Brechtfestival Literatur: Liebhaber auf der Barrikade
Michael Friedrichs beleuchtet die biographischen Hintergründe des jungen Brecht. Brecht als Schüler und dann als Student in München – das war die Zeit 1917-1919, die Michael Friedrichs im hoffmannkeller in seinem biographischen Streifzug unter die Lupe nahm.
Von Halrun Reinholz
Das Festivalmotto: „Egoismus versus Solidarität“ legte er hier an Brecht selbst an, der in der ungestümen Jugendzeit, die von wichtigen weltpolitischen Ereignissen überschattet war, seine Umgebung kritisch und nicht selten altklug kommentierte, aber auch das ganz normale, vielleicht deutlich hormongesteuerte Leben eines jungen Mannes führte.
Perspektive des Liebhabers
Es gab mehrere Gesichtspunkte, unter denen Brecht in dieser Zeit zu beurteilen war. Einmal die Perspektive des Liebhabers. Brecht hatte in jungen Jahren, wie man weiß, mehrere – mehr oder weniger innige – Liebschaften. Paula Banholzer, die „Bi“, die schon bald seinen Sohn Frank gebären sollte, war eine von sechs, die Michael Friedrichs für diese Zeit dokumentiert sah. Die Beziehung scheiterte, wie wir wissen, nicht (nur) an Brechts Egoismus, sondern an der Haltung des strengen Vaters von Bi. Das war aber nicht der Gegenstand von Michael Friedrichs, er suchte vielmehr Hinweise auf das Unstete und die Freude am Experimentieren – und wurde bei Brecht problemlos fündig. Interessant der Hinweis auf Hedda Kuhn, eine Kommilitonin in München, mit der er aus Verehrung für Frank Wedekind offenbar vereinbart hatte, dass sie beide ihren jeweils ersten Sohn Frank nennen würden. Das hat der 1932 geborene Sohn Heddas Frank Wollheim erst lange nach dem Tod seiner Mutter erfahren.
Der politische Brecht
Ein anderer Blickwinkel war der des politischen Brecht, der sich als junger Mann vor dem Kriegsdienst durchaus auch trickreich (durch die Fälschung der väterlichen Unterschrift) gedrückt hat. Sein Pazifismus wurde schon in der frühen Jugendzeit manifest – und das nicht nur aus Eigennnutz. Ungeachtet der Begeisterung vieler junger Altersgenossen für den Ersten Weltkrieg schrieb Brecht schon 1914 ein Gedicht, wo er bereits auf das Leiden der Mütter von Soldaten aller Länder hinwies. Dank eines Herzleidens, das ihm als willkommener Vorwand diente, durfte er seinen „Kriegsdienst“ in einem Augsburger Lazarett ableisten. Ein verständnisvoller jüdischer Arzt, Freund seines Vaters, war sein Vorgesetzter. Es ist nicht ohne Ironie der Geschichte, dass Brecht diesen Dienst größtenteils in einer Abteilung für Geschlechtskrankheiten ableistet und dieses Erlebnis in Poesie fasst: „Die Morgen über den Syphilisbaracken sind hell und leuchtend“. Die Verbindung von Endzeitstimmung und sexueller Ausschweifung ist ein Phänomen, das durchaus auch das Augsburg im Erfahrungsraum Brechts tangierte. Michael Friedrichs zeigte auch ein Bild, das die fünf letzten Schüler in Brechts Abiturklasse zeigte, alle anderen waren beim Kriegsdienst oder bereits gefallen.
Ein weiteres Augenmerk von Friedrichs war auf die Revolution von 1918 gerichtet, die Brecht aufmerksam, aber nicht wirklich aktiv verfolgte. Aus den Eindrücken davon sollte später das Stück „Trommeln in der Nacht“ entstehen, dessen Arbeitstitel, passend zur Befindlichkeit Brechts in dieser Zeit, „Der Liebhaber auf der Barrikade“ hieß.
Anhand der reichlich vorhandenen Dokumente über die Biographie Brechts versuchte Friedrichs vor dem Hintergrund der lokalen Zeitgeschichte ein Porträt des jungen Dichters zu erstellen. Behilflich war ihm der Schauspieler Anatol Käbisch, der die Gedichte und Zitate vortrug, während Friedrichs den biographischen Background dazu lieferte. Das Format ist nicht neu, Michael Friedrichs steuerte auch schon bei anderen Brechtfestivals seinen kundigen Kommentar zum Festivalthema in dieser unterhaltsamen und informativen Form bei. In München heißt ein ähnliches Format „Suchers Leidenschaften“. Monate davor ist das Prinzregententheater dafür ausverkauft. Michael Friedrichs Brecht-Abend steht dem qualitativ nicht nach, aber er ist nicht Sucher und der Hoffmannkeller war trotz Festival keineswegs voll belegt. Wer jedoch da war, konnte den jungen Brecht in seinem ganzen menschlichen Kosmos hautnah und authentisch erleben.