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Sonntag, 30.06.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Privatsphäre

EU: Abstimmung zur Chatkontrolle abgesetzt

Die für den heutigen Donnerstag geplante Abstimmung das Europäischen Rates über die sogenannte “Chatkontrolle” wurde am Mittag ohne Begründung von der Tagesordnung gestrichen. Damit bleibt weiter unklar, ob die EU in die verschlüsselte Kommunikation mit Diensten wie WhatsApp eingreift.

Beliebte Handy-Messenger

Mit der Begründung, Kinderpornografie bekämpfen zu wollen, plant die EU schon seit Jahren, Messengerdienste wie WhatsApp, Signal oder Threema dazu zu zwingen, Bilder, Videos und Links vor dem Abschicken durch die User zu scannen. KI-Tools auf deren Endgeräten sollen diese Inhalte schon vorab analysieren, bevor sie durch eine nicht zu brechende, sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung staatlicher Kontrolle entzogen und weitergegeben werden.

Wie die Abstimmung ausgegangen wäre, ist unklar. Informierte Kreise hatten allerdings mit einer Zustimmung des Europäischen Rates gerechnet, da Frankreich vor wenigen Tagen seine ablehnende Haltung zur Chatkontrolle aufgegeben hatte. Deutschland wollte mit NEIN stimmen.

Einstieg in umfassende Kontrolle privater Kommunikation

“Wir setzen uns für den Schutz des Rechts auf anonyme und pseudonyme Nutzung des Internets sowie für die Stärkung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ein”, so ein Auszug aus einem Offenen Brief an die europäischen Regierungen, den auch Ampelpolitiker wie Konstantin Kuhle (FDP) und Konstantin von Notz (Grüne) unterzeichnet haben. Kritiker des EU-Vorhabens und Datenschützer befürchten, dass die Bekämpfung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs der Einstieg in eine umfassende Kontrolle privater Kommunikation sein könnte, wenn die technische Umsetzung erst einmal etabliert ist.

Die Betreiber der als besonders sicher geltenden und deshalb beliebten Messenger Signal und Threema hatten im Vorfeld der Abstimmung bereits angekündigt, die Überwachung nicht umzusetzen und ihre Dienste in Europa lieber vom Markt zu nehmen. WhatsApp wollte die Zustimmung zur Überprüfung ihrer Inhalte den einzelnen Usern überlassen: Wer nicht zustimmt, könnte dann keine Bilder oder Videos mehr über WhatsApp verschicken. Kritiker sehen darin bereits die Einschränkung von Grundrechten.

Ob und wann der Entwurf zur Chatkontrolle – eventuell mit Änderungen – erneut zur Abstimmung in den Rat kommt, ist unklar. Am 1. Juli geht die Ratspräsidentschaft zunächst einmal von Belgien auf Ungarn über. Europaparlament und EU-Kommission strukturieren sich nach den vergangenen Wahlen ebenfalls neu. Beobachter gehen deshalb mindestens von einer mehrmonatigen Verzögerung aus.