurde. Am 10. Oktober 1945 fand hier die erste Aufführung des Augsburger Schauspielensembles statt.
Zu Recht steht das Gignoux-Haus als Einzelbaudenkmal auf der Denkmalliste: Es ist zum einen eines der ganz wenigen, von Außen gut erhalten spätbarocken Gebäude. Es erinnert an eine historisch wichtige Persönlichkeit, nämlich Anna Barbara Gignoux. Und es bewahrt geradezu Stadtgeschichte im Kleinen durch den vielschichtigen Baubefund als Ergebnis zahlreicher Umnutzungen und Umbauten. Das Gignoux-Haus ist also, wie man sagt, ein Denkmal wie es im Buche steht.
I. Der Bauausschuss
Am 14.12.2017 stellte Baureferent Gerd Merkle überraschend das Gignoux-Haus auf die Tagesordnung des Bauausschusses. Schließlich, so Merkle, sei Eile geboten, weil bereits Gesimse herunterfielen. Es ging darum, ein für Augsburg nicht sehr rühmliches Kapitel zu schließen.
Bereits im Jahr 2000 äußerte die Hasenbräu AG (Eberhard Schaub) die Absicht, das Gignoux-Haus zu verkaufen. Sie nahm jedoch ihr Vorverkaufsrecht nicht war. 2002 bot Eberhard Schaub an, das Gignoux-Haus mitsamt dem Foyer und dem Theatersaal in einfacher Form zu sanieren. Ein Vorhaben, das von Kulturbürgermeisterin Eva Leipprand gestützt wurde. Bedingung wäre ein mindestens siebenjähriger Mietvertrag gewesen, dem Intendant Ulrich Peters nicht zustimmen wollte; er pochte auf einer 3-jährige Interimslösung. Eva Leipprand verlängerte deshalb 2002 den Mietvertrag für das Schauspielhaus, um die Sparte zu sichern. 2005 schließlich wollte Eberhard Schaub das Gignoux-Haus schlussendlich verkaufen.
Mittlerweile war die Stadt wegen eines Bürgerbegehrens für eine neue Stadtbibliothek finanziell unter Druck. Sie ließ deshalb wiederum eine Möglichkeit zum Kauf des Gignoux-Hauses verstreichen, dies auf Empfehlung des Kämmerers Gerhard Ecker und des WBG Vorstands Edgar Mathe. Der stattdessen 2005 zum Zug gekommene Investor Kazim Capartas (KC Denkmalschutz GmbH/KC Holding) vermietete den Theatersaal weiterhin an die Kommune, führte die versprochene Sanierung jedoch nicht durch. Im Juli 2010 zog das Schauspiel wegen des mittlerweile prekären Bauzustandes aus. Die Kommune “übertrug” gleichzeitig der KC Denkmalschutz GmbH ein Zwischengebäude (bis dahin städtisch), gewährte eine Zufahrtsrecht über öffentlichen Grund und bezuschusste 150.000 Euro, wohl um den Besitzer endlich zur Sanierung zu bewegen.
Diese wurde nicht angegangen, vermutlich weil die Stadt alle Druckmittel aus der Hand gegeben hatte. Nach dem Tod von Kazim Capartas 2012 erbte dessen minderjährige Tochter das Gebäude, der Bauunterhalt unterblieb weitgehend. Dennoch wurden die Wohnungen in den Obergeschossen sowie ein Restaurant im Erdgeschoss weiterhin genutzt. Im Frühjahr 2015 wurde das Gignoux-Haus verkauft, im Herbst kündigte der neue Besitzer den Mietern der Wohnungen, während das Restaurant sich weiterhin im Erdgeschoss befand. Mittlerweile ist das Gebäude im Besitz der FE-Immo-Projekt GmbH. Diese möchte hier Wohnungen einrichten.
Der Bauausschuss stimmte am 14.12.2014 gegen eine Stimme (Volker Schafitel*) für einen Vorschlag, den der Architekt der Investoren, Wolfram Keller, ausgearbeitet hatte und der von Baureferent und Stadtheimatpfleger zur Annahme empfohlen wurde. Ende gut, alles gut?
Die Frage, die in der “Angelegenheit Gignoux-Haus” bisher offen geblieben ist, lautet: Warum regen sich die Denkmalpfleger jetzt auf, wo eine Rettung in Sicht scheint?
II. Denkmalschutz und Denkmalwerte
Denkmäler sind von Menschen geschaffene Sachen oder Teile davon aus vergangener Zeit, deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen oder volkskundlichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt. (Bayerisches Denkmalschutzgesetz, Art. 1)
Denkmalschutz ist heute vielfach der Kritik ausgesetzt. Er sei gegen die Besitzer gerichtet, er sei teuer und letztlich „unnötig“. Bei der Beurteilung „nützlich“ oder „unnütz“ werden dann in erster Linie persönliche Werturteile wie „schön“ oder „hässlich“ an ein Bauwerk angelegt oder auch moralische Bewertungen abgegeben. So machte im Zuge der Debatte um die Stadttheater-Sanierung das Argument die Runde, das in den 1930er umgebaute Gebäude sei als „Nazi-Bau“ letztlich nicht schützenswert.
Besonders häufig werden aber kommerzielle Kriterien gegen den Denkmalschutz oder „die“ Denkmalschützer ins Feld geführt. Wenn sich Kommunen diesen Kriterien unterwerfen, verschwinden nicht selten Dokumente der Zeitgeschichte, deren Narrativ für das Verständnis der Gegenwart bedeutsam gewesen wären.
Dem heutigen Denkmalwert liegt der Gedanke zugrunde, dass Bauten genau wie Bücher oder Akten eben Quellen sind, die Zeugnis über Geschichte ablegen. Das heißt Kategorien wie „schön“ oder „hässlich“, „gut“ oder „böse“ spielen für den Denkmalwert nur bedingt eine Rolle. Viele NS-Bauten werden von der Denkmalpflege bewusst geschützt, um die Geschichte nicht zu verdrängen. Erhaltenswert ist eine Architektur nur in ihrer Gesamtheit, das „Innenleben“ kann dabei bedeutsamer sein, als die Fassade, es ist auf jeden Fall unabdingbarer Bestandteil eines Einzelbaudenkmals.
Der heute in Deutschland wirksame und gesetzlich verankerte Denkmalwert ist nicht universell, das heißt, in anderen Regionen der Welt können andere Kriterien gelten. So spielen in Asien die „Idee“ einer Architektur sowie der Prozess von Werden und Vergehen eine größere Rolle als in Europa. Der Denkmalwert ist auch nicht völlig statisch, er änderte sich mit dem gesellschaftlichen Kontext und wird sich auch in Zukunft wandeln, wobei sein Kerngedanke, die Bewahrung der Bausubstanz als Quelle, wohl in Europa weiterhin grundlegend bleiben wird. Schließlich und endlich sind Urteile von Denkmalpflegern auch nicht immer ganz über einen Kamm zu scheren; sie können je nach Denkmal und je nach der Situation, in der sie getroffen werden, unterschiedlich sein. In Bayern hat sich dabei gerade bei der Beurteilung, ob ein Bauwerk jetzt noch in die Denkmalliste aufgenommen werden soll, der Wunsch nach einem möglichst „ursprünglichen“ Erhaltungszustand herausgebildet.
Da werden etwa veränderte Fenster oder Türen als Argument gegen die Denkmalwürdigkeit angeführt. Dies steht dann nicht selten in einem „Spannungsverhältnis“ zur Vorstellung vom Denkmal als Quelle, weil bauliche Veränderungen oder Reparaturen ihrerseits ja auf die Geschichte des Bauwerks deuten.
Die Denkmalpflege hätte vermutlich in der Tat die Aufgabe, ihre Entscheidungen der Öffentlichkeit im Einzelnen besser zu erklären. Es gibt eben Bauwerke, bei denen es Substanz und Quellenlage zulassen, sich einem „Ursprungszustand“ anzunähern beziehungsweise diesen zu konservieren wie am Schaezlerpalais. Bei anderen ist gerade die sichtbare Baugeschichte denkmalwürdig, etwa am Augsburger Dom, den nun wirklich kein Denkmalschützer auf den Zustand des 11. Jahrhunderts rückbauen will.
Die Denkmalpflege entzieht das Denkmal der Heroisierung, sie entzieht es aber auch einer starken kommerziellen Verwertbarkeit – deshalb erscheint sie in einem globalisierten Kapitalismus anstößig
Der Denkmalschutz befindet sich auch deshalb in der Kritik, weil er so häufig vereinnahmt wird. Denkmalpflege ist ein Handeln der Gegenwart an Objekten der Vergangenheit, also ein konservierender Akt. Es liegt auf der Hand, dass „Nostalgiker“, konservative oder gar reaktionäre Menschen sich zu bestimmten Denkmälern hingezogen fühlen, sie häufig gleichsam heroisieren oder als „Schatzkästchen“ betrachten. Diese Betrachtungsweise wird dem Denkmal als Quelle aber nicht gerecht. Im Gegenteil möchte derjenige, der uneingeschränkt „stolz“ auf „sein“ Erbe seine möchte, alle Brüche eher ausblenden. Für ihn gibt es eine bequeme Alternative, nämlich die (harmonisierte) Rekonstruktion. Die Historie wird so zur Traumwelt, wie etwa am rekonstruierten Dresdner Neumarkt. Sie wird zudem kommerziellen Interessen gefügig gemacht. Fassaden in Pistaziengrün und Erdbeerrosa bilden dann die Trostpflaster für einen restlos auf Rentierlichkeit ausgerichteten Lebensraum mit Tiefgaragen, Luxuswohnungen und –läden.
Den Personen, die sich als progressive Universalisten verstehen, erscheint die Denkmalpflege dagegen häufig „suspekt“. Denn Denkmalpflege bewahrt die einem Ort eigene Geschichte. „Ausschluss und Zurückweisung“ schreibt der Architekt Rem Koolhaas, würden die alten europäischen Stadtbilder Einwanderern signalisieren. Als möglichen Ausweg sieht Koolhaas die „Stadt ohne Eigenschaften“ in der es keine Kategorien wie das „Eigene“ und das „Fremde“ mehr gäbe, der öffentliche Raum also ein von der Geschichte befreites, weißes Blatt ist. Auch dieses Denkmodell steht in der Gefahr, von einem Kommerz unterwandert zu werden der nunmehr als „Weltbürgertum“ daher kommt. Denn wo die Bewohner keinen Bezug mehr zu einem Ort haben, da werden sie nicht gegen dessen kapitalistische „Verwertung“ auf die Straße gehen.
Die heutige Denkmalpflege, wenn sie ernsthaft betrieben wird, entzieht das Denkmal jedoch einer Heroisierung als „Nationalheiligtum“; sie entzieht es aber auch einer starken kommerziellen Verwertbarkeit. Vor allem deshalb erscheint sie in einem globalisierten Kapitalismus anstößig.
Denkmalpflege indes ist gesetzlich verankert als Verpflichtung des Staates. Denkmäler gehören nicht den Besitzern allein, sie sind Ihnen in erster Linie überantwortet. Vor allem aber sind die geschützten ein gemeinsames Erbe – auch der künftigen Generationen. Sie entstammen immer Zeiten, die fremd sind und die man erst dann versteht, wenn man sich damit beschäftigt. Dabei spielt es keine Rolle, woher jemand kommt. Deshalb brauchen Denkmäler „Anwälte“. In Augsburg sollte zum Beispiel der Stadtheimatpfleger ein solcher Anwalt sein.
IV. Der Stadtheimatpfleger
„Die Heimatpfleger beraten und unterstützen die Denkmalschutzbehörden und das Landesamt für Denkmalpflege in den Fragen der Denkmalpflege und des Denkmalschutzes. Ihnen ist durch die Denkmalschutzbehörden in den ihren Aufgabenbereich betreffenden Fällen rechtzeitig Gelegenheit zur Äußerung zu geben.“
Bayerisches Denkmalschutzgesetz, Art. 13
http://www.heimat-bayern.de/index.php/zeige/index/id/127
Stadtheimatpfleger in Augsburg ist Hubert Schulz. Sicherlich ist er einer der profiliertesten Architekten, die in Augsburg in den letzten Jahrzehnten wirkten. Seine Rolle als Heimatpfleger sieht er darin, ein „diskreter Moderator“ (AZ, 16. 09. 2011) und „Mitspieler“ (Presseclub Augsburg, 14.09.2011) zu sein. Während der ehrenamtlichen Tätig von Hubert Schulz gab es immer wieder Diskussionen um Bauprojekte im Ensemble oder anstelle historischer (nicht denkmalgeschützter) Architektur. Genannt seien an dieser Stelle: Hasenbräu, Gärtnerhaus im Martini-Park, Baukomplex zwischen Karolinenstraße, Schmiedberg und Leonhardsberg sowie Georgenstraße. Bei keinem der genannten Projekte trat Schulz zunächst offensiv in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Er verhandelte aber im Bauausschuss, in runden Tischen sowie im Baukunstbeirat. Im Fall Hasenbräu kämpfte er für den Erhalt des Kamins und eine Architektur der Erinnerung nach der Abbruchgenehmigung für das Mälzereigebäude. Nachdem 2014 eine Diskussion über die Neubebauung des Geländes in der Augsburger Altstadt geführt wurde, hob Schulz die „Kompromissbereitschaft“ des Bauträgers hervor und stellte den Erhalt einer Erdgeschossmauer der Mälzerei heraus. Den letzten (abgeänderten) Bauabschnitt verbuchte er insgesamt als Erfolg. In dieses Horn bläst auch der Bauträger: Es habe zwar vereinzelt Kritik gegeben, aber „Experten“ hätten die Qualität des neuen Stadtviertel gelobt (AZ. Vom 23. Okt. 2017).
Vom Umbauprojekt Karolinenstraße an der Sichtachse Dom-Rathaus drang zunächst kaum etwas in die Öffentlichkeit. Eine Visualisierung des Architekten Geza Varga löste wiederum eine Diskussion aus. Letztlich führte Hubert Schulz den weitgehenden Erhalt der Baugruppe erneut auf sein Wirken hinter den Kulissen zurück. Möglicherweise aber hat die Diskussion vor den Kulissen doch in beiden Fällen (Hasenbräu/Karolinenstraße) erst den nötigen Druck erzeugt, um die Investoren überhaupt zu bewegen.
Es fällt also schwer, die Rolle von Hubert Schulz zu bewerten, weil so wenig nach Außen dringt. Am Denkmaltag trat Schulz bisher kaum in Erscheinung, er zeigte auch kein besonderes Interesse dafür. An ein kritisches Plädoyer für eine Lösung im langen Streit um das Gignoux-Haus kann sich der Autor dieser Zeilen zumindest nicht erinnern, auch zum Hohen Meer, einem weiteren leer stehenden Gebäude in Investorenhand in Augsburg, war von ihm nichts zu hören. Schulz schätzt es wohl eher, gefundene Lösungen zu präsentieren, als Probleme öffentlich anzusprechen.
Im Rahmen des Bauausschusses vom 14.12.2017 legte Schulz dem Bauausschuss nahe, für die Veränderungen im und am Gignoux-Haus zu stimmen, weil damit „der Zustand des 18. Jahrhunderts“ wiederhergestellt werden würde. Anstatt seine beratende Funktion für die Denkmalpflege wahrzunehmen, stützte er die Argumentation des Baureferenten. Er fiel damit, so viel kann man sagen, seinen Kolleginnen und Kollegen vom Landesamt für Denkmalpflege und vom Bauordnungsamt in Augsburg in den Rücken, die sich gegen den Vorschlag ausgesprochen hatten. Was aber kann man dagegen haben, den Ursprungszustand des 18. Jahrhunderts wiederherzustellen?
V. Großes Theater im Bauausschuss, dabei ging es lediglich darum, den Interessen des Investors zu folgen
Hierzu muss man die Argumentation des Landesamts für Denkmalpflege und des Bauordnungsamtes im Detail kennen. Das Gignoux-Haus (1764/65 erbaut) wurde ursprünglich als Manufaktur genutzt. In ihm lag eine Wohnung vor allem aber befanden sich im Inneren ein großzügiges Treppenhaus und große Manufaktursäle. Bald nach dem Tod von Anna Barbara (1796) wurde das Haus nicht mehr als Manufaktur genutzt. Im 19. Jahrhundert wurde es deshalb schließlich im Inneren verändert. Es wurden nicht nur, wie im Bauausschuss dargestellt „ein paar Wände“ eingezogen. Es wurde die gesamte Innendisposition verändert, Türen des 18. Jahrhunderts in die Wohnungen des 19. Jahrhunderts eingebaut und durch eine Ausstattung der Zeit ergänzt. Im Treppenhaus wurde der Lauf verschmälert und ein Stichflur eingezogen. Dies ist der eigentliche Baubefund: Außen bestimmt das 18. Jahrhundert das Erscheinungsbild, innen ist es ein Umbau des 19. in der Hülle des 18. Jahrhunderts, teilweise mit weiter verwendeten Elementen des Rokokos. Es sollte also klar sein, dass man durch das Ausbrechen von einigen Wänden (mitsamt der Barocktüren) nie und nimmer einen Zustand des 18. Jahrhunderts wiederherstellen kann. Dies wäre auch widersinnig: Man müsste wieder große Manufaktursäle schaffen, was kaum im Interesse des Investors liegen dürfte. Der eigentliche Grund für die Änderungen liegt nicht darin, dass Merkle, Schulz und Keller der Zustand des 18. Jahrhunderts so am Herzen läge. Hubert Schulz hat dies im Grunde auch angedeutet mit der Aussage, die Räume des 19. Jahrhunderts seien „unbewohnbar“. Es geht allein darum, das Gebäude so weit auszukernen, wie es dem Investor beliebt. Der Innendisposition (19. Jahrhundert) wird allein aus diesem Grund zerstört.
Die kommerzielle Unterwanderung und Trivialisierung wird auch anhand des Umgangs mit der Innenhoffront sichtbar: Das Landesamt für Denkmalpflege und das Bauordnungsamt genehmigten einen Balkon pro Wohneinheit. Im Bauausschuss wurden nun zwei Balkone pro Wohneinheit gestattet. Von einem sturen und kleinkarierten Verhalten der Denkmalpfleger kann in diesem Fall keine Rede sein. Vielmehr scheint der Investor kaum gesprächsbereit, denn selbst den barocken Farbbefund der Schaufassade will er nicht wiederherstellen. Dass ein Investor (naturgemäß) die bestmögliche, kommerzielle Verwertbarkeit anstrebt, ist nicht verwerflich. Der Bauausschuss aber hat sich zu seinem Steigbügelhalter gemacht. Besonders schwer wiegt, dass der Stadtdenkmalpfleger mit seiner Aussage, man wolle den Zustand des 18. Jahrhunderts wiederherstellen, zumindest nicht präzise informiert hat. Hubert Schulz hat sich, ob bewusst oder unbewusst, nicht als Moderator gezeigt, sondern als Parteigänger. Dabei hätte man, wäre der Investor gesprächsbereit gewesen, sicher einen alle Seiten akzeptablen Kompromiss finden können.
VI. Fazit: Ein Musterbeispiel dafür, wie der Ausverkauf unserer Städte funktioniert
Das Gignoux-Haus ist damit zum Musterbeispiel dafür geworden, wie der Ausverkauf unserer Städte funktioniert. Gerade in Deutschland, das so viel an historischer Bausubstanz durch den Zweiten Weltkrieg und die „Betonseelen“ der Nachkriegszeit verloren hat, ist dies bitter.
Schauen wir auf Augsburg, dann kann von einer „Macht“ der Denkmalpflege kaum gesprochen werden. Nur gut ein Prozent der Bausubstanz ist als Einzelbaudenkmal geschützt – das ist weit unterdurchschnittlich im Deutschland-Vergleich. Die Wohngebäude vom Rang des Gignoux-Hauses kann man an einer Hand abzählen. Der Politik aber, und vielleicht auch dem Großteil der Bürger, genügen ein paar schöne Fassaden. Das Denkmal soll bequem sein und wirtschaftlich nutzen. Es somit ist keine Quelle mehr, sondern Verfügungsmasse.
Die Stadt Augsburg ist nicht unschuldig am jahrelangen Verfall des Gignoux-Hauses. Sie verzichtete auf ein Vorkaufsrecht und damit auf die Möglichkeit, eines der auffälligsten Profanbauwerke in der Innenstadt für eine würdige, öffentliche Nutzung zu sichern. Ihre devote Haltung der KC-Denkmalschutzgesellschaft gegenüber führte zum Verfall, dabei sieht das Denkmalrecht Zwangsmaßnahmen und sogar Enteignung vor, wenn der Besitzer seiner Verpflichtung zum Erhalt nicht nachkommt. Am 14.12.2017 hat der Bauausschuss dem (neuen) Investor wiederum zahlreiche „Hürden“ freigeräumt. Der Stadtheimatpfleger bediente sich dabei einer Erzählung vom „Ursprungszustand“, die scheinbar von der Liebe für oder vom Verständnis des Denkmals geprägt zu sein scheint, aber widerlegbar ist, wenn man sich nur fünf Minuten mit der Baugeschichte des Gebäudes auseinander setzt. Warum aber haben Baureferent und Stadtheimatpfleger nicht einfach zugegeben, dass Sie dem Investor entgegen kommen wollen, sondern eine seltsame Geschichte von einer Annäherung an den Ursprungszustand erzählt?
Gregor Nagler studierte Kunstpädagogik, Kunstgeschichte und Volkskunde in Augsburg. Seine Kompetenz erwarb er sich u.a. durch seine Doktorarbeit mit dem Titel “Über den Wiederaufbau Augsburgs nach dem 2. Weltkrieg”.