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Kommentar: Thüringer Trauerspiel: Ein Desaster für die Demokratie

Der 5. Februar 2020 ist ein Datum von historischer Dimension: Der geschäftsführende Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ist im dritten Wahlgang dem FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich unterlegen. Der FDP-Politiker wurde mithilfe der Stimmen der AfD zum neuen Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt.

Wenn man genauer hinsieht, ist der braune Schimmer zu erkennen © DAZ

Kemmerich setzte sich bei der Abstimmung am Mittwoch im Landtag in Erfurt im entscheidenden dritten Wahlgang auch mit Stimmen von CDU und der AfD von Parteichef Björn Höcke gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durch. Der von der AfD aufgestellte parteilose Kandidat Christoph Kindervater erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme. Die Entscheidung für Kemmerich fiel mit einer Stimme Mehrheit. Auf Ramelow entfielen 44 Stimmen, Kemmerich erhielt 45 Stimmen. Es gab eine Enthaltung. Soviel zu den Fakten.

Für das Land Thüringen bedeutet dieser AfD-Coup mit hoher Wahrscheinlichkeit Neuwahlen. Für die Bundesrepublik Deutschland steht eine Inventur an. Die Bundes-CDU ist mit ihrem Spitzenduo Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer in eine Führungskrise getaumelt, die gefährliche Ausmaße hat. Da die Thüringer CDU offenbar zu verkommen ist, um einen Ministerpräsidenten einer 5-Prozent-Partei (FDP) nicht als perfide Umkehrung des Wählerwillens zu begreifen, sind in Thüringen und in vielen Westdeutschen Städten Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen diesen antidemokratischen Coup zu demonstrieren.

Es steht aber nach der Thüringer Trickserei nicht nur die Glaubwürdigkeit der CDU und der FDP im Bund auf dem Spiel, auch die Regierungskoalition könnte platzen, falls dieser Unfall nicht schnellstmöglich eben als Unfall markiert wird und eine Wiederholung für alle Zeiten über die Satzungen und Geschäftsordnungen der demokratischen Parteien ausgeschlossen wird: Mit einer Partei wie der AfD darf es keine Zusammenarbeit geben, in keinem Parlament, in keinem Stadtrat.

In Augsburg haben die Oberbürgermeisterkandidaten der CSU, der Grünen, der SPD eine Brandmauer gezogen und diese nach der Schockwelle aus Thüringen ungefragt verstärkt. Auch der Augsburger CSU-Chef Volker Ullrich ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass die AfD als Partner niemals in Frage kommen darf, ebenso Bayerns Ministerpräsident Markus Söder: “ein inakzeptabler Dammbruch”. Stellungsnahmen gleicher Art gibt es von den Augsburger Akteuren Frederik Hintermayr (Linke) und Cemal Bozoglu (Grüne/MdL), Matthias Lorentzen (Grüne), Peter Hummel (FW), Roland Wegner (V-Partei). Der Oberbürgermeisterkandidat der Augsburger FDP Lars Vollmar sagte auf Anfrage, dass die FDP nicht mehr seine Partei wäre, würde sie mit der AfD zusammenarbeiten. Dass ein FDP-Mann mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsident von Thüringen gewählt wurde, nannte Vollmar “unhygienisch”.

Apropos Hygiene: In einer AZ-Fragerunde an alle OB-Kandidaten der Stadt Augsburg, wie man es denn zur Migration stehe, antwortete der Augsburger AfD-Kandidat sinngemäß so, dass die “parasitäre Einwanderung” ein großes Problem sei. Nazi-Sprech und Nazis in den deutschen Parlamenten, in den politischen Zirkeln und auf den Straßen sind unerträglich. Es wird höchste Zeit, dass man dagegen mit größtmöglicher Intoleranz vorgeht. Den Namen “Kemmerich” sollte man sich merken. Heute ist er zu einer politischen Metapher geworden. (Siegfried Zagler)