Staatstheater Augsburg: Erstarrung auf dem Zauberberg
“Staatsintendant André Bücker entdeckt das berühmte Opus Magnum für die Bühne des martini-Park neu und bezieht die philosophischen und politischen Fragen des Romans auf unsere Gegenwart. Die Empfindung von Raum und Zeit, die Erfahrung sozialer Entschleunigung und Isolation sowie der Umgang mit Krankheit und Tod werden im Zuge der Pandemie auch auf dem Theater neu verhandelt.” So wirbt das Augsburger Staatstheater auf seiner Homepage für den dramatisierten Mann-Roman. Ob Thomas Manns Roman überhaupt bühnentauglich ist, fragt sich dagegen DAZ-Autorin Halrun Reinholz und kommt nach drei Stunden im Martinipark zu einer Empfehlung mit ironischem Vorbehalt: “Ein anstrengender, aber nicht sinnloser Theaterabend.”
Der monumentale Roman von Thomas Mann als Bühnenstück? Staatstheaterintendant André Bücker geht in dieser Spielzeit der neuen Hoffnungen in die vollen und versucht sich genau daran, den komplexen Stoff, der von philosophischen, weltanschaulichen und zeitgeschichtlichen Diskursen durchzogen ist, auf die Bühne des Martiniparks zu bringen.
Von Halrun Reinholz
Sicherlich bietet die Pandemie den konkreten Anlass, die Erstarrung der Welt, die den Blick auf Krankheit fokussiert, zu thematisieren. „Große Zeiträume schrumpfen bei ununterbrochener Gleichförmigkeit auf eine das Herz zu Tode erschreckende Weise zusammen.“ Diese Aussage Herrn Albins zeigt überraschende Parallelen zwischen der Ausnahmewelt der Lungenpatienten im Davoser „Berghof“ und dem Ausnahmezustand in der Pandemie-Phase. Doch diesen allzu offensichtlichen Assoziationen widersteht Bücker weitgehend, auch wenn gelegentlich etwas Desinfektionsspray zum Einsatz kommt oder die eine oder andere Andeutung fällt.
Der Faszination von Thomas Manns „Zauberberg“ kann man sich schwer entziehen. Auch als Mann-affine Zuschauerin nicht. Die Affinität sollte man allerdings auf jeden Fall haben, für Unbedarfte ohne Hintergrundwissen zum Roman dürfte die Inszenierung wohl kaum ergiebig sein.
Julius Kuhn verkörpert überzeugend den jungen Hans Castorp, der aus der fernen Welt des richtigen Alltagslebens als hanseatischer Ingenieur für drei Wochen nach Davos kommt, um schließlich sieben Jahre in diesem zeitlosen Mikrokosmos zu bleiben. „Und dann ist das Klima nicht das einzig Sonderbare bei uns“, warnt ihn sein Vetter Joachim Ziemßen (Paul Langemann), dem der zunächst unverbindliche Besuch Castorps im Sanatorium gilt, gleich bei seiner Ankunft. Auf der Martinipark-Bühne ist diese besondere Welt ein etwas chaotisch anmutendes Sammelsurium von Metallgestellen mit vielfach schwenkbaren Glasflächen (Bühne: Sina Barbra Gentsch), was sich nach anfänglicher Befremdung im Laufe des Spiels jedoch als recht wandelbare und vielfältige Kulisse erweist, ja sogar effektvolle Spiegelungen ermöglicht.
Eine Herausforderung für die Darsteller, die teils in wechselnden Rollen und Kostümen auf- und abtreten, sich auf der ständig sich drehenden Bühne oder daneben bewegen und die Glasflächen entsprechend verstellen und verschieben. Vor dieser Dauerbewegung und Dynamik spielen sich die zentralen Handlungen und Dialoge ab, wie sie im Roman über viele Seiten vorkommen: Clawdia Chauchat, die von Hans Castorp umworbene Sehnsuchtsfigur (Mirjam Birkl) verkörpert zwischendurch auch dessen Jugendfreund Prbislav Hippe, Ludovico Settembrini (Norbert Stöß) besticht als langhaarig-unordentlicher Intellektueller mit 68er Touch.
Sein Gegenspieler Naphta (Andrej Kaminsky) trägt seine ideologischen Ansichten mit verbissener Miene zur Schau. Eindrucksvoll auch der Auftritt von Mynheer Peeperkorn (Michael Schrodt), durchtrainiert und tätowiert in „Alles-oder-nichts“-Manier. Zentrale Figuren sind neben Castorp noch der Chefarzt Hofrat Behrens (Kai Windhövel) und sein Assistent Dr. Krokowski, im Original der Vertreter der freudschen Seelendeutung, hier sinnigerweise mit einer leicht esoterisch angehauchten Frau mit Gretchenzopf (Stephanie Schönfeld) besetzt.
Die Charaktere leben von ihren Texten, die weitgehend im Original aus dem Roman kommen und die Bühnenakteure, aber auch die Zuschauer, maximal herausfordern. Originelle und kurzweilige Regie-Einfälle können da zwar auflockern, machen aber noch keine dramatische Handlung aus dem textlastigen Roman. Gelungen ist allerdings die Einbindung der Musik. Stefan Leibold agiert aus dem Off, spielt die von Mann im Roman erwähnten Musikstücke in dramatisch aufgeladenen Schlüsselszenen.
Ein anstrengender, aber nicht sinnloser Theaterabend, der für die von den Schauspielern expressiv gesprochenen Mann-Texte höchste Konzentration erfordert.
Etwas manierierte Regie-Einfälle – etwa der in Castorps Armen sterbende Ziemßen oder die sinnfreie Entkleidung Castorps zum Schluss – sind zwar typisch für Bücker, aber kaum mit Manns hanseatisch-sarkastischer Sachlichkeit in Einklang zu bringen. Der respektvolle Applaus für die Darsteller kam dem Publikum aus dem Herzen. Auch deshalb, weil man nach drei Stunden erleichtert war, dass es vorbei ist.
Bleibt also die Frage, ob Manns Zauberberg auf die Bühne gehört. Ob die philosophischen und weltanschaulichen Diskussionen nicht besser in aller Ruhe, mit der Option zum Zurückblättern, einfach gelesen werden sollten – oder in einem opulenten Film verarbeitet. Dass auf der Bühne nur ein Bruchteil der Welt des 1924 erschienen Romans ankommen kann, hat sich auch bei dieser Inszenierung erwartungsgemäß bestätigt. Ein Besuch im Martinipark lohnt sich für Zauberberg-Fans unter diesem Vorbehalt aber trotzdem.