Brechtfestival 2024: Unter Kumpels und Sportsfreunden
Die informelle doppelte Eröffnung zeigt interessante Ansätze, aber auch Befremdliches
Von Halrun Reinholz
Nun ist wieder Brechtfestival, zum zweiten Mal unter der Leitung von Julian Warner. Die Eröffnung im Martinipark fiel mit der Premiere von „Mutter Courage“ zusammen. Im Gegensatz zum letzten Jahr, als das Festival Brechts 125. Geburtstag feierte, ist das Theater diesmal zumindest mit im Boot.
Festlich eingestimmt, ein Glas Sekt in der Hand, wartet das Premierenpublikum gespannt auf die eröffnenden Grußworte. Auf der Bühne sitzt schon die ganze Zeit über ein elegant gekleideter Mann mit Frauenperücke und in blau und grün glitzernder Garderobe. In einem sehr rustikalen Deutsch mit stark angelsächsischem Akzent fängt er unvermittelt an, die Anwesenden freundlich zu begrüßen. Er ruft „die Eva“ (Weber) auf die Bühne, dann „den Jürgen“ (Enninger) und schließlich „den André“ (Bücker), den Hausherrn im Martinipark. Weder im Programmheft noch im Internet findet sich ein Hinweis darüber, wer der ominöse Festival-Eröffner ist. Erst intensive Internet-Recherchen lösen das Geheimnis auf: Es handelt sich um den „Schauspieler und Performer“ Damian Rebgetz, offenbar aus Berlin angereist, wie er selbst im Plauderton bekanntgibt. Manche kennen ihn wohl schon vom letzten Brechtfestival.
„Brecht und keine Zukunft“
„Brecht und keine Zukunft“ hat Festivalleiter Julian Warner das Editorial zum Brechtprogramm überschrieben, als Erklärung für das diesjährige Festival-Motto: „No Future“. Wenig eingängig, weil langatmig und kompliziert formuliert, seine auf Brecht und Benjamin verweisende philosophische Grundlage für dieses Motto. „Die naiven eskapistischen Vorstellungen von … Erhöhung, Innovation und Befreiung werden ersetzt durch die Administration der sich auftürmenden Katastrophe. Was bleibt, ist das Hier und Jetzt.“ Diese No-Future-Stimmung vermittelt Warner bei der Festivaleröffnung allerdings nicht. Er seht gut gelaunt und grinsend im Publikum und macht keine Anstalten, als Gesamtverantwortlicher zumindest für ein informelles „Hallo“ in Erscheinung zu treten.
Befragt von Moderator Damian darf „die Eva“ nun dazu Stellung nehmen, wie sie als Stadtoberhaupt das apokalyptisch anmutende Motto „No Future“ sehe. Für sie sei das keine Frage und keine Feststellung, sondern eine sportliche Herausforderung, eine Anregung, nach Lösungen zu suchen, sagt sie, und führt ihre „grundsätzlich optimistische Einstellung“ und Zuversicht ins Feld. Auch „der Jürgen“ muss sein vorbereitetes Grußwort stecken lassen. Immerhin kann er etwas energisch durchsetzen, wenigstens die Liste der Sponsoren verlesen zu dürfen. Im übrigen lobt er die Verknüpfung des Brechtfestivals mit dem Thema Sport, ein Bereich, der auch in sein Ressort fällt. Intendant André Bücker und Dramaturgin Melanie Pollmann stimmen dann noch auf die bevorstehende Premiere von Brechts „Mutter Courage“ ein – ein eindringliches und angesichts der aktuellen Weltlage höchst aktuelles Stück darüber, was „der Krieg“ mit den Menschen macht. (Über die Premiere folgt demnächst ein eigener Beitrag).
Am nächsten Tag fand, abseits vom glitzernden Premieren-Parkett (falls man den Martinipark so nennen kann), eine zweite, quasi volkstümliche Festival-Eröffnung statt. Die Idee, in die Stadtteile zu gehen und lokale Akteure mit einzubeziehen, hat Warner auch in diesem Jahr fortgeführt und Oberhausen dafür ausgewählt. Als Festivalzentrale fungiert das ehemalige Möbelhaus Lederle am Plärrer, ein ausreichend großes und gut erreichbares Gebäude. Die große Parkfläche dahinter wurde angesichts des sonnigen Frühlingswetters für die Eröffnungsveranstaltung genutzt. Moderator Damian Rebgetz, diesmal in königlich anmutender Robe, begrüßte die Menschen vom Flachdach aus, wo auch die die Grußworte gesprochen wurden. Derweil fand unten auf der rieseigen Fläche das „Turnfest“ mit Vorführungen verschiedener Sportvereine und anderer Gruppen statt, die der Einladung des Festival-Teams gefolgt waren. Den Start machte wenig akrobatisch, dafür auch ohne Verstärkung deutlich hörbar, die „Alphorngruppe Waltenhofen“. Sportlich wurde es mit der Gruppe der Cheerleader „CheerInMotion“, die atemberaubende Akrobatik vorführten. Es folgten die Pfadfinder der Assyrischen Jugendgruppe, die Voltegiergruppe des Augsburger Pferdesportvereins, die Marching Band der Centerville-Schule, der Augsburger Baseball-Verein, eine Tanzgruppe des Mesopotamien-Vereins, Mitglieder der Jiu-Jitsu und Karate-Schule Augsburg, eine sehr große Yoga-Gruppe sowie ein Musikensemble des Alevitischen Kulturvereins. Nicht alle erwiesen sich als so vorführtauglich wie die akrobatischen Cheerleader, doch die Aufmerksamkeit der Zuschauer musste ohnehin zweigeteilt werden, denn die Reden vom Flachdach erfolgten nicht zwischen, sondern während der sportlichen Vorführungen auf dem Platz. Die Philosophin Eva von Redecker knüpfte auch an die von Warner vorgegebene Dualität von Brecht und Benjamin an und berichtete von den Alpträumen einer Menschheit ohne Zukunft. Nur die Phantasie, so ihr Plädoyer, kann für ein sanftes Erwachen aus dem Alptraum sorgen. Danach gaben Vertreter von drei Religionen ganz persönliche Einblicke darüber, wie sie sich die Gestaltung der Zukunft vorstellen: Riza Eliagir vom Augsburger Bildungs- und Kulturverein in der Eschenhof-Moschee baut auf das Rezept des menschlichen Miteinanders, zu dem auch der Humor gehört. Nenad Živković von der serbisch-orthodoxen Gemeinde Augsburg orientiert sich an der Unbeschwertheit seiner Kinder im Hier und Jetzt und die evangelische Pfarrerin der Oberhauser Kirche St. Johannes Snewit Aujezdsky findet ihren Anker im Glauben. Durch die Gleichzeitigkeit mit den Sport-Vorführungen ergaben sich durchaus interessante Assoziationen zwischen Auge und Ohr: Die achtsamen Worte der Philosophin wurden durch die Yoga-Posen unterstrichen, die salbungsvolle Predigt der evangelischen Pfarrerin dagegen durch den harten Aufprall der schwarzbegürtelten Jiu-Jitsu Kämpfer seltsam konterkariert. Kontraste wie im richtigen Leben.
„Wenn der Lauf der Geschichte in keine Zukunft mehr führt, muss er aufgehalten werden. So wie die historischen Turner*innen ihr Körpertraining mit einer politischen Idee verbanden, ist auch dieses Turnfest eine politische Geste: Mit Kraft, Spannung und Schwung bäumen wir uns auf gegen den Lauf der Geschichte.“ So die Prämisse im Brechtfestival-Programm für dieses „Turnfest“ zur Eröffnung. Turnen mit politischer Idee verbinden? Das ruft irgendwie unangenehme Assoziationen hervor. Dieses „Turnfest“ hatte allerdings nichts von dem, was in Nazi-Zeiten aber auch in der Sowjetunion und den Ostblock-Ländern an Missbrauch der sportlichen Idee stattgefunden hatte. Vielmehr sind heute die Orte, wo man „das Volk“ findet die Sport- und Kulturvereine der Stadt, insofern ist der Ansatz, in die Stadtviertel zu gehen, in Brechts Sinn konsequent. Ob die „Aufbäumung gegen den Lauf der Geschichte“ allerdings funktioniert und die „Vollbremsung“, die wir angeblich leisten müssen, um die Zukunft doch noch zu retten, durch dieses Brechtfestival in Gang gebracht werden kann, ist wohl eher Wunsch als Wirklichkeit. Wahrscheinlich braucht es eine wundersame, märchenhafte Rettung, wie sie zum Ende des Turnfestes sozusagen aus dem Nichts auftauchte: Zu den Klängen der wohlbekannten Filmmusik kam „Winnetou“, sozusagen direkt von den Dasinger Festspielen, in voller Montur – politisch unkorrekt und feierlich beklatscht – hoch zu Ross aus dem Gebüsch. Phantasie, wir erinnern uns, ist die Rettung. Damit war alles gut und die Party bzw. das Brecht-Festival wanderte ins Innere des Festival-Centers, wo bis zum 3. März noch einiges an Programm geboten ist: Sport, aber auch Diskussionsrunden, eine Bar und auch eine mobile Zeitkapsel als Kunstinstallation.