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Eine neue Bank für die Bleich
Die Bleich ist bekannt – zumindest unter den hiesigen Ureinwohnern, die wie überall in den Städten, immer weniger werden. Die Bleich ist zusammen mit dem Pfärrle ein sehr altes Wohnviertel. Und im Gegensatz zu den neuen feinen Stadtteilen, wie zum Beispiel das Bismarckviertel oder Göggingen, lebt es sich dort beschaulich, ja geradezu gemütlich unmodern, weshalb die Menschen in der Bleich es mit Gelassenheit zur Kenntnis nehmen, wenn dort wenig oder gar nichts geschieht.
Von Siegfried Zagler
In der Bleich nicken sich die Bewohner auf ihren Spaziergängen entlang der Kahnfahrt freundlich zu – und der vermutlich berühmteste Bleichbewohner aller Zeiten, nämlich Bertolt Brecht, hatte die Lechauen und die Altstadt vor der Tür, also eine komplette Welt, die ihn nicht nur zum unersättlichen Baal, sondern auch zu seinen frühen Liebesgedichten inspirierte.
Brechts Vater arbeitete in der Haindlischen Papierfabrik, die nun einem finnischen Konzern gehört. Die Fabrik prägte das Viertel, indem sie Wohnungen für ihre Arbeiter baute. Auf der Bank, von der hier die Rede sein soll, hat Brechts Vater auf seinem Weg vom Büro nach Hause Notiz genommen und Brecht selbst, soll sich dort mit seinen Spezies getroffen haben, bevor sie ihre Streifzüge unternahmen. Bänke sind die letzten Überlebenden einer vergangenen Zeit, in der es noch kostenlose Dienstleistungen der Kommunen für ihre Bürger gab.
Im Lauf der Zeit verlor diese Bank ihren Zweck, denn mit dem zunehmenden Verkehr, Lärm und Schmutz wollte sich kaum noch jemand neben den Kanal setzen, um dort ein wenig seinen Gedanken nachzuhängen. Spätestens mit dem Bau der neuen Lechhauser Lechbrücke, war es um diese Bank geschehen, da sie nun an einer Hauptverkehrsader gelegen, nichts mehr zu bieten hatte, was Bänke normalerweise bieten: eine Einladung zur Ruhe und Kontemplation.
Die einst so berühmte Bank wurde überflüssig und verschwand aus dem Fokus der Wahrnehmung und aus dem kollektiven Gedächtnis eines Stadtviertels. Die ungenutzte Holzbank schien sich zurück in Natur zu verwandeln. Seltene Moose, Käfer und Ameisen nagten an dem jahrzehntelang von Regen und Sonne gebleichten Holz. Wer von ihrer Existenz nicht wusste, übersah sie. Und nichts schien typischer zu sein, für die Bleich, ja für die gesamte Stadt, als der Verfall dieser Bank: Geschlagen vom Lauf der eigenen Geschichte, zurückgelassen im Windschatten der Zeit erhielt die einstige Bedeutsamkeit die Patina des Vergänglichen. Was für ein Bild!
Doch nun das: Das Kunstwerk aus Holz und Moos wurde vernichtet und durch eine neue Bank ersetzt. Die Stadt Augsburg hat der normativen Kraft des Faktischen (und dazu gehört auch der Verfall) eine Nase gedreht und tatsächlich dort eine eine neue Bank aufgestellt, wo niemand sitzen möchte. Fehlt nur die Hinweistafel: “Dies ist keine Bank”. Auch eine Metapher der eigenen Geschichte, freilich der jüngeren: Treffsicher an den Bedürfnissen der Bürger vorbei gehandelt – wie bei der Theatersanierung. Diese neue Bank in der Bleich wird wohl von ihren Bewohnern wie das ältere Kunstwerk zur Kenntnis genommen, nämlich kaum. Brechts Herr Keuner hätte diese Geschichte zu einer Weisheit gegossen.