Erbauungstheater ohne B.B.
Friedensfest: Brecht – Auf dem Weg zum Kitsch
Von Frank Heindl
Am Schluss bedankte sich die Regisseurin artig beim Suhrkamp-Verlag dafür, dass dieser die Verwendung von Brechts Vorlage erlaubt habe. Dieser Dank war nur zu berechtigt, denn es ist kaum vorstellbar, dass die Brecht-Erben, in deren Namen sein Verlag sehr restriktiv mit den Rechten umgeht, diese Aufführung gutgeheißen hätten, in der Brecht auf einem Niveau zwischen Kinder- und Bauerntheater verhunzt wird. Die Rede ist von „Brecht – Auf dem Weg zum Frieden“, einer Inszenierung der Regisseurin Martina Zerle und des „Artus-Ensembles“ Mering im Rahmenprogramm des Augsburger Hohen Friedensfestes, zweimal aufgeführt am vergangenen Wochenende in der Jakobskirche.
Brechts 1949 erschienene „Kalendergeschichten“ enthalten unter anderem die Erzählung vom „Augsburger Kreidekreis“, aus der er wenige Jahre später das weitaus berühmtere Theaterstück „Der kaukasische Kreidekreis“ entwickelte. In der Erzählung rettet eine Augsburger Magd zur Zeit des 30jährigen Krieges das Kind ihrer protestantischen Herrin vor plündernden katholischen Soldaten und heiratet einen alten Häusler, um einen Vater vorweisen zu können. Als die leibliche Mutter Jahre später und nach Ende der Religionsstreitigkeiten ihr Kind zurückfordert, behauptet die Magd Anna, es handle sich um ihr eigenes, und bleibt auch vor Gericht bei dieser Version. Um die wahre Mutterschaft festzustellen, veranstaltet der bauernschlaue Richter die Kreidekreis-Probe: Das Kind steht im Kreis, und weil die leibliche Mutter es heftig und rücksichtlos auf ihre Seite zieht, fühlt sie sich als Siegerin – das Gericht aber spricht den Jungen trotzdem der Ziehmutter zu, weil diese ihn losgelassen hatte, um ihm nicht wehzutun.
Theater vor der übergroßen Bibel
Um diese kurze Erzählung herum baut nun Regisseurin Zerle eine „Rahmenhandlung“. Ein Student (Florian Kreis) flieht während eines Unwetters in die Jakobskirche, liest dort in den eben erworbenen Kalendergeschichten den „Augsburger Kreidekreis“ – in seiner Imagination und vor den Augen des Publikums wird die Geschichte lebendig. Als Bühne dient die Apsis der Jakobskirche, als Hintergrund eine überdimensionale Bibel, davor stehen Tisch, Bett und Stuhl.
Was vor diesem Hintergrund stattfindet, ist den Schauspielern nicht anzulasten – sie wären wohl zu größeren Leistungen in der Lage gewesen, hätte die Regie sie nicht in eine Mischung aus Bauern- und Erbauungstheater gezwungen. Bauerntheater ist es beispielsweise, wie der katholischen Soldat (Simon Nagy), ein naiver, besoffener Tölpel, wimmernd vor der Magd (Doris Christian) in die Knie geht, als diese mit gekrümmten Fingern vorgibt, eine Hexe zu sein. Schließlich hat der Soldat schon vorher mit großen Gesten und noch größerer Klappe seine Überzeugung kundgetan, jede dritte Frau sei eine verbrennenswerte Zauberin.
Erbauungstheater ist das Stück dort, wo Zerle sich Brechts Geschichte für eine klischeebeladen einfache Botschaft zurechtbiegt. Der Häusler Otterer, den die Magd nur in Hoffnung auf dessen baldiges Ableben geheiratet hatte, taucht in Brechts Version nicht mehr auf, sobald die Magd auf der Suche nach dem von der leiblichen Mutter entführten Kind den Hof verlassen hat. In Zerles Fassung reist Otterer der Magd nach. Anfangs hatte er verkündet, seine Religion heiße „Überleben“ (bei Brecht kein Wort davon), später besorgt er sich opportunistisch einen Rosenkranz – und nun scheint er derart zum Guten bekehrt, dass er plötzlich mit Anna und dem Kind ein richtiges Familienleben führen will.
Friede, Freude, Wunder
Der vorlesende Student ruft, nachdem die Geschichte zu Ende erzählt ist, seine Freundin (mit Migrationshintergrund, was auch sonst!) an, die ihn vor dem Unwetter vor die Tür gesetzt hatte – und siehe da: Sie will nun nochmal mit ihm reden, über „Liebe, Familie und das liebe Geld“ – platter geht’s nicht. Schön auch, dass es im Plot mittlerweile zu regnen aufgehört hat und er daher nach Hause gehen kann. Fehlt noch was? Hat was gefehlt? Ach ja: der Kirchenchor. Aber nein – da ist er ja schon, singt von der Empore ein frommes Lied, und das Resümee lautet zwar nicht Friede-Freude-Eierkuchen, aber immerhin: „Der Friede ist ein Wunder, und Wunder können geschehen.“ – Ein Satz, der garantiert nicht von Bert Brecht stammt.
Man kann so inszenieren, man kann solche Plattheiten verbreiten – aber ob das in den niveauvollen Rahmen des Hohen Friedensfestes passt, darf man heftig bestreiten. Dass mit Brechts Name derartig Schindluder getrieben wird, ist schwer zu verzeihen. Martina Zerles Inszenierung hat sich eines Inhalts bemächtigt, das mag noch hingehen – die Grundzüge der Geschichte stammen schließlich aus der Bibel. Der Name des großen B.B. aber hat in diesem Stück kaum mehr Funktion, als das Publikum zu (ent)täuschen.