„Cosi fan tutte“ im Martinipark
Regisseurin Nora Bussenius inszeniert die „Schule der Liebenden“ als Labor-Experiment mit KI-Touch – das hat seinen Reiz, ist aber nicht restlos überzeugend.
Von Halrun Reinholz
Claudio Zazzaro, Natalya Boeva, Jihyun Cecilia Lee, Wiard Witholt
„Unglaublich schöne Musik“ fällt dem Augsburger GMD ein, wenn er an die Mozart-Oper „Cosi fan tutte“ denkt. Ein Grund, dieses Werk auf den Augsburger Spielplan zu nehmen. Die Handlung allerdings – ist die noch zeitgemäß? Oder war sie je zeitgemäß? Es gibt zwei Paare – Fiordiligi und Guglielmo sowie Dorabella und Ferrando. Die beiden Frauen sind Schwestern und alle vier sind restlos glücklich und überzeugt, dass das immer so bleiben wird. Doch es gibt sie immer, die Skeptiker und Intriganten, die es besser wissen wollen. In dem Fall ist es Don Alfonso, dessen Verhältnis zu den Paaren nicht näher bekannt ist. Es macht ihm aber offensichtlich Spaß, mit den beiden Männern zu wetten, dass ihre Verlobten sie in kürzester Zeit betrügen werden, wenn dazu Gelegenheit geboten wird. Die Gelegenheit schafft er selbst, indem er den Frauen mitteilt, dass ihre Männer in den Krieg ziehen müssen. Die Männer werden tränenreich verabschiedet und kehren kurz darauf in wilder Verkleidung (im Original ist sie orientalisch bzw. albanisch, hier sehen sie mit hüftlangen Zottelhaaren eher aus wie die „wilden Kerle“). Dass sie nicht erkannt werden und die Frauen sich über Kreuz in den jeweils anderen Verlobten verlieben, ist der hanebüchenen Handlung der Oper geschuldet. Die Regisseurin hielt sich bei ihrem Inszenierungskonzept dieser kruden Geschichte an deren Untertitel: „Die Schule der Liebenden“ – ein Begriff mit Tradition in der Literatur – und zieht das Ganze wie ein Experiment auf: Noch während der Ouvertüre legt Don Alfonso (Avtandil Kaspeli) einen Kittel an und seine „Assistentin“ Despina (im Original ein adrettes Dienstmädchen, hier eine Androidin in hautengem Astral-Look – wunderbar manieriert dargestellt von Olena Sloia) legt den Schalter um zum Start des Experiments.
An ein Versuchslabor erinnert auch die Bühne: Die Protagonisten erscheinen durch eine ovale Schiebetür, die einem Auge gleicht. Die Kostüme sind zunächst rosa-hellblau-idyllisch, als die Paare noch in Glückseligkeit schwelgen. Die „Verführer“ kommen aber dann mit einem Muskel-Panzer auf Brust und Bizeps, der ihre Männlichkeit betont (Bühne und Kostüme: Christian Vahl). Alles nicht uninteressant, aber auch nicht richtig stimmig.
Olena Sloia, Avtandil Kaspeli – Fotos: Jan-Pieter Fuhr
Zum Glück gibt es aber noch die Musik von Mozart, die unter dem Dirigat von Domonkos Héja die Herzen der Augsburger Opernfans erreicht. Erst recht im Zusammenklang mit dem differenzierten Spiel und dem hervorragenden Gesang der Sängerinnen und Sänger, die allesamt aus dem hauseigenen Ensemble besetzt werden konnten. Sie setzten dem kühlen Experiment jeweils individuelle Seelen entgegen. Die beiden Schwestern Fiordiligi (Jihyun Cecilia Lee) und Dorabella (Natalya Boeva) reagieren, entgegen ihrer anfänglichen Einigkeit im Schmerz um den Weggang des Geliebten, letztlich doch unterschiedlich auf die Verführer: Dorabella findet nichts dabei, ein bisschen zu flirten, Fiordiligi tut sich schwerer, bevor sie dennoch nachgibt. Auch die beiden Männer Guglielmo (Wiard Witholt) und Ferrando (Claudio Zazzaro) gehen unterschiedlich an ihre „Aufgabe“ heran, beäugen sich gegenseitig misstrauisch und entwickeln Konkurrenzverhalten. Diese Feinheiten und inneren Nöte sind bei Mozart musikalisch schön ausgearbeitet, verflachen aber etwas zur Burleske vor dem Hintergrund des „Labors“. Diese Missachtung des Individuellen im Regiekonzept zeigt sich auch bei Olena Sloia, die als Despina zweimal verkleidet auftritt (als Arzt und als Notar) und deren Rezitative in diesen Rollen tontechnisch grauenvoll verzerrt werden.
Letztlich hat Don Alfonso seine Wette gewonnen: „Cosi fan tutte“– „so machen es alle“ , triumphiert er. Und doch sind die Paare – geläutert und um eine Erfahrung reicher – am Schluss wieder zusammen. Das Labor-Experiment ist auch gelungen, denn die Kunstfigur Despina hat von den Menschen gelernt – sie trägt am Schluss ein leuchtendes Embryo im Bauch und legt den Hebel wieder um.
Ambivalent die Reaktion des Premierenpublikums: begeisterter Applaus für die Sängerinnen und Sänger, für Chor (der die ganze Zeit aus dem Off singen musste) und Orchester, verhaltener Applaus für das Labor-Experiment.