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Sport und Gesellschaft

Stanley-Cup: Der Tag als der Heilige Gral des Sport nach Augsburg kam

Die Eishockeystadt Augsburg feierte gestern ein beispielloses Ereignis, das sich im kollektiven Gedächtnis der Stadt als der Tag verfestigen wird, an dem der Heilige Gral nach Augsburg kam.

Von Siegfried Zagler

OB Eva Weber, Nico Sturm und Landrat Klaus Metzger und der Stanley-Cup © DAZ

Der Stanley Cup ist die wichtigste Eishockeytrophäe der Welt. Der Pokal wurde am 18. März 1892 vom britischen Generalgouverneur von Kanada Frederik Stanley, Baron Stanley of Preston gestiftet. Das erste Finale um die Trophäe fand am 22. März 1894 statt. Nur die Wimbledon Championships sind ein älteres Turnier mit einem ähnlich bedeutsamen Status in der Welt des Leistungssports. Seit 1910 spielen professionelle Mannschaften um den Stanley-Cup. Die Namen der Spieler, die an mindestens 41 Vorrundenspielen oder an einem Spiel der Finalserie teilgenommen haben, werden in die Trophäe graviert. Erster Stanley Cup-Sieger wurde am 17. März 1893 der Meister der kanadischen Amateurhockeyvereinigung.

Der Stanley-Cup ist eine Art Heiligtum im Eishockeysport, ein heiliger Gral, der nur mit großem Aufwand und herausragendem Leistungsvermögen zu gewinnen ist. Nach 82 Hauptrundenspielen folgen vier Play-off-Runden mit jeweils minimal vier und maximal sieben Spielen. Läuft es also in den Play-offs optimal, gewinnt das Siegerteam den Stanley-Cup nach 98 Spielen, muss Best-of-seven viermal voll ausgespielt werden, sind 110 Spiele für den Gewinn des Pokals nötig. Es gibt weltweit keine Sporttrophäe, die schwerer zu gewinnen ist als der Stanley-Cup. Seit 1994 darf jeder Spieler der Siegermannschaft den Pokal einen Tag für eigene Zwecke verwenden.

250 Tage im Jahr befindet sich der Stanley-Cup deshalb auf Reisen. Dieser Brauch brachte das historische Prunkstück in erhabene und despektierliche Situationen, da siegestrunkene Eishockeyspieler zu allen Zeiten zu irrationalen Handlungen neigen. Er sank im Schwimmbad von Mario Lemieux auf den Grund, worauf die Mannschaftskollegen verwundert zu Protokoll gaben, dass Lord Stanley nicht schwimmen könne. Er wurde am Straßenrand nach einem Reifenwechsel vergessen. Er wurde in der Nacht entlang eines zugefrorenen Kanals geschossen und erst am anderen Tag wiedergefunden. Eine ungeschriebene Regel besagt, dass man ihn nicht berühren dürfe, bevor man ihn nicht gewonnen habe, sonst würde man ihn nie gewinnen. Aus ihm wurde nicht nur Sieger-Champagner getrunken, auch Kühe und Hunde tranken aus Lord Stanleys Kelch. Als Frühstücksschüssel für Cornflakes wurde die Trophäe schon benutzt, als Taufbecken verwendet. Und sie besuchte die US-Präsidenten Ronald Reagan, George H. W. Bush, Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama im Weißen Haus. Der 17,5 Kilogramm schwere Stanley-Cup wurde im Kreml und im Kanadischen Parlament herumgereicht.

Es ist also alles andere als eine Selbstverständlichkeit, dass der Stanley-Cup von einem Spieler in seine Heimatstadt oder zu seinem Jugendverein gebracht wird. Der 27-jährige Nico Sturm musste jedoch keine Sekunde überlegen: „Heimat ändert sich nie. Ich fühle mich in Augsburg unheimlich wohl“, sagte er gestern vor 2000 entzückten Eishockeyfans beim Sofa-Interview auf der Eisfläche des CFS.

Held und Trophäe in den CFS-Katakomben © DAZ

Dass ein in Augsburg geborener Spieler in der NHL Fuß fasst, zur einem Titelfavoriten gedraftet wird und den Stanley-Cup gewinnt, um ihn mit nach Hause zu nehmen, ist in der langen Geschichte des AEVs noch nie geschehen. Aus diesem Grund pilgerten gestern, an einem siedend heißen Badewetter-Nachmittag, knapp 2000 Eishockeyfans ins Curt-Frenzel-Stadion, um Nico Sturm, den AEV und sich selbst zu feiern.

Bevor Sturm im CFS den Pokal dem AEV-Nachwuchs und den Fans präsentierte, wurde er für seine Verdienste im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses von Oberbürgermeisterin Eva Weber, Bürgermeister Bernd Kränzle, Bürgermeisterin Martina Wild und Landrat Dr. Klaus Metzger geehrt. „Wir sind stolz, denn sie haben Sportgeschichte geschrieben“, so Weber vor rund 100 Gästen und erklärte Nico Sturm zum Botschafter der Stadt Augsburg.

Nico Sturms Geschichte klingt wie ein Märchen, in dem – wie es in Märchen ja oft der Fall ist – Fleiß und Beharrlichkeit belohnt werden. Lange musste Nico Sturm für seinen Durchbruch arbeiten, lange musste er die Tugenden Geduld und Fleiß voranstellen. Kurz nach dem Abitur im Augsburger Gymnasium bei St. Anna ging Sturm, gerade volljährig geworden, in die USA, um sich dort über das Junior-Eishockey an einer Universität zu empfehlen. Das war 2014.

Ein Plan, der aufging: Drei lange Jahre studierte Sturm an der Clarkson University im Bundesstaat New York und schloss sein Studium “Financial Information and Analysis” erfolgreich ab. Ohne je ein DEL-Spiel gemacht zu haben, ohne jemals für die Deutsche Eishockeynationalmannschaft gespielt zu haben, fand Sturm seinen Weg in die NHL, wo ihn die Minnesota Wild verpflichteten. Das war 2019. Sturm gehörte über Nacht plötzlich zur Elite des Eishockeys. Damals war der beim AEV ausgebildete Nico Sturm bereits 24 Jahre alt. Im zweiten Jahr folgten nur sechs Spiele. Erst im dritten Jahr sollte Nico Sturm 57 Einsätze bekommen, 20 Scorerpunkte machen und als knallharter defensiver Center überzeugen.

In dieser Saison tauchte er erstmalig auf dem Radar der großen Organisationen auf. Kurz vor den Play-offs dieser Saison griff dann ausgerechnet Colorado Avalanche zu, ein finanzstarker Klub, der jedes Jahr zu den Stanley-Cup-Favoriten zählt. Und sie gewannen den Wettbewerb – mit Nico Sturm, der in der Finalserie gegen die Tampa Bay Lighting eine wichtige Rolle spielte. Kurz bevor der Heilige Gral des Eishockeysports nach Augsburg kam, wechselte Nico Sturm die NHL-Organisation. Von den San Jose Sharks erhielt er einen Dreijahresvertrag, der ihm jährlich zwei Millionen Dollar einbringt. Damit liegt Sturm zwar immer noch unter dem Durchschnittseinkommen der NHL, aber einkommenstechnisch um ein Vielfaches höher als der bestbezahlte DEL-Spieler.

Samstagnachmittag (14.30 Uhr) warten knapp 2000 Eishockeyfans auf Nico Sturm im CFS © DAZ

Am Ende der Feierlichkeiten nahm Nico Sturm den Stanley-Cup mit nach Hause in den Garten der Eltern in Bergheim, wo zirka 50 Freunde und Familienangehörige eine ruhige Gartenparty feierten, ohne mit dem Pokal irgendetwas Despektierliches anzustellen. Zusammen mit dem Hüter des Pokals verlässt der Stanley-Cup am heutigen Sonntag die Stadt Richtung Stockholm.

Was immer in Nico Sturms weiteren Karriere auch geschehen mag, der Tag, als Nico Sturm den Stanley-Cup nach Augsburg brachte und sich ins Goldene Buch der Stadt eintrug, gehört zu jenen Tagen, die sich im kollektiven Gedächtnis der Stadt verfestigen werden.