Kommentar
FCA: Gerne fahren wir mit Luthe nach Heidenheim, Kiel oder zur Alten Försterei
Der FC Augsburg schwebt im kommenden neuen Jahr mit sehendem Auge und vernebeltem Verstand dem Abstieg entgegen. Dieser Satz darf als Sorge und Prognose zugleich verstanden werden. Die Sorge lässt sich vom Tabellenstand ableiten. Die Prognose von den Augsburger Torhütern.
Kommentar von Siegfried Zagler
Sonntag, den 23. Dezember 2018 gegen 17.15 Uhr: In der 88. Minute bekommt der FCA beim Bundesligaspiel gegen Wolfsburg einen Freistoß zugesprochen, den man wie einen verbesserten Eckball ausführen kann. Jonathan Schmid macht das Schlechteste daraus, er flankt den Ball direkt auf Wolfsburgs Torhüter Koen Casteels, der ihn ohne Bedrängnis und ohne Schwierigkeiten aufnimmt. Casteels sprintet mit dem Ball schnell bis zum Strafraumrand, wartet kurz, läuft zwei, drei Schritte zurück und schlägt den Ball aus der Hand ab, sehr präzise in den Sprint von Renato Steffen, sodass ihn dieser kontrolliert verarbeiten kann. Augsburgs Schmid ist zwar handlungsschnell mitgelaufen, aber nicht schnell genug, um das Desaster aufhalten zu können: Steffen zieht nach innen und passt auf den ungedeckten Yannick Gerhardt, der das Spielgerät direkt aus dem Lauf zum 3:2-Siegtreffer ins Tor lenkt.
Neun Sekunden sind von dem Moment, in dem Casteels den schlecht getretenen Schmid-Freistoß fängt, bis zum Torabschluss vergangen. Neun Sekunden, in denen Innenverteidiger Gouweleeuw mit verdrehten Augen gemütlich zurücktrabte, Danso, ebenfalls Innenverteidiger, erst intensiv zurücksprintete, als er realisierte, dass Casteels Abschlag bei Steffen ankommt. Es gab kein Stören bei Casteels, keine Absicherung nach hinten, als hätte man aus den tödlichen Kontern in den vergangenen Spielen nicht das Geringste gelernt. Wenn man in der Bundesliga acht Spiele in Folge nicht gewinnt und dabei sechs Niederlagen einfährt, dann muss sachlich festgestellt werden, woran das liegt.
Zum einen liegt es natürlich auch daran, dass der Angriff zu selten trifft, Finnbogason in Normalform nicht bundesligatauglich ist und dem FCA torgefährliche Mittelfeldspieler fehlen, besonders dann, wenn Gregoritsch formschwach ist und sich die Abwehr vorzugsweise fahrlässige Blöße gibt, wenn es nach vorne gut läuft. Doch diese Schwächen kommen und gehen (wie bei allen Bundesligisten), sind tagesformabhängig und mit taktischen wie personellen Umstellungen abstellbar. Man hätte ein Trainerproblem in Augsburg, wäre dem nicht so. Doch davon ist (noch) Abstand zu nehmen.
Die Schwäche des FCA ist für einen Bundesligisten eine Negativ-Sensation. Eine Sensation, die es auf höherem Niveau nicht geben dürfte, weil die Torhüterposition eine Schlüsselposition ist, die keine Schwäche duldet. Das Siegtor der Wolfsburger ist an dieser Stelle deshalb so ausführlich beschrieben, weil ein klasse Ereignis dieser Kategorie für den FCA ein Problem in zweifacher Hinsicht darstellt. Erstens kann man sich kaum noch vorstellen, dass der FCA Konter dieser Art abwehren kann, zweitens ist es völlig unmöglich, dass der FCA ein Tor dieser Klasse jemals erzielen könnte.
Luthes Spieleröffnungsniveau ist auf der Höhe von Hans Tilkowski oder Norbert Nigbur. Das gravierendere Problem: Von ihm geht keine Sicherheit aus: Jeder Schuss, der aus 17, 18 Metern irgendwie flach aufs Tor kommt, scheint für Luthe schwer zu halten zu sein. Auch im Stellungsspiel und in der damit zusammenhängenden Antizipation sowie in 1:1-Situationen ist Luthe nicht bundesligatauglich. Bei einem Fernschuss auf “dem falschen Fuß” erwischt zu werden, ist ein Relikt aus den Achtzigern. Hat Luthe einen Ball gehalten, zeigt seine Körpersprache Erleichterung anstatt Zuversicht oder Siegeswille.
Dass sich in Augsburg das Paradox eingestellt hat, dass man mit dem besten FCA seit dem Bundesligaaufstieg dergestalt zielsicher dem Abstieg entgegentrudelt, hat also mit den beiden Torhütern Fabian Giefer und Andreas Luthe zu tun.
Nach einer langen Vorbereitungszeit mit Hunderten von Gelegenheiten, sich als Leistungsträger zu präsentieren, hat sich FCA-Trainer Manuel Baum für Giefer als Nummer eins entschieden, weil Baum zur Einschätzung kam, dass Giefer der bessere Torhüter ist. Baum revidierte diese Entscheidung, nachdem sich Giefer in vier Spielen haarsträubende Fehler leistete, die dazu führten, dass der FCA mindestens sechs Punkte weniger zu verbuchen hatte. Das Gleiche gilt nun auch für Luthe, dessen Fehlleistungen in seinen 13 Spielen zwar nicht so spektakulär wie bei Giefer waren, aber dafür konstant. Bis auf die Partie in München konnte man bei Luthe stets den Satz sagen, dass man „auch mal einen halten könnte“. Die deutlichen Patzer gar nicht mitgezählt.
Dass sich ein Bundesligaklub zwei Torhüter leistet, die bestenfalls in der Zweiten Liga mithalten können, zeigt ein Blick auf die Tabelle: Vereine wie Freiburg, Berlin oder Wolfsburg, die vom Kader und auch von den Leistungen her keinen Deut besser sind, sondern eher schlechter als der FCA, stehen deutlich vor dem FCA, weil sie richtig gute Torhüter haben. “Die beiden Torleute haben den Augsburgern zirka zehn Punkte gekostet.” Sagt man diesen Satz in einer Fan- und/oder Expertenrunde, hört man meist nur ein Wort: “mindestens”.
Lange hatte sich in Augsburg der Abgang von Top-Torhüter Marwin Hitz abgezeichnet, ohne dass sich der FCA um eine sichere Qualität zwischen den Posten bemüht hätte. Sollte der FCA an dem Experiment festhalten wollen, mit zwei zweitklassigen Torhütern in die Rückrunde zu gehen, bleibt die Abstiegswahrscheinlichkeit hoch. Giefer und Luthe sind zweifelsfrei zwei großartige Sportsmänner mit hohen Sympathie- und Charakterwerten. Das zählt auch, besonders in der beinahe durchgehend tätowierten Kinderwelt des Fußballsports. Gerne fahren wir mit Giefer und Luthe 2019/20 nach Heidenheim, Kiel oder zur Alten Försterei. Will man aber in der Bundesliga bleiben, muss man sich von den beiden netten Kerlen im Augsburger Tor verabschieden.