Die wichtigste Ebene der Causa Thurk ist bisher noch nicht erörtert worden
Warum der FCA mit der Suspendierung von Michael Thurk sich selbst beschädigt
Von Siegfried Zagler
„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“
Das ist der erste Satz von Franz Kafkas Roman „Der Prozess“. Dieser Satz ist einer der berühmtesten der neueren Literaturgeschichte und in jedem Fall ein Satz, der, wenn man ihn länger wirken lässt, ein „ganzes Orchester von Assoziationen“ in Schwung bringt. Nahezu mit religiöser Hingabe haben sich Generationen von Literaturwissenschaftlern der Deutung von Kafkas Werk gewidmet. „Finsternis, wohin man sich wendet“, könnte ein vorsichtig angeschlagener Kanon in der Kafka-Forschung sein.
Was das mit der Affäre um Michaels Thurks Suspendierung beim FCA zu tun hat? Nun: Finsternis, wohin man sich wendet! Nicht nur die Fans und das interessierte Publikum werden in die Finsternis geführt (in diesem Fall ergeht es dem Augsburger Publikum wie Kafkas Leser, die nicht erfahren, warum Josef K. verhaftet wurde), sondern auch das Opfer selbst (also Michael T.), weiß offensichtlich nicht, wie ihm geschieht.
Michael T.: Gestalt einer biblischen Verdammnis?
Ist Michael T. tatsächlich eine moderne Gestalt einer biblisch anmutenden Verdammnis, verhängt von einer allmächtigen Behörde, die nur noch ihrer selbst Willen handelt? Es sieht derzeit so aus, möchte man sagen. Sind Jos Luhukay und Andreas Rettig nach dem Aufstieg sakrosankt und durch das entstandene Führungsvakuum beim FCA zu apodiktischen Herrschern geworden, die aufgrund ihres zu groß geratenen Machtspielraums ihre Entscheidungen nicht mehr erklären müssen? Oder ist Michael Thurk ein unerträglicher Stinkstiefel, der ständig am Rand des Zumutbaren wandelt und allzu oft die Autorität des Trainers in Frage stellt? Die Wahrheit liegt nicht (wie so oft vermutet) in der Mitte. Thurk mag ein schwieriger Typ sein, aber er ist immerhin ein Typ, vielleicht ein zu schwieriger für Rettig und Luhukay, jedenfalls kein Ja-Sager und immerhin noch einer, der so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Ein Typ „mit Ecken und Kanten“, wie der Volksmund so schön sagt und mit hohen Hochs und tiefen Tiefs in seiner sportlichen Vita. Dass der Familienvater Thurk aber eine unzumutbare Persönlichkeit sei, die man von der Mannschaft separieren und mittels Schweigsamkeit vor einer öffentlichen Verurteilung schützen müsse, ist wohl nichts anderes als eine Legende, die von den derzeitigen Presseverlautbarungen des FCA sowie der dünnhäutigen Art Luhukays gebildet wurde und befeuert wird.
„Bodenlos und verheerend“
„Bodenlos und verheerend“ sei die Causa Thurk, so der Bundestagsabgeordnete Alexander Süßmair, der sich für den FCA seit vielen Jahren auf der Fanebene engagiert. Bodenlos deshalb, weil man mit einem verdienten Spieler so nicht umgehe und der FCA sich mit dieser Entscheidung unnötig sportlich schwäche, verheerend deshalb, weil sich der FCA damit selbst schade. „Ich will nicht wissen, wie viele Kinder Thurks Trikot tragen“, so, Süßmair, der davon ausgeht, dass die Suspendierung Thurks nicht nur in ganz Fußballdeutschland, sondern auch auf der Spieler-Ebene ein schlechtes Licht auf den Klub wirft. „Welcher Spieler, der etwas auf sich hält, will noch zu einem Verein gehen, der so mit einem sehr verdienten Spieler umspringt?“
Alexander Süßmair (Linke) ist auch Stadtrat im Augsburger Rathaus und vertritt dort nicht selten Positionen, die die DAZ nicht teilt beziehungsweise als zu kurz gesprungen oder zu weit hergeholt bewertet. Bis auf Süßmairs Einschätzung, dass „Thurk mit 70 Prozent Leistungsvermögen immer noch für den FCA ein großer Aktivposten – auch für die Erste Liga wäre“, teilt die DAZ in dieser Angelegenheit Süßmairs Positionierung.
Aus sportlichen Gründen suspendiert man nicht
Es gibt aktuell kein Indiz dafür, dass es tatsächlich sehr gute Gründe für die Suspendierung Thurks gibt. Wäre es anders, hätten die Empfindungssonden im Umfeld des FCA und die Informationskanäle aus dem inneren Kreis des FCA gehäuft und systematisch falsche Signale Richtung DAZ gefunkt. Was immer sich Thurk Unsägliches geleistet haben könnte, es kann kaum schlimmer sein als die die kafkaeske Finsternis und die daraus resultierende Aura der Einschüchterung, die den Klub seit Montag umgibt. „Das kann ich nicht im Geringsten nachvollziehen – und nicht nur ich“, so Thurk zu seiner Nichtnominierung im Pokal. „Ich hatte eine gute Vorbereitung und habe sogar die meisten Tore erzielt.“ Warum ihn der Bannstrahl des Trainers treffe, könne er sich nicht erklären, so Thurk zum Fachblatt „Kicker“. Das sind sehr subjektive Anmerkungen aus der Sicht eines enttäuschten Spielers, die aber nicht zur Suspendierung geführt hätten, wie Rettig gestern entschieden auf der Pressekonferenz vor dem Match gegen Freiburg versicherte.
Zur sportlichen Einschätzung wäre Folgendes zu sagen: Thurk leistete in der vergangenen Saison viel zu wenig in der Rückwärtsbewegung, was bereits bei den Bayern in der Ära Roy Makaay obsolet war, als der Stürmer das Tor nicht mehr so häufig traf. Womit gesagt sein soll, dass es aus taktischen Erwägungen heraus vollkommen in Ordnung wäre, Michael Thurk aus dem Kader zu streichen. Das wäre eine Trainerentscheidung, die man zu respektieren hätte, zumal der Trainer jederzeit zurücksteuern könnte. Nur: Aus „sportlichen Gründen“ suspendiert man nicht, es sei denn, Andreas Rettig und Jos Luhukay begreifen sich als unfehlbare Instanz, die für Kritik nicht nur nicht empfänglich ist, sondern sich diese bei drakonischen Strafen verbietet.
Thurk hat dem FCA ein Gesicht gegeben
Die wichtigste Ebene dieser traurigen Affäre ist bisher noch nicht erörtert worden. Weder Andreas Rettig noch Jos Luhukay haben bisher in angemessener Weise die jüngere Geschichte des FCA in ihr Handeln einbezogen. Als Walther Seinsch damit anfing, aus dem darniederliegenden Klub eine gute Adresse zu formen, haftete dem FCA schnell das Image eines Retortenklubs an. „Retortenklub mit Söldnertruppe“ – und einer überschaubaren Anhängerschar. Dass sich dieses Image verflüchtigt hat, besser: ins Gegenteil verkehrt hat, hat damit zu tun, dass Thurk dem FCA ein Gesicht gegeben hat. Nicht nur Thurk, aber vor allen Thurk. Er hat mit seinen Toren und seiner feinen Art, den Ball zu behandeln, nicht nur den FCA zu einer spielstarken und erfolgreichen Mannschaft verwandelt, sondern er hat auch mit seinem Bekenntnis zu Augsburg und seiner offenen (wie wohl ehrlichen, zumindest authentisch wirkenden) Identifikation mit dem Klub eine sehr positive Emotionalisierung in den Verein getragen. Dass der FCA im Profifußball nicht mehr unter dem tödlichen Branding eines „Retortenvereins“ läuft, hat er in erster Linie seiner rapide wachsenden und begeisterungsfähigen Fangemeinde und Thurk zu verdanken.
Die DAZ hat kurz nach dem Aufstieg die Frage gestellt, ob das FCA-Management erstklassig ist. Damals blieb die Antwort offen, auch heute soll darüber nicht entschieden werden. Was nichts daran ändert, dass darüber nachgedacht werden muss, ob Luhukay wie Rettig, den Klub mit ihren kommunikativen Defiziten auf Dauer nicht zu sehr belasten. Wenige Wochen nach dem triumphalen Aufstieg und wenige Tage vor dem Anpfiff des ersten Bundesligaspiels muss man festhalten, dass Jos Luhukay und Andreas Rettig innerhalb kürzester Zeit bei den Fans und Freunden des FCA einen großen Anteil ihrer Sympathiewerte verspielt haben. Der angehängte Brief an die Fanklubs ist ein Dokument dafür, wie weit die FCA-Führung von einer für einen Erstligisten angemessenen Öffentlichkeitsarbeit entfernt ist.
„Michael Thurk wurde im Januar 2008 trotz allen damaligen Bedenken Dritter von uns verpflichtet und hat bis zum heutigen Tage einen großen Anteil am sportlichen Erfolg unseres Vereins gehabt.
Der FC Augsburg ist aufgrund seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht in der Lage, auf dem Transfermarkt sogenannte „Kracher“ zu verpflichten, weil die wirtschaftliche Vernunft über allem steht und es genügend Negativbeispiele (Ulm, Mannheim, Essen usw.) gibt, bei denen das Abenteuer Bundesliga im finanziellen Desaster endete.
Aus diesem Grunde kommt dem Teamgeist und der mannschaftlichen Geschlossenheit für unseren Verein eine maßgebliche Bedeutung zu. Dieses bezieht sich sowohl auf die Mannschaft intern als auch auf den Schulterschluss mit unseren Fans, die uns in vorbildlicher Art und Weise in den letzten Jahren unterstützt haben. Bereits in der Vergangenheit gab es zum Teil gravierende Meinungsverschiedenheiten zwischen den jeweiligen Trainern und dem Spieler Michael Thurk. Diese konnten jedoch jedes Mal im Sinne des Vereins „intern“ geklärt werden.
Aufgrund der Kadersituation unseres Vereins und der zwingend veränderten Spielausrichtung in der neuen Saison hat sich der Trainer zu einem Systemwechsel hin zu nur noch einem zentralen Stürmer entschieden. Dies Position kann Michael Thurk (auch nach eigener Einschätzung) nicht ausfüllen. So kommt es in der neuen Saison vermehrt darauf an, extrem „gegen den Ball“ zu arbeiten. Diese Spielweise steht der offensiven Grundeinstellung des Spielers entgegen. Da nun, nicht zuletzt auch aufgrund der gemachten Erfahrungen, bei Nichtberücksichtigung von Michael Thurk die eingangs erwähnten wichtigen Voraussetzungen für den Klassenerhalt wie Teamgeist und Zusammenarbeit gefährdet sind, war dieser Schritt unausweichlich.“