Fußball EM 2024
Bye-Bye Berlin – Das Sommermärchen endet ohne Happy End
Bis zum Schluss sah es noch danach aus, als könnten die Nagelsmänner auch im Viertelfinale im Stuttgarter Neckarpark Nägel mit Köpfen machen. Doch dann nutzen die Spanier in der letzen Minute der Verlängerung eine Unachtsamkeit der deutschen Defensive zum Siegtreffer.
Von Udo Legner
Der Ball ist rund und Tore lauern überall. So lautet der Titel eines Bestsellers des uruguayischen Autors Eduardo Galeano. Gottlob ist mit diesem Buchtitel, der seine Entsprechung in der bekannten Binsenweisheit „Fußball hat seine eigenen Gesetze“ hat, alles gesagt. Trotzdem soll hier kurz eine Ursachenforschung erfolgen, um dem Erfolg der Spanier und dem Ausscheiden der DFB-Elf zumindest ansatzweise auf die Spur zu kommen. Das ABC des bösen Erwachens.
A Falsche Startelf
An der Einstellung der Nagelsmann-Truppe hat es bestimmt nicht gelegen, eher schon an der Aufstellung. Gegenüber dem Achtelfinale hatte der DFB-Coach seine Stammelf umgebaut. LeRoy Sané und Emre Can erhielten den Vorzug gegenüber Robert Andrich und Florian Wirtz. Diese Änderungen entpuppten sich als Fehlgriffe, die von Nagelsmann in der Halbzeitpause korrigiert wurden (46. <—> Wirtz und Andrich). Neben Jonathan Tah, der nach seiner Gelbsperre wieder in der Startelf stand (80. <—> Müller), Sané und Can taten sich auch Gündogan und Kroos gegen die zweikampfstärkeren Spanier schwer und konnten nicht an ihre Leistungen in den vorhergehenden Partien anknüpfen. „Es waren die erste Halbzeit nicht alle bei 100 Prozent“, räumte Nagelsmann ein, womit sich die Dominanz der Spanier bis zur Halbzeitpause erklärt.
B Überraschungsmomente und Durchschlagskraft? Fehlanzeige!
Im Unterschied zu den Partien in der Vorrunde und im Achtelfinale fehlte es dem Spiel der DFB-Elf insbesondere in der ersten Halbzeit an Überraschungsmomenten und Durchschlagskraft. So geriet die gut gestaffelte spanische Defensive nur selten in Verlegenheit.
Noch bevor sich der Sekundenzeiger einmal gedreht hatte, kamen die Spanier zu ihrer ersten Chance durch Pedri, der nach feinem Zusammenspiel mit Williams und Morata Manuel Neuer zu seiner ersten Parade zwang. Wenig später stand bzw. lag Pedri erneut im Mittelpunkt, als er von Toni Kroos kurz hintereinander zweimal rüde gefoult wurde (4. und 6.). Trotz der Proteste der Spanier gab es vom englischen Unparteiischen Taylor hierfür keine gelbe oder gar gelb-rote Karte, obwohl Pedri nach dem zweiten Foul unter Tränen den Platz verlassen musste. Stattdessen sah Antonio Rüdiger (13.) wegen Foulspiels an Pedris Ersatzmann Olmi gelb – mit der Folge, dass er beim Einzug ins Halbfinale gesperrt gewesen wäre.
Die Dominanz der Spanier, denen im Mittelfeld zu viel Raum gelassen wurde, hielt bis zur Mitte der ersten Halbzeit an und sie kamen zumindest zu Abschlüssen durch Lamine Yamal (15.), Fabián (23.). Erst dann fanden die Nagelsmänner zu ihrem Spiel und verbuchten durch Kopfbälle von Kai Havertz (21.) und Tah (35.) ihre ersten nennenswerten Torchancen. Zwei weitere Halbchancen durch Havertz – das war es auch schon, was die Nagelsmänner bis zum Halbzeitpfiff noch zustande brachten.
Fazit zur Halbzeit: Gegen die robust auftretenden Spanier taten sich die Nagelsmänner schwer, da es ihrem Kurzpassspiel an Kreativität und Spielfluss fehlte.
Kurz nach Wiederanpfiff setzte sich der spanische Jungspund Lamine Yamal gegen den mit Gelb belasteten David Raum durch und legte den Ball für Deutschland-Legionär Olmo zurück, der ihn unhaltbar ins Tor drosch (51.). Die Einwechslungen von Maximilian Mittelstädt und Niclas Füllkrug brachten neuen Schwung in das deutsche Angriffsspiel, aber es dauerte bis zur 89. Minute, bis Florian Wirtz der Ausgleichstreffer gelang, der das DFB-Team in die Verlängerung rettete.
Was den Nagelsmännern in der regulären Spielzeit gelang, schafften die Spanier in der Verlängerung. Als niemand mehr damit rechnete, erzielten sie den 2:1 Siegtreffer. Olmo kam im linken Halbfeld zum Flanken und servierte den Ball auf den Kopf von Merino, der von Rüdiger nicht eng genug markiert wurde und somit keine Mühe hatte, den Ball im linken Eck zu versenken (119.). Dass dieser Kopfstoß auch der Todesstoß für die Titelträume der DFB-Elf war, wurde allen klar, als Füllkrugs Kopfball in der letzten Spielminute der Nachspielzeit am Tor vorbeirauschte (120.).
C Pech, einfach Pech
Wie das legendäre Wembley-Tor im Jahr 1966 wird wohl auch die Entscheidung des englischen Unparteiischen Anthony Taylor im Schaukasten der Fußballgeschichte bleiben. Was war passiert? In der 106. Minute ging der Schuss von Jamal Musiala an die Hand von Marc Cucurella, dessen Arm am Körper herunterhing. Trainer Julian Nagelsmanns Kommentar hierzu: „Der Ball geht aufs Tor, er stoppt ihn mit der Hand, auch wenn es unabsichtlich ist. Es ist total skurril, dass die Intention nicht bewertet wird. Dass es da keinen Elfmeter gibt, kann ich nicht nachvollziehen.“
Das Ausscheiden der DFB-Elf tut weh, zumal mit Holland, Frankreich und England Teams im EM-Halbfinale stehen, die bislang weit weniger überzeugten als die Nagelsmänner. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass Julian Nagelsmanns Ruckrede für mehr Gemeinsamkeit auch nach dem Ende der Europameisterschaft Widerhall findet!
„Wir leben in einem Land, das viel zu viel in Tristesse verfällt, stetig und ständig. In Tristesse und in Schwarzmalerei. Wir haben es gemeinschaftlich geschafft, dieses Land ein bisschen aufzuwecken und schöne Momente zu bescheren. Es gibt mir hierzulande zu viel Schwarzmalerei. Ich hoffe, dass diese Symbiose zwischen Fußballfans und einer Fußballmannschaft auch in der Gesellschaft stattfindet, dass wir begreifen, dass wir als Gemeinschaft und in einer gemeinschaftlichen Gesellschaft mehr bewegen können. Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und individueller sein will als der Nachbar – nein. Gemeinsam ist man stärker, mit Fans stärker als ohne. Mit seinem Nachbarn stärker als ohne. Einfach einen Tick mehr Dinge wieder gemeinsam machen. Diese Gemeinsamkeit hat sehr gutgetan.“
Startelf Deutschland: Neuer – Kimmich, Rüdiger, Tah, Raum – Can, Kroos, L. Sané, Gündogan, Musiala – Havertz