Brechtfestival: “Nachdenken in schwierigen Zeiten”
Unter dem Titel „Worldwide Brecht“ fand vom 18. bis 27. Februar 2022 das erste hybride Brechtfestival statt. Es zeigte globale Perspektiven und Lesarten von Brecht auf, bot Zugänge zu unterschiedlichsten Lebensrealitäten und ermöglichte Einblicke in künstlerische Produktionsbedingungen. Künstlerinnen und Künstler aus Asien, Afrika, Amerika und Europa steuerten Filme, Lesungen, Konzerte, Poetry Slam, Theater und Ausstellungen bei.
Von der Planung bis zum Finaltag begleiteten Pandemie, Unwetter, unsichere Arbeitsbedingungen in den Heimatländern der Künstler und am Ende Putins verbrecherischer Krieg dieses Festival. Dennoch waren viele Gäste persönlich in Augsburg anwesend, darunter Kulturschaffende aus Indien, China, Israel, Togo, Belarus und den USA.
„Das Programm unter dem Motto ‚Worldwide Brecht‘ veranschaulichte eindrucksvoll den internationalen Wirkungsradius von Brechts Werk und machte auf eindringliche Weise deutlich, in welchem Spannungsfeld Kunst- und Kulturschaffende weltweit wirken. Die aktuellen politischen Ereignisse ließen Brechts Werk in seiner zeitlosen Aktualität aufleuchten. Die Juryentscheidung für Julian Warner als neuem Festivalleiter verdeutlicht die besondere Wirkkraft von Kultur für unser demokratisches Miteinander. Mit Spannung erwarten wir hier eine neue partizipatorische Dynamik für die Stadt, die Region und weit darüber hinaus.“ So Augsburgs Kulturreferent Jürgen K. Enninger zum Abschluss des Festivals, mit dem die dreijährige Festivalleitung von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel zu Ende ging.
Kuttner: Ich habe den Eindruck, dass die Stadt nicht so richtig weiß, was sie mit dem Brechtfestival will
Beiden wird haften bleiben, dass sie völlig zurecht in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen kaum ein gutes Haar an der Stadt Augsburg ließen. Es ging um zu niedrige Künstlergagen und zu wenig Reflexion seitens der Stadt: “Ich habe generell den Eindruck, dass die Stadt nicht so richtig weiß, was sie mit dem Brechtfestival will. Die Kulturverantwortlichen sollten sich einmal wirklich darüber Gedanken machen, was man mit diesem Festival machen kann”, so Jürgen Kuttner in der Augsburger Allgemeinen.
Die Produktion „Furcht/Fear“ der belarussischen Theatergruppe Kupalaucy oder eine togolesischeInszenierung der „Mutter Courage“ bedürfen keiner zugefügten Aktualisierung, um als Kommentar auf aktuelle Ereignisse verstanden zu werden. Unter schwierigsten Voraussetzungen schickten Mitglieder einer afghanische Frauentheatergruppe aus dem Untergrund einen Film zu Brecht und ihren Lebensumständen. Chinesische Studierende diskutieren Brechts Filmtheorie und reflektieren dabei die gesellschaftliche Situation in ihrem Heimatland in filmischen Beiträgen. Und US-Künstlerin Zoe Beloff stellt ihr Kunstwerk„Parade of the Old New“ in Augsburg erstmals an einem Stück aus. Die 40 Meter lange Historienmalerei ist auch ein kritischer Kommentar auf die Trump-Ära. Brecht, so formuliert es Festivalleiter Jürgen Kuttner, biete offenbar ein gutes Instrumentarium zum Nachdenken in schwierigen Zeiten. Und das scheinbar überall auf der Welt.
Zwei Programmschwerpunkte
Über den Fokus auf internationale Produktionen hinaus, kristallisierten sich zwei Programmschwerpunkte heraus: Dichter Thomas Brasch – gewissermaßen als Vertreter der geistigen Enkelgeneration von Brecht – und das Thema Exil. Das Staatliche Textil- und Industriemuseum (tim) war nicht nur Heimat der ersten Kunstausstellung im Brechtfestival, sondern zugleich eine vom Berliner Bühnenbildner, Video- und Lichtdesigner Jo Schramm attraktiv inszenierte Festivalzentrale.
Parallel bot sich durch die Förderung „BRECHT DIGITAL“ auch im digitalen Raum die Möglichkeit, dem Festival per Livestream und Mediathek zu folgen. Unterstützt wurde diese zweigleisige Konzeption durch das Programm „dive in. Programm für digitale Interaktionen“ der Kulturstiftung des Bundes. Die aufgezeichneten Beiträge und Digitalprojekte sind dadurch noch weiter in der Mediathek unter brechtfestival.de verfügbar.
Als Kooperationspartner des Brechtfestivals war das Staatstheater Augsburg mit einer eigenen Festivalproduktion in der Regie der künstlerischen Leiter Jürgen Kuttner und Tom Kühnel vertreten: „Morgen ist auch ein schönes Tag, sagte die Eintagsfliege“, ein Theaterabend mit Texten von Thomas Brasch, ist auch noch nach dem Festival Teil des Spielplans. Freie lokale Gruppen wie Bluespots Productions und das Theter Ensemble steuerten ebenfalls Beiträge hinzu. „Die Judith von Shimoda“ von Brecht und nach Yamamoto Yuzo des Theter Ensembles wird noch im März im City Club zu sehen sein.
Nun kommt Julian Warner
Ab 2023 übernimmt Kulturanthropologe und Dramaturg Julian Warner für drei Jahre die künstlerische Leitung. Aufbauend auf der Brecht-Expertise in der Stadt, sollen in kollektiven Arbeitsprozessen lokale Strukturen nachhaltig gestärkt und internationalen Kontakte ausgebaut werden. Geplant sind unter anderem partizipatorische Formate und brechtsche Experimente, die Brecht und seine zeitgenössische Rezeption aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und erforschen. Detaillierte Neuigkeiten zum Festivalkonzept 2023 gibt es voraussichtlich ab Herbst 2022.