Brechtfestival: Reise ins Exil
Das Aktionstheater der der bluespots production nimmt die Besucher mit ins Exil.
Ähnlich wie das sensemble-Theater mit seinem „Exilhaus“ hatten auch die immer wieder mit außergewöhnlichen Ideen in Erscheinung tretenden bluespots productions (künstlerische Leitung: Leonie Pichler) die Idee, Exil für die Zuschauer „erfahrbar“ zu machen. So wurde man Teil eines Geschehens, das am Hauptbahnhof begann. Auf der authentisch wirkenden Fahrkarte („einfach“) war der Abfahrtsort Augsburg vorgedruckt, der Zielort nicht. Je nach Farbe der Karte hatten sich die Teilnehmer zu dem „roten“, „blauen“ oder „gelben“ Schaffner (Anja Neukamm, Johannes Metscher, Linus Förster) zu begeben. Diese sprachen sich gegenseitig mit „Volksgenosse“ an und erteilten, passend zum vermittelten Zeitgeist, strenge Anweisungen an ihre Gruppen. Besonders abweisend waren sie zu einem Pärchen (Rebecca Gebler, Elias Gebler), das offenbar kein Ticket hatte, und mit allen Mitteln verzweifelt versuchte, doch noch mitfahren zu können. In dieser Stimmung begab man sich in den Zug, das Pärchen blieb am Bahnsteig zurück. Während alle noch über den Zielort rätselten (der laut Anweisung eingetragen werden sollte), ertönte aus dem Lautsprecher der vermeintliche Dialog einer Frau (Johanna Wehle) mit dem Lokführer. Die weibliche Stimme fragte sich, wie sie die Fahrgäste begrüßen solle, die „keine Damen und Herren mehr sind“ (Text: Alexander Rupflin). Das Ziel war schließlich der Bahnpark, als Helsinki (Helsingfors) deklariert. Dort trennten sich die drei Gruppen, um abwechselnd als „Exilanten“ an den Darbietungen teilzunehmen. An einem Bahnsteig wartete ein Gepäckwagen, wo man, unbequem zusammengedrängt, Bertolt Brecht auf dem Weg nach Wladiwostock (Leif Eric Young) im Dialog mit dem Geist seiner toten Freundin Margarete Steffin (Stefanie Dischinger), die in Moskau krank zurückgeblieben war, erleben durfte.
Glaubhafter Zugang zum Exil
Der wärmende Glühwein danach machte fit für die nächste zugige Vorführung einer Gruppe von Tänzer(inne)n (Choreographie: Anja Lödermann) und einer Schauspielerin (Angela Kersten) zwischen Lokomotiven, die den „Aufbruch in die Fremde“ thematisierten. Im warmen Bahnhofsrestaurant von „Helsinki“ konnte man schließlich den beiden Flüchtlingen Kalle und Ziffel (Arno Friedrich, Guido Drell) bei ihren „Flüchtlingsgesprächen“ (Regie: Martin de Crignis) lauschen. Und auch auf der Heimfahrt wurde man Zeuge eines Gesprächs zwischen dem Heimfahrer und dem Pendler (Christian Weiblen, Lutz Kliche). Geschickt hatte Leonie Pichler Texte von Brecht mit eigenen verwoben, um die Exil-Stimmung herzustellen. Wie immer eine erfrischende Produktion der bluespots, die viel Aufwand, aber auch viel Engagement erkennen lässt. Ein nicht sehr kuscheliger, aber gerade deshalb sehr glaubhafter Zugang zum Thema Exil.