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Donnerstag, 30.01.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Mutter Courage im Martinipark

Die zwangsläufige Dynamik des Krieges

von Halrun Reinholz

Zum diesjährigen Brechtfestival hat das Theater Augsburg wieder mal ein Brechtstück auf dem Spielplan. Nachdem das Fehlen der Theaterpräsenz im letzten Jahr zum 125. Geburtstag Bertolt Brechts moniert worden war, wurde das sozusagen nachgeholt. Und so fand zur Eröffnung des Festivals zeitgleich auch die Premiere des Stückes „Mutter Courage und ihre Kinder“ im Martinipark statt. 

Es ist eines der eindringlichsten und auch bittersten Stücke von Brecht. Angesichts der aktuellen Weltlage weist es zudem eine erschreckende Aktualität auf. Die Normalität des Krieges, der sich selbst nährt und stetig fortführt wie eine Lawine, ist die Konstante der Handlung. Die Marketenderin Anna Fierling kennt nichts anderes als den Krieg. Sie steht ihm politisch gleichgültig gegenüber, aber sie lebt davon. Mit ihrem Wagen und ihren drei Kindern Eilif, Schweizerkas und der stummen Kattrin zieht sie den Heeren hinterher. Es ist der Dreißigjährige Krieg, den sich Brecht am Vorabend des Zweiten Weltkriegs als Folie für die Handlung seines Stücks gewählt hat. Der Erste Weltkrieg ist zwar noch in der Erinnerung der Menschen präsent, doch gilt der Dreißigjährige Krieg im kollektiven Bewusstsein der Historiker als das furchtbarste Kriegsereignis der Geschichte – wegen seiner Dauer und wegen des unermesslichen Leids für die Zivilbevölkerung. Ein schier nicht enden wollender Krieg, Normalzustand für eine ganze Generation.

Zeitlos und aktuell

David Ortmanns Inszenierung verzichtet auf plakative aktuelle Bezüge und vertraut zu Recht auf die Zeitlosigkeit von Brechts Text. Im Zentrum des Geschehens steht der Wagen der Marketenderin, die von allen „Mutter Courage“ genannt wird, weil sie „durch das Geschützfeuer von Riga“ gefahren ist „mit fünfzig Brotlaib im Wagen.“ Ihre Courage ist reiner Selbsterhaltungstrieb, ihr einziges Ziel, ihre drei Kinder durchzubringen. Ute Fiedler spielt diese pragmatisch-unsentimentale, vom Leben (und vom Krieg) gezeichnete Frau hervorragend. Alles um sie herum spielt sich vor oder neben einem militärisch anmutenden Zelt ab, aus dem die Akteure auftauchen und in das sie wieder verschwinden. Die Soldaten der Statisterie verändern unmerklich ihr Aussehen, werden im Lauf des Stücks immer „heutiger“ in der Ausrüstung. Und an der Wand werden Strichlisten geführt von Gefallenen. Eine zeitlose Angelegenheit.

Das Anliegen der Mutter Courage, ihre Kinder durch den Krieg zu bringen, ist zum Scheitern verurteilt. Gegen den Willen der Mutter lässt sich der älteste Sohn Eilif (Julius Kuhn) für den Kriegsdienst anwerben. Er wird in einer kurzen Friedensphase erschossen, weil er einen Bauernhof plündert. Für sowas war er im Krieg belobigt worden. Schweizerkas (John Armin Sander) bewacht die Kriegskasse der Truppe. Als die Katholischen das Lager überfallen, kann die Mutter ihn nicht davon abhalten, die Kasse zu verstecken. Er gesteht unter Folter und die Versuche der Mutter, ihn mit Geld auszulösen, scheitern. Um sich selbst zu retten, muss sie ihn selbst vor seiner Leiche verleugnen.  

Erst der Krieg schafft Ordnung

Schließlich ist da noch die stumme Tochter Kattrin, das Sorgenkind der Mutter. Sie kann sich nicht artikulieren und die Mutter weiß deshalb nicht, „was in ihrem Kopf vorgeht.“ Eine Besonderheit der Inszenierung ist, dass Kattrin tatsächlich von einer gehörlosen Schauspielerin gespielt wird. Anne Zander artikuliert sich mit Gebärden, was dem Publikum als Übertitel übersetzt wird. Da es (zumindest bei der Premiere) auch viele Gehörlose im Publikum gab, die wiederum die Bühnensprache nicht verstehen können, wird der gesamte Text wie beim Musiktheater an die Wand projiiziert. Kattrin greift in den Krieg ein, indem sie die Bewohner der belagerten Stadt Halle lautstark warnt, das bezahlt sie mit dem Leben. Die zentralen Figuren werden ergänzt von Gerald Fiedler, Klaus Müller, Natalie Hünig, Sebastian Müller-Stahl sowie von der Statisterie. Die Normalität des Krieges ist gleichzeitig das Grauenvolle daran. „Frieden, das ist nur Schlamperei, erst der Krieg schafft Ordnung“, hat Brecht dem Feldwebel in den Mund gelegt. Mehr aktuellen Bezug braucht es da nicht.

Mutter Courage und ihre Kinder (v.l.): Anna Zander (Kattrin), Julius Kuhn (Eilif), John Armin Sander (Schweizerkas) und Ute Fiedler (Mutter Courage) ©Jan-Pieter Fuhr

Mutter Courage und ihre Kinder (v.l.): Anna Zander (Kattrin), Julius Kuhn (Eilif), John Armin Sander (Schweizerkas) und Ute Fiedler (Mutter Courage) ©Jan-Pieter Fuhr

 

Die Dekonstruktion der Musik

Eine wichtige Rolle spielt bei der Mutter Courage die Musik von Paul Dessau. Sie wirkt zuweilen schräg und atonal. Stefan Leibold, der für das Schauspiel zuständige Theatermusiker, erklärt dem Publikum bei der einige Tage nach der Premiere stattfindenden „Theaterpredigt“ den Grund dafür: Dessau hat das Klavier „verwanzt“, mit Reißnägeln bearbeitet, um den Ton zu dämpfen und, ja zu „dekonstruieren“, wie der Krieg das Leben dekonstruiert. Leibold führt diesen Effekt vor, indem er Klebeband  an bestimmten Stellen der Klavierhammer anbringt. Bei der Bühnenaufführung sind außer dem Klavier auch andere Instrumente beteiligt – Bläser und Schlagwerker aus den Reihen der Augsburger Philharmoniker. Auch die Blasinstrumente sind gedämpft und unterstreichen die Botschaft der bekannten Dessau-Lieder: „Und was noch nicht gestorben ist / das macht sich nun auf die Socken nun“ (Lied der Mutter Courage), „Ihr vergeht wie der Rauch / und die Wärme geht auch“ (Ballade vom Weib und dem Soldaten). 

Kanzelrede zur Mutter Courage

Nur zwei Tage nach der Premiere der Mutter Courage fand in der Kirche St. Anna die „Theaterpredigt“ dazu statt. Dieses beliebte Format, eine Kooperation des Staatstheaters mit den beiden innenstadt-Kirchen St. Anna (evangelisch) und St. Moritz (katholisch) bietet einem Redner die Möglichkeit, zum Thema des jeweiligen Stückes von der Kanzel zu „predigen“. Die Kanzelrede zur Mutter Courage hielt Freifrau Elisabeth von Hammerstein, Politikwissenschaftlerin, die sich in ihrer Dissertation mit dem Westfälischen Frieden und seiner möglichen Vorbildfunktion für die Lösung moderner Konflikte befasst. Diesen Gedanken erörterte sie im ersten Teil der Rede, stellte die historischen Zusammenhänge dar und hob die Bedeutung dieses Friedensvertrags nach einem unendlich langen Krieg mit verhärteten Fronten hervor. Zwar haben die Verhandlungen für den Friedensvertrag von Münster und Osnabrück sich über fünf Jahre gezogen, doch mit hoher Kompromissbereitschaft sei es gelungen, nach den verheerenden Zerstörungen eine Neuordnung Europas zu schaffen. Sie sähe da durchaus Möglichkeiten, sich auch in den aktuellen Konflikten im Nahen Osten und der Ukraine an einem solchen Vertragswerk zu orientieren.

Strichlisten für die gefallenen Soldaten ©Jan-Pieter Fuhr

Strichlisten für die gefallenen Soldaten ©Jan-Pieter Fuhr

Deeskalation durch bewusste Sprache

Im zweiten Teil ihrer Rede lenkte Elisabeth von Hammerstein die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Bedeutung der Sprache für die öffentliche Wahrnehmung von Dingen.  Ihre Erfahrungen dazu sammelt sie nicht zuletzt durch ihre derzeitige berufliche Tätigkeit als Redenschreiberin des Bundesverteidigungsministers. Auch durch Sprache, hat sie festgestellt, werden Dinge in den Fokus gerückt, etwa der Krieg. „Deutschland muss kriegstauglich werden“, ein Satz ihres Vorgesetzten, hat zu Irritationen geführt, obwohl er nur vor einem einschlägigen (militärischen) Publikum geäußert wurde. Durch Sprache kommen Bedrohungen näher, werden Hemmschwellen abgebaut. Mit Sprache bewusst und sorgsam umzugehen sei im Zeitalter sozialer Medien mehr denn je ein Gebot des demokratischen Bewusstseins. Die „Eskalationsspirale der Rhetorik“ sei nicht zielführend, sondern spaltend. Deeskalation, sorgsamer Umgang mit Sprache, sei deshalb ein Gebot der Vernunft und dringender Auftrag an alle, die sich mit Sprache beschäftigen.