Barockes Liebesschmachten mit Schuss: Serse im Martinipark
Mit einer Barockoper fordert das Staatstheater Augsburg die Zuschauer in dieser Spielzeit heraus. Was ihnen nach drei Stunden der Verirrungen und Verwirrungen auf der Bühne bleibt, sind bewegte Bilder und sehr schöne Musik.
Von Halrun Reinholz
Die Ersatzbühne im Martinipark ist nicht für ihre Vielfalt an technischen Möglichkeiten bekannt, aber die Inszenierungsteams des Augsburger Theaters verstehen es immer wieder, den Widrigkeiten zu trotzen und die mangelnde Bühnentechnik mit Hilfe von Videos und anderen Licht-Mitteln zu kompensieren. Ein Segen ist die immerhin vorhandene Drehbühne, die den Augen des Publikums doch einiges an optischer Illusion zu bieten imstande ist. Gerade bei Bühnenwerken, die dramaturgisch nicht allzuviel hergeben. Mit „Serse“ von Georg Friedrich Händel hat das Staatstheater ein solches auf den Spielplan gesetzt, eine Oper, die ganz in ihrem Zeitgeist steht. Der persische König „Serse“ (warum der italienische Name gewählt wurde statt des viel geläufigeren deutschen „Xerxes“ erschließt sich eigentlich nicht) ist das historische Vorbild der Handlung, aber es geht weder um Persien, noch um Politik, sondern um die barocktypischen Liebes-Ränkespiele und um Paare, die nicht, und dann doch, und manche dann doch nicht, zueinander finden.
Der Handlung zu folgen, ist auch in der Inszenierung von Claudia Isabel Martin fast ein Ding der Unmöglichkeit. Auch das Programmheft ist da nicht hilfreich, weil die Protagonisten (außer Serse) irgendwie ähnlich klingende Namen haben und auch alle irgendwie ähnlich aussehen – weiße Anzüge, (weiße) Kleider im 20er Jahre-Stil, nur selten Farbtupfer. Auf der Drehbühne sind die Umrisse einer ockerfarbenen Mauer zu sehen, die wie eine orientalische Burg anmutet. Immer wieder Fenster und Lücken darin, wo gesungen und sich angeschmachtet wird. Dass die Männerrollen, original für Kastraten vorgesehen, mit Frauen besetzt sind, erleichtert es nicht wirklich, sich in der Handlung zurechtzufinden. Auch nicht durch die Video-Zooms der Gesichter und anderer Bilder.
Aber das Publikum lernt schnell, dass es darauf nicht ankommt. Denn trotz der mageren Handlung in der dreistündigen Aufführungsdauer wird der Opernbesuch nicht zur gähnenden Hängepartie. Das liegt vor allem an Händels Musik, die immer wieder überraschende Höhepunkte, auch einige bekannte Arien und Duette, zu bieten hat. Ivan Demidov beweist souverän, dass er auch Barock kann, und das sogar eigenhändig am Cembalo. So nebenbei zeigt auch (nicht zum ersten Mal) sein komödiantisches Talent – erscheint auf der Bühne, statt im Orchestergraben und wird streng auf seinen Platz geschickt, oder er greift nach der Kamera und agiert als „Hochzeitsfotograf“. Auch das Inszenierungskonzept lässt immer wieder komödiantische Elemente durch die barocken Liebesorgien perlen und sorgt damit für Farbigkeit und Kurzweil.
Die musikalische Qualität und Präzision des Orchesters findet ihr Pendant auf der Bühne. Wegen des überbordenden Bedarfs an Frauenstimmen werden die Solistinnen des Ensembles Natalya Boeva, Luisa von Garnier, Jihyun Cecilia Lee, Olena Sloia und Kate Allen noch (teilweise in Doppelbesetzungen) mit Gästen verstärkt: Fanny Lustaud und Talia Or. Die Baritone Wiard Witholt und Shin Yeo sorgen mit den tiefen Männerstimmen für Ausgleich und Abwechslung. Als „Re buffone“ tritt Erik Völker auf. Sehr aktiv und spielfreudig tritt wie immer der wunderbare Opernchor in Erscheinung.
So wirkt das Opernerlebnis insgesamt etwas märchenhaft, bleibt aber wegen des hervorragenden künstlerischen Gesamteindrucks doch letztlich in guter Erinnerung.