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Samstag, 23.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Der Brecht-Komplex

Das Brechthaus steht vor einem Neustart

Von Siegfried Zagler

Das Augsburger Brechthaus

Die Stadt Augsburg hat sich sehr lange mit Bertolt Brecht sehr schwer getan. Brecht lebte in der DDR, war Träger des Stalinordens und Kommunist und somit in Zeiten des Kalten Krieges in der Garnisonstadt Augsburg ein „Unzumutbarer“. Mehr als vier Jahrzehnte wurde in Augsburg sowohl die Rezeption als auch die Pflege eines literarischen Genies ohne öffentliche Hand, also von privaten Initiativen, aber auch vom Stadttheater betrieben. Für die Zeit, in der sich die Stadt Augsburg mit ihrem berühmtesten Sohn im Kalten Krieg befand, gibt es einen Schauplatz: Bertolt Brechts Geburtshaus. Es ist ein Synonym, besser: ein Symbol für das über Jahrzehnte angespannte Verhältnis der Stadt zu Brecht.

Augsburg im Kalten Krieg

Auf private Initiative hin wurde 1960 dort eine Gedenktafel zu Ehren des Dichters angebracht. Kein Stadtrat wollte damals an der Enthüllung der Inschrift teilnehmen. Wer sich zu Brecht bekannte, hatte damals eine Art Augsburger McCarthy-Problem zu verarbeiten: Er stand unter Verdacht, ein Kommunist zu sein. In den Siebzigern war der Kalte Krieg nicht mehr ganz so kalt. In Deutschland zog frischer Wind in das von der Nachkriegszeit dominierte muffige Klima der Adenauer-Ära. „Links sein“ war auch in Augsburg schick. Bertolt Brecht bekam in seiner Heimatstadt ein wenig Oberwasser. Dennoch scheiterten in den Siebziger Jahren alle Versuche, den berühmtesten Sohn der Stadt aus dem Keller der Ignoranz ans Licht zu holen: Die neu gegründete Augsburger Universität wollte die Stadt nicht nach dem weltberühmten Dramatiker benennen. Ein neu gegründetes Gymnasium bekam den Namen von Rudolf Diesel, nicht den von Brecht. In den Siebzigern landeten Brecht-Möbel aus der Staats- und Stadtbibliothek auf dem Sperrmüll. Im Jahr 1978 wusste die von der Stadt Augsburg beauftragte Firma nicht, wo sie das Gebinde zum 80. Geburtstag des Dichters hinhängen sollte und gab es bei einem Trödlerladen in der Nähe des Geburtshauses ab. Diese Kranzniederlegung am falschen Ort sorgte für überregionale Schlagzeilen und reichlich Spott. Damals war das Gebäude Auf dem Rain 7 noch vollständig bewohnt. Erst zu Beginn der Achtziger erwarb die Stadt das Haus und richtete dort nach Beschluss des städtischen Kulturausschusses ein erbärmliches Museum ein. Eines, das das Werk des Dramatikers von seiner politischen Weltanschauung getrennt betrachtete. Ein absurder Blick auf Brecht und eine weitere Stilblüte des Kalten Krieges. Das Geburtshaus des Dichters ist eine Art Gradmesser für das Verhältnis der Stadt zu Bertolt Brecht geworden. Es ist ein belastetes Haus und ein unvergleichbarer politischer Ort.

Der Kalte Krieg endet 1998 mit der Eröffnung des Brechtmuseums

Die Entwicklung und Pflege des Augsburger Brechthauses unterstand bisher Helmut Gier, dem ehemaligen Leiter der Staats-und Stadtbibliothek und dem Augsburger Brechtforscher Jürgen Hillesheim. Zusammen mit einer Fachagentur entwickelten sie ab 1996 das Konzept des aktuellen Brechthauses, das 1998 gerade noch rechtzeitig zum 100. Geburtstag des Augsburger Dramatikers fertiggestellt wurde. Um es ein wenig zugespitzt zu sagen: Spätestens 1998 mit der Eröffnung eines akzeptablen Brechthauses in Augsburg durfte man davon ausgehen, dass der Kalte Krieg zu Ende ist.

Noch immer fehlt ein städtisches Brechtkonzept

Helmut Gier ist in Rente, die Staats- und Stadtbibliothek ist nicht mehr im Besitz der Stadt Augsburg und in den vergangenen 15 Jahren ist in Sachen Museumskultur viel geschehen. Es gibt also jede Menge Handlungsbedarf in Bezug auf Bertolt Brecht. Aber nicht nur, weil man das Brechthaus modernisieren muss, sondern weil es neben der umstrittenen Festivalreihe und der Verleihung des Brecht-Preises seitens der Stadt noch immer kein durchgehendes Brecht-Konzept gibt.

Die Entwicklung der “Dachmarke Brecht” muss von der Stadt ernsthaft geleistet werden

Brecht-Brunch im Brechthaus mit Reinhard Laube, Thomas Weitzel, Götz Beck und Kurt Idrizovic

Brecht-Brunch im Brechthaus mit Reinhard Laube, Thomas Weitzel, Götz Beck und Kurt Idrizovic


Diesen Eindruck vermittelte am 20. Juli eine Art “Brechthaus-Hearing”, das in dem vom Tourismusbüro neu möblierten Brechthaus stattfand. Tourismusdirektor Götz Beck, dem das Haus noch von Kulturreferent Peter Grab unterstellt wurde, wurde vom dem neuen Kulturreferenten Thomas Weitzel ausgebremst und befindet sich auf dem Rückzug. Die Neukonzeption des Brechthauses, die bisher nur luftig im Raum stand, bekam am 20. Juli Gewicht. Verantwortlich dafür: Reinhard Laube, neuer Leiter der Staats- und Stadtbibliothek und Thomas Weitzel, der in seiner Eigenschaft als Kulturreferent dem Brechthaus wie dem gesamten Brecht-Konzept der Stadt einen neuen Bedeutungshorizont verschaffen will. Dass dies im Zusammenspiel mit der Staats- und Stadtbibliothek geschehen könnte, zählte zum Mehrwert der Veranstaltung, in der vor allen Laube durch sein lautes Nachdenken, wie man Brecht in seinem Haus verorten und dramatisieren könnte, zu überzeugen wusste.

“Ein Ort des Denkens”

Ob – und falls ja: Wo und wie Brecht museal inszeniert werden sollte, wurde nicht näher festgelegt, da für Wechselausstellungen das umgebaute Theater auch in Frage käme. Nur eins scheint sicher festzustehen: Das Geburtshaus des Dichters sollte als musealer Ort nicht weiter gedacht werden. Hört man Weitzel genau zu, geht es in Zukunft darum, an dieser Stelle “einen Ort des Denkens zu schaffen, einen Ort der Literaturvermittlung, eine Art Literaturhaus”, das die bisher vernachlässigte Literaturförderung in eine andere Dimension bringt. Wenn die Stadt Augsburg Bertolt Brecht weiterhin ernsthaft als “Dachmarke” entwickeln will, sollte dieser Gedanke tief ausgelotet werden.