Konzert
6. Sinfoniekonzert: Die Kraft der Natur
Archaisches und Ursprüngliches mit dem Artist in Residence. Die Augsburger Philharmoniker begeistern das Publikum.
von Halrun Reinholz
Nicht so viel Bekanntes beim 6. Sinfoniekonzert. Und doch war die Kongresshalle gut besucht bei dem als „Naturkraft“ angekündigten Konzertabend, den der erste Kapellmeister Ivan Demidov dirigierte.
Zum Einstieg ein Stück der Finnin Kaija Saariaho mit dem Titel „ciel d`hiver“, Winterhimmel. Und das an einem Apriltag mit Sommertemperaturen. Die vielseitige Komposition der im letzten Jahr viel zu früh verstorbenen Komponistin huldigt dem winterlichen Sternbild des Orion. Das suggestive Klangerlebnis aus sphärischen Klängen entsteht durch feine Nuancen und zarte Schattierungen. Kaija Saariaho verstand sich als Feministin und orientierte sich, mangels finnischer Vorbilder, an den Schriftstellerinnen Anais Nin und Simone Weil.
Das zweite Stück brachte den Schlagzeuger Alexej Gerassimez auf die Bühne, Artist in Residence der laufenden Spielzeit und dem Augsburger Publikum inzwischen bekannt. Er spielte ein Konzert für Schlagzeug und Orchester des 1966 geborenen neuseeländischen Komponisten mit griechischen Wurzeln John Psathas, das den Namen des Seeungeheuers Leviathan trägt. „Unserem Planeten geht es sehr schlecht, und es scheint, als könnten wir es kaum erwarten, die ‚Ziellinie‘ zu erreichen“, gibt der Komponist zu Protokoll. Ein Klimastück also, das den außer Kontrolle geratenen Wettlauf des Menschen mit der Katastrophe beschwört. Ungewöhnlich, aber konsequent, verstärkt er die Suggestion der verschmutzten Natur durch die Wahl des Instrumentariums – außer den üblichen Schlaginstrumenten kommen eine mit Wasser gefüllte Plastikflasche zum Einsatz, eine mit Wasser gefüllte Ikea-Salatschüssel sowie ein Sieb, durch das Wasser gegossen wird. „Auf dem Weg zur Hölle“ und „Bald gehen wir alle auf dem Wasser“, sind der erste und der dritte Satz überschrieben. Der zweite Satz dazwischen, „Der letzte Bach“, knüpft an Beethovens Pastorale an und stellt sich der Frage, wie dieser „ikonische Komponist“ auf den aktuellen Zustand der Natur reagiert hätte.
Der letzte Satz, „Ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang“, zitiert ein bekanntes Gedicht von Rilke („Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen/die sich über die Dinge zieh`n/Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen/aber versuchen will ich ihn./Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,/und ich kreise jahrtausendelang,/und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm/oder ein großer Gesang.“) Die Hoffnungsäußerung des Dichters korreliert mit dem Optimismus Beethovens, doch dazu bedarf es des Handelns. Der Schlagzeuger steht die ganze Zeit über im Dialog mit den Musikern, mit den Elementen, bedient sich auch der klangvollen Töne des Vibraphons. Eine Herausforderung für Gerassimez, die er durch seine Dynamik und Virtuosität bravourös, ja schwindelerregend meistert. Das begeisterte Publikum entlockt ihm gleich zwei virtuose Zugaben, die er mit heiterer Lust und Leichtigkeit darbringt.
Die Sinfonie Nr. 1 in e-Moll op. 39, von Jean Sibelius, auch nicht eben ein Mainstream im Konzertprogramm, rundete das Konzert ab. Sie zeigt einen Aspekt des finnischen Komponisten, der abseits vom Klischee des romantischen Folkloristen liegt, von dem die Rezeption in den europäischen Konzertsälen gängigerweise geprägt ist. Es lag ihm daran, als Sinfoniker ernstgenommen zu werden. Seine Auseinandersetzung mit Beethoven, Bruckner, aber auch Berlioz spiegelt sich in dem Werk. Eine Sinfonie war für ihn ein „Glaubensbekenntnis“, das er ernsthaft zu vermitteln suchte und wovon die Augsburger Philharmoniker auch das Konzertpublikum überzeugen konnten.