Brandmauer-Debatte
Ein Haufen Steine ist noch keine Brandmauer
Ich bin Mitglied der SPD. Muss man das voranstellen? Vielleicht ja – wo wir uns doch schon geraume Zeit in einer Atmosphäre wiederfinden, in der die Zuordnung zur jeweiligen Glaubensrichtung schwerer zu wiegen scheint als jedes Sachargument. Beispielhaft zu erleben an der unseligen Diskussion um eine so genannte Brandmauer. Um die soll es hier gehen.
Von Gerald Bauer
Eine Brandmauer ist nicht…
Eine Brandmauer ist nicht: Jene albernen Nadelstiche über die Geschäftsordnung, mit der in den Parlamenten (Bund und Länder) seit Jahren die AfD immer wieder mal ein bisschen drangsaliert wird. Das ist einer parlamentarischen Demokratie unwürdig.
Eine Brandmauer ist nicht: Das allgemeine Hauen und Stechen der Parteien, mag nun Wahlkampf sein oder nicht. Nicht das wechselseitige Zerfleischen der politischen Gegner oder das Beharren auf den eigenen Maximalpositionen. Das gilt für die zentrifugal zerstobenen Koalitionäre ebenso wie für die einschlägigen Oppositionsparteien. Da lässt sich niemand ausnehmen.
Eine Brandmauer ist nicht: Würdeloses Taktieren, um ein bestimmtes Abstimmungsverhalten im Bundestag zu erzwingen oder zu verhindern, ebenso wenig Schuldzuweisungen, wer warum was nicht erzwungen oder verhindert hat.
Das ist die Brandmauer, die wir brauchen, die einzige, die es überhaupt geben kann.
Eine Brandmauer kann einzig nur sein:
Ein politisches Klima, in dem sich die verschiedenen Akteure übergreifend in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen. In dem Vernunft über Parteitaktik steht und Kompromissbereitschaft über Konflikt. In dem Expertise mehr gilt als Egomanie. Und eben auch dies: Ein Klima, in dem nicht mehr darüber diskutiert werden muss, wer welchen Antrag einbringt und wer möglicherweise wie darüber abstimmt. Diese Querelen sind wertlose Symbolpolitik, sie sind nur ein Symptom des Missstands. Wir brauchen ein Parlament, in dem es scheißegal ist, ob eine missliebige Partei nun für oder gegen etwas stimmt oder überhaupt anwesend ist. Weil es eine belastbare Mehrheit der Vernunft gibt. Das ist die Brandmauer, die wir brauchen, die einzige, die es überhaupt geben kann.
![Haufen Steine (Bild: Gerald Bauer)](https://www.die-augsburger-zeitung.de/wp-content/uploads/2025/02/haufensteine-002-398x400.jpg)
Haufen Steine (Bild: Gerald Bauer)
In der Demokratie bekommen Wähler die Politiker, die sie verdienen
Nur Politikerschelte? Nein, ich bin noch nicht fertig. Wir als Gesamtbevölkerung versagen ebenso. Auch hier wäre die einzig denkbare Brandmauer jene offene Debatte, der wir uns seit Jahren, seit Jahrzehnten verweigern. Die oben geschilderten Dissonanzen auf der politischen Ebene sind ja nur ein Spiegel unserer eigenen Zerrissenheit. Auch wir haben unsere eigenen Befindlichkeiten und Weltanschauungen über alles gestellt und abweichende Meinungen abgeblockt. Manche haben sich seit Jahrzehnten nicht mehr bewegt. Und fühlen sich doch als „Kämpfer“ für die Demokratie, weil sie ein paar Posts in die Filterblase geschickt haben. Liebe Freundinnen und Freunde, jeder Kampf beginnt immer bei einem selbst. Mit dem Kampf gegen die eigene Denkfaulheit, mit dem Verlassen der eigenen Komfortzone. Daran scheitert’s ja oft schon.
Nur Politikerschelte? Wir als Gesamtbevölkerung versagen ebenso.
Man gefällt sich in der Annahme, man zeige Gesicht. Eine inflationäre Floskel. Was Gesicht zeigen wirklich bedeutet, haben nicht nur im Dritten Reich einige Menschen demonstriert, auch Zeitgenossen wie Alexei Nawalny haben dies in bitterster Konsequenz gelebt. Mit diesen Menschen wollt ihr euch in eine Reihe stellen? Macht euch nicht lächerlich.
Lernen aus der Geschichte – bloß wie?
Wir fordern einander zwar unentwegt auf, „aus der Geschichte zu lernen“, übersehen aber dabei gern, dass dieser Lernprozess auch beim eigenen Verhalten ansetzen müsste. Pöbeleien und Rempeleien an AfD-Wahlständen erinnern halt auch stark an die Pöbeleien und Rempeleien von Hitlers Braunhemden, schon lange vor der so genannten Machtergreifung.
Aus der Geschichte lernen.
Und auch diejenigen unter uns, die gern gegen „Hass und Hetze“ demonstrieren, dabei aber fröhlich auf Transparenten und in Sprechchören die AfD und ihre Wähler verunglimpfen, verbreiten damit auch nichts anderes als eben ihr eigenes bisschen Hass und Hetze. Die verquere Logik solcher Dynamiken verläuft – nicht erst jetzt, sondern seit Menschengedenken – immer nach dem Schema:
- DIE sind doch selbst schuld.
- Natürlich haben WIR unverhandelbare Werte, aber die gelten doch nicht für DIE.
- DIE sind doch selbst schuld.
Nebenbei bemerkt, gilt dies auch für unsere eigene Maximalkatastrophe, den nazideutschen Antisemitismus. Darauf hat beispielsweise Michel Friedmann schon vor Jahrzehnten hingewiesen. „Der Jude ist selbst schuld, wenn man ihn nicht mag“, so kondensierte er – zitierend, wohlgemerkt – in einem Interview die perverse Prämisse und selbstverständliche Grundlage des Rassenwahns in einen unbarmherzigen Satz.
Aus der Geschichte lernen. Ja bitte, unbedingt.
Ich persönlich will keine Hasstiraden mehr hören oder lesen. Keine Verunglimpfungen und Beschimpfungen. Ich will, dass ihr euch endlich zusammenreißt und verantwortlich handelt, und ich, das verspreche ich, ich mache auch mit.
Ich will keine Hasstiraden mehr hören oder lesen. Keine Verunglimpfungen und Beschimpfungen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Noch besteht ja Hoffnung. Was immer wir von den aktuellen Führungsfiguren der etablierten Parteien halten mögen, sei es Scholz, Merz, Habeck, Lindner – von einem Trumpismus amerikanischer Prägung sind wir jedenfalls noch weit entfernt, und das ist gut so. Diesen Standard zu halten, muss uns jede Mühe wert sein. Denn ein Selbstläufer ist er auch nicht, das muss uns klar sein.
Und um einen anderen, früheren US-Präsidenten zu zitieren: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann. Frag, was du für dein Land tun kannst.“ Bears repeating. Tut es.