Jazzsommer-Auftakt: Gänsehautfeeling, Pathos, große Kunst
Unvergleichlich, unvergesslich: Das Pérez Cohen Potter Quintet
Von Frank Heindl
Moderner Jazz, angereichert durch literarisch-politische Ambitionen, die dem Abend ein geradezu weihevolles Pathos verliehen – so wäre, auf das allernötigste zusammengefasst, das Auftaktkonzert des Augsburger Jazzsommers 2019 zu beschreiben. — Schon das Programmheft hatte darauf aufmerksam gemacht, dass Danilo Pérez (Leader und Klavier), Avishai Cohen (Trompete), Chris Potter (Saxophon), Larry Grenadier (Bass) und Jonathan Blake (Drums) ihre Stücke einigen einflussreichen Frauen aus Literatur, Politik und Bürgerrechtsbewegung widmen. Das klang für manchen eher befremdlich und unnötig – und in der Tat hat die Musik des Quintetts diese Überhöhung nicht nötig. Die Band verblüffte, faszinierte, begeisterte vom ersten Takt an über zwei Sets mit je drei Stücken plus eine Zugabe hinweg.
Zunächst zum Leader: Danilo Pérez, der sich ganz von seinen früheren Konzepten lateinamerikanisch inspirierter Jazzmusik gelöst zu haben scheint. Seiner Musik ist diese Herkunft allenfalls noch auf subtile Weise anzuhören, sie ist nicht mehr stilbildend, sie tönt nur manchmal – ganz leicht, ganz hintergründig – die Färbung seiner Kompositionen und seines Klavierspiels ab. Fein ziselierte Intros sind seine Spezialität, zarte, geradezu zärtliche Melodie- und Klangmalereien, die dann im Brodeln der Band langsam verschwinden, um gelegentlich in den Soli wieder aufzutauchen.
Avishai Cohens Trompete und Chris Potters Saxophone – sie finden sich in ihrer gegenseitigen Fremdheit. Die Trompete bisweilen hart, kalt und klar, das Sax stets mit Wärme und nur manchmal Coolness – eine Paarung der Gegensätze und Übereinstimmungen. Beide Musiker sind unvergleichliche Könner, beide wissen sich zu beherrschen und setzen ihr herausragendes Virtuosentum zurückhaltend ein, lassen nur gelegentlich ihren Instrumenten Läufe in endlosen Perlenschnüren und atemberaubender Geschwindigkeit entkommen. Bremsen sich immer wieder in kantige, harte, bissige Breaks und reiben sich in schrägen Dissonanzen aneinander, werden von gebrochenen Arrangements, von zerbrochenen Takten aus dem Fluss geworfen und tauchen doch wieder hinein.
Das funktioniert nur, weil zwei weitere Virtuosen am Werk sind, die ungerechterweise nicht im Bandnamen genannten Sidemen an Schlagzeug und Bass. Larry Grenadier zupft in seinen herausragenden Soli erfindungsreiche, melodiöse Parts, bestimmt eher Rhythmus und Sound, als sich ihnen unterzuordnen, ist auch im Zusammenspiel ein eigenständiger Mitspieler, kein untergeordneter Taktgeber. Was noch mehr für Jonathan Blake gilt – der Mann ist ein polyrhythmisches Genie, macht in konzentrierter Ruhe aus jedem Vierviertel ein verwirrendes Durcheinander, wirbelt in den ruhigsten Parts nervös und stört doch die Ruhe nicht, bleibt inmitten kollektiver Improvisation unbeeindruckt straight, lässt auch mal ein Quietschen und Rauschen hören.
Wenn man sich etwas hätte wünschen dürfen, wäre es gewesen, dass die fünf Musiker noch länger ohne Konzept miteinander improvisiert hätten. Pérez hatte schon anfangs darauf verwiesen, dass man mit dem Publikum gemeinsam in ein Raumschiff steigen wolle, ohne genau zu wissen, was darin passieren werde. So fühlte sich der Abend an – ein spontanes Erfinden, eine untrügliche, spielerische, freie aber ambitionierte Einheit aus ekstatischem Miteinander. Es hätte möglicherweise gar keine Themen gebraucht für dieses Erlebnis. Einerseits.
Andrerseits schadete die Orientierung an weiblichen Ikonen der Gegenwart nicht, möglicherweise hatte die meditative Präsenz der Musiker diesem Konzept sogar einiges an zusätzlicher Inspiration zu danken. Literatinnen wie die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison kamen zu Ehren, ebenso aber auch die Aktivistin Sivan Ya’ari, Gründerin der Hilfsorganisation „Innovationi Africa“. („Check it out!“, forderte Pérez das Publikum auf. Wer mag, kann sich hier informieren: http://innoafrica.org/team.html). Als Avishai Cohen zur Musik einen hochpoetischen, hoch traurigen Text über Tod und Abschiednehmen las, kam der Abend tatsächlich zu einem weiteren Höhepunkt, bescherte noch einmal Gänsehautfeeling und das Pathos ganz großer Kunst.
Und es war dann doch gut, die Band auch von vorne zu erleben: Unvergesslich, wie Danilo Pérez mit strahlendem Blick und in heller Freude das Zusammenspiel vom Flügel aus zu regeln versucht – wie er aber beispielsweise vom Drummer keinen Blick zurückerhält. Der ist, wie die ganze Band, trotzdem mit schlafwandlerischer Sicherheit bei jedem Break an der richtigen Stelle präsent, spielt immer das, was er soll und das, was er will. Gleichzeitig.