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Dienstag, 26.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Theater: Es geht um die Überwindung der Mittelmäßigkeit

Warum man in das Theater am Kennedy-Platz keinen Cent mehr stecken sollte

Von Siegfried Zagler



Die Stadt Augsburg steht vor einem tiefen Abgrund, den sie selbst ausgehoben hat. Es geht um das Stadttheater, das über Jahrzehnte hinweg systematisch kaputt gespart wurde und nun in schwere Not geraten ist: 235 Millionen soll die Sanierung kosten. Diese Summe ist angesichts der Finanzkraft der Stadt nicht viel mehr als eine obszöne Provokation. Die Frage, die nun im Raum steht, lautet also: Wird das Augsburger Stadttheater am Kennedy-Platz geschlossen, damit es vom Freistaat saniert werden kann, um anschließend als Staatstheater neu definiert und finanziert zu werden – oder wird es geschlossen, um einen mutigen Schlussstrich unter eine vergangene Epoche zu ziehen?

I

Von einem “Gefühl mangelnder Wertschätzung” sprach der ehemalige Schauspieldirektor Markus Trabusch gegenüber der DAZ, als er Frank Heindl durch das Theater führte. Von einer großen Lieblosigkeit, die das Haus ausstrahle. Und von mangelnder Perspektive. “Wir bräuchten so dringend das Gefühl, dass sich die Stadt für eine Veränderung interessiert. Dass man unsere Probleme sieht, dass man etwas dagegen tun will.” Markus Trabusch verharmloste damals das Problem als Bittsteller bewusst, weil er ahnte, dass der Brandschutz das Haus jederzeit hätte schließen können. Das war 2009. Kurt Gribl war damals 20 Monate im Amt. Damals war eine so genannte “Grundlagenermittlung” von einem Hamburger Architekturbüro erstellt worden. Bereits die damaligen Zahlen (100 Millionen Euro) wurden von der Politik nicht als Handlungsmatrix zur Kenntnis genommen, sondern als Bedrohung für den aktuellen Haushalt erachtet. Auf Antrag der Grünen erstellte wenige Monate später der damalige Finanzreferent Hermann Weber einen Finanzierungsplan zur Sanierung des Theaters, der 2014 hätte beginnen sollen und 2028 enden. 3,5 Millionen Euro hätte die Stadt pro anno, 14 Jahre lang in ihren Haushalt stellen müssen, um diese Finanzierung zu stemmen. Natürlich wurde bezweifelt, dass eine Kommune wie Augsburg in der Lage sei, so einen Finanzierungsplan über einen so langen Zeitraum durchzuhalten. Inzwischen haben sich die Kosten verdoppelt. Das Stadttheater  hat sich somit endgültig von der Stadt verabschiedet. Dass die Stadt Augsburg es sich nicht leisten kann, darüber nachzudenken, ob man sich unter diesen Voraussetzungen weiterhin ein Stadttheater leisten will oder nicht, ist ein Allgemeinplatz und muss an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.

II

Die Augsburger Kommunalpolitik hat über viele Jahrzehnte hinweg in Sachen Theaterpolitik versagt und ein Problem ignoriert, das von den Sicherheitsbehörden aber auch vom Theater selbst immer wieder thematisiert  wurde. Alle politischen Parteien haben das Problem zu verantworten, weshalb eine politische Analyse der Verantwortungsfrage nicht zu erwarten ist. Sie wäre ohnehin mühsam, da eine monokausale Entschlüsselung, wer nun das Ende des Stadttheaters in Augsburg zu verantworten habe, nicht so einfach möglich ist. Die „Schuld“ liegt nämlich auch in der Struktur der Augsburger Stadtgesellschaft begründet, die sich für die Belange der Kunst wesentlich weniger interessiert als das in München, Frankfurt, Berlin, Hamburg aber auch in anderen Städten vergleichbarer Größenordnung der Fall ist. Eine die Stadtgesellschaft dominierende bildungsbürgerliche Schicht gibt es in Augsburg nicht mehr. Das kulturelle Klima der Stadt ist geprägt von Migration und dem gesellschaftlichen Aufstieg der kleinbürgerlichen Kaste. Die Atmosphäre der Stadt wird im Grunde sehr sensibel von der Augsburger Allgemeinen abgebildet, einer Zeitung also, die sehr genau weiß, was ihre Leser interessiert und was man ihnen zumuten kann. Das Gleiche gilt für die Politik. Sie stellt auch nicht viel mehr dar, als die Gesellschaft, für die sie stellvertretend agiert. Dass das Theatergebäude dergestalt von innen heraus auf den Hund kommen konnte, ist also ein Phänomen, das unsere Stadtgesellschaft und ihr Verhältnis zum Theater, zur Kunst hinreichend beschreibt. Was verbindet die Bürgerschaft also noch mit dem Augsburger Stadttheater? Verbindet sie mit ihrer „Hausbühne“ den kulturellen Stellenwert des Wohnortes? Was kann uns das große Spiel auf der Bühne heute und in der Zukunft geben? Das sind Fragen, die nicht von Theatermachern, nicht vom Feuilleton oder vom Deutschen Bühnenverein beantwortet werden können, sondern nur von denjenigen, die ein Theater unterhalten: den Bürgern. Würde man die Bürger befragen, ob und welches Stadttheater sich die Stadt noch leisten soll, kämen vermutlich die wenigsten auf die Idee, dass man genauso wie bisher ein Stadttheater weiter führen soll.

III

Eine Spannung, die von einem großen Theater ausgeht, wurde in Augsburg nie über den Tag hinaus generiert. Ein Theater, das die Abgründe unserer Gesellschaft, die Tiefe und die Oberflächlichkeit unserer Verletzbarkeit bespiegelt, wurde und wird in Augsburg sehr selten gespielt. Das Augsburger Stadttheater war und ist ein Museum. Ein sehr teures museales Haus, in dem wenig von gesellschaftlicher Relevanz verhandelt wurde und wird. Wer für den Fortbestand des Hauses am Kennedy-Platz plädiert, plädiert für den Fortbestand eines Museums. Ein Museum für Dramenklassiker und natürlich für die 70 Opern, die dort seit Jahrhunderten rauf und runter gespielt werden. Dieses Plädoyer darf man gerne halten. Es wäre ein Plädoyer dafür, dass in dieser Stadt alles so bleiben soll, wie es ist. Muss Theater, so wie wir es heute in Augsburg kennen, wirklich sein? Brauchen wir noch die beinahe ungebrochene, im 19. Jahrhundert von den Fürstenhöfen übernommene Repräsentationsbühne mit einem festem Haus, einem festen Ensemble und festem Repertoire, als Ort der Orientierung, Pflege der Aufklärung und der kulturellen Bildung? Diese Frage ist nicht rhetorisch gestellt, sondern angesichts der im Raum stehenden Summe und angesichts einer sich in rasender Geschwindigkeit verändernden Gesellschaft zu einer vordringlichen Frage geworden.

IV

Eine Stadt, die ihr Theater aufgibt, gibt sich nicht selbst auf, sondern erfindet sich möglicherweise neu. Wer es ernst meint mit dem Theaterstandort Augsburg,  darf  sich nicht gebetsmühlenartig an dem Umstand wund scheuern, dass die Fassade des Theaters und der Zuschauerraum unter Denkmalschutz stehen. Wer sich in einer politischen Kulturdebatte dieser Höhe auf den Denkmalschutz kapriziert, meint es ernst mit seinem Beharren auf den Ist-Zustand und stellt sich dabei nicht nur blind und taub, sondern hat vermutlich schon lange seinen Verstand an der Garderobe des Augsburger Stadttheaters abgegeben. Die Frage nämlich, ob sich die Stadt Augsburg ein Museum, das jährlich für seinen bloßen Fortbestand 23 Millionen Euro + x benötigt, leisten kann, ist durch das Architekturbüro Achatz  beantwortet worden. Sie kann es nicht. Könnte sie es, wäre das Haus nicht dergestalt verrottet.

V

Wenn man etwas will, aber es sich nicht leisten kann, dann führt dieses Wollen nicht immer zu vernünftigen Verhaltensweisen. Die Stadt Augsburg kann sich allein den “normalen Betrieb” eines Stadttheaters mit 360 angestellten Mitarbeitern nicht leisten, da diese Kosten immer weiter steigen werden, während für die Kunst, die dort gemacht wird, zusehend weniger Geld vorhanden ist. Darüber hinaus wird diese Abwärtsspirale durch den Bedeutungsschwund des Theaters verstärkt, dessen Kunst von Jahr zu Jahr an gesellschaftlicher Relevanz verliert. Die Steuermittel für das Augsburger Stadttheater haben in den vergangenen 25 Jahren gerade noch für den Betrieb gereicht. Für den Unterhalt der Gebäude blieb kaum Geld übrig. Bauliche Maßnahmen auch kleinerer Art musste der Stadtrat beschließen. Ein Rundgang reicht aus und jeder weiß es, jeder spürt es, niemand sagt es: Das Stadttheater ist am Ende, totgespart. Diese Erkenntnis führte bisher bis auf wenige Ausnahmen nicht nur in Augsburg, sondern in fast allen Kommunen nicht dazu, dass man sich überlegte, wie man aus der verfaulten Kiste heraus kommen könnte, sondern dazu, dass man sich immer weiter verbog, um in der Kiste verbleiben zu können. Eine Theaterschließung bedeutet in der öffentlichen Wahrnehmung nämlich nur eine Sichtweise: Sind die in Wuppertal oder Augsburg wirklich so arme Schlucker, dass sie sich kein Theater mehr leisten können?

VI

Wer dafür ist, dass für das seit Jahrzehnten marode Haus am Kennedy-Platz keine weiteren Steuergelder mehr verbrannt  werden, muss kein Feind der Kunst, kein Feind des Theaters sein, sondern jemand, der die Gesamtverantwortung der kommunalen Daseinsfürsorge ernst nimmt. Wie sieht es mit der Schulsanierung aus, wie mit der Urbanisierung des Geländes am Gaswerk? Sind Planungen für ein römisches Museum in der Konkurrenz zur Theatersanierung überhaupt noch möglich? Schluckt die Idee, dass man sich in Augsburg für eine Stadttheatersanierung in diesem Ausmaß verbiegt, nicht jede andere geplante Gestaltungsmaßnahme?

VII

Falls der Freistaat tatsächlich den Theaterstandort Augsburg mit dem Label “Staatstheater” sichern sollte, wäre dies der einzige gangbare Weg, aber auch das Ende eines städtischen Eigenbetriebs. Die Intendanz würde nicht mehr vom städtischen Kulturausschuss bestellt und müsste sich diesem nicht mehr verantworten. Zuständig für das Augsburger Staatstheater wäre das Kultusministerium in München. Künstlerisch wäre nach dieser Umwidmung deshalb vom Augsburger Theater wesentlich mehr zu erwarten, doch die DAZ-Auguren haben signalisiert, dass der Freistaat – nachdem er sich über Gebühr in Sachen Klinikum und Stadt- und Staatsbibliothek engagiert hat – nicht das geringste Interesse habe, sich auch noch um die Rettung eines maroden Augsburger Theaters zu kümmern.

VIII

Die lokale Politik denkt offenbar wirklich, dass es nach dem Schock nur darum gehen müsse, wie man Geld auftreiben könne: Fördervereine, Freistaat und Umlandgemeinden bei der Finanzierung in Pflicht nehmen, so die hilflosen Parolen. Die politischen Vertreter des Umlandes haben nach Informationen der DAZ kein Interesse daran, der Stadt in dieser Angelegenheit zu helfen. Sie tun gut daran: Die Haltung, sich einfach nach schnellem Geld umzusehen, ist keine Lösung, sondern genau der Reflex, der das Problem gebildet und verschärft hat. Die Schließung des Theaters müsste zu einem Memorandum führen, zu einem Neuanfang, zu einem Neubau möglicherweise (zum Beispiel in den Wallanlagen am Roten Tor neben der Freilichtbühne), müsste zu einem Theater führen, das von der Bürgerschaft gewollt und finanzierbar ist. Eine endgültige Schließung am Kennedy-Platz würde das erlösende Ende einer mit dem 50er Jahre-Tinnef aufpolierten Ära eines Schlafzimmertheaters bedeuten. Ein neues Theater würde möglichweise den Beginn einer neuen Theaterstruktur und somit eine neue Zeitrechnung einleiten, würde den Beginn einer aufregenden Epoche bedeuten, die als „Überwindung der Mittelmäßigkeit“ zu bezeichnen wäre.