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Freitag, 22.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Hamas-Terror: Stadt untersagt Mitführen bestimmter Fahnen, Symbole und Parolen

Stadt erlässt Allgemeinverfügung für Versammlungen im Stadtgebiet – Vor dem Hintergrund der Terror-Angriffe in Israel untersagt die Stadt unter anderem das Mitführen bestimmter Fahnen, Symbole und Parolen

Die Stadt Augsburg erlässt angesichts der terroristischen Angriffe im Nahen Osten und der bundeweit beobachteten Aufrufe zu israelfeindlichen Aktionen sowie der Vorkommnisse unter anderem in Berlin und München eine Allgemeinverfügung zu Versammlungen unter freiem Himmel. Sie regelt die Untersagung des Mitführens bzw. der Verwendung bestimmter Symbole und Kennzeichen wie etwa der iranischen Revolutionsgarden, die in der Allgemeinverfügung explizit genannt sind. Ebenso wird das Zerstören und Beschädigen von Hoheitszeichen ausländischer Staaten untersagt. Untersagt ist ebenfalls das Skandieren und Rufen bestimmter Parolen im Kontext der Angriffe im Nahen Osten. Die DAZ gibt die Allgemeinverfügung, die auf der Homepage der Stadt veröffentlicht ist, ein zu eins wieder.

Die Stadt Augsburg erlässt folgende Allgemeinverfügung:

1.1. Das Mitführen bzw. die Verwendung der nachstehenden Symbole und Kennzeichen wird untersagt:

1.1.1 Hamas-Fahne / Hamas-Emblem

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1.1.2 Kassam-Brigaden (bzw. Kassem-Brigaden / Al-Qassam-Brigaden / Izzadin-Al- Qassam-Brigaden)

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1.1.3 Fahne / Emblem der Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP)

1.1.4 Kennzeichen der Hizb Allah (bzw. Hisbollah / Hezbollah / Hizbullah)

1.1.5 Al-Aksa-Märtyrerbrigade (bzw. Al Aqsa Martyr ́s Brigade)

1.1.6 Kennzeichen des Palästinensischen Islamischen Dschihad

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1.1.7 Iranische Revolutionsgarde

1.1.8 Kuran ve Ehli Beyt Mektebi Augsburg

  1. 1.2  Das Zerstören, Verbrennen, Beschädigen, Zerreißen, Zertrampeln, Beschmieren, Unkenntlich machen oder Verunglimpfen von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten sowie der Flagge Palästinas wird untersagt.(Flagge Palästinas)
  2. 1.3  Das Sagen, (Aus-)Rufen, Skandieren, Singen oder die sonstige Verwendung der folgenden Parolen wird untersagt, z. B. in Form von Schrift, Liedgut oder künstlerischen Darstellungen:1.3.1 „Tod Israel / Tod den Juden“
    1.3.2 „Von XXX bis nach Gaza – Yallah Intifada“ (XXX = jeweiliger Ort; jeweilige Stadt) 1.3.3 „Palestine will be free, from the river to the sea“

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1.3.4 „Jerusalem gehört den Muslimen“ 1.3.5 „Al Aqsa muss befreit werden“ 1.3.6 „Chaibar Chaibar oh Ihr Juden“ 1.3.7 „Kindermörder Israel“

1.3.8 „Udrub Udrub Tal Abib“

1.3.9 „Udrub“

  1. 1.4  Alle Äußerungen in Wort- und Redebeiträgen, Schrift, Liedgut oder künstlerischen Darstellungen sowie Kundgebungsmittel dürfen die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht beeinträchtigen und haben den öffentlichen Frieden zu wahren. Es darf nicht zu Gewalt oder Hass im Allgemeinen oder gegen die israelische Bevölkerung aufgerufen werden. Das Existenzrecht des Staates Israel darf nicht geleugnet werden. Es dürfen keine Kriegsopfer verunglimpft werden. Die Aggressionen im Nahen Osten dürfen nicht verherrlicht werden.
  2. 1.5  Das Verteilen von Süßwaren wird bei Versammlungen mit Bezug zu Krisenregionen, Kriegsgebiete, gewaltvolle Konflikte, Terror usw. untersagt. Entsprechende Befreiungsgesuche können bei den Versammlungsbehörden gestellt werden.

2. Die unter Ziff. 1 der Allgemeinverfügung getroffenen Anordnungen gelten auch für Versammlungen unter freiem Himmel, die der Anzeigepflicht gem. Art. 13 BayVersG nicht nachkommen sowie für überörtliche Versammlungen unter freiem Himmel, die das Hoheitsgebiet der Stadt Augsburg passieren.

3. Diese Allgemeinverfügung gilt gemäß Art. 41 Abs. 4 BayVwVfG am 13.10.2023 um 22:00 Uhr durch Veröffentlichung im Internet (https://www.augsburg.de/amtliche-bekanntmachungen/) als bekannt gegeben und ist ab dem 14.10.2023, 0:00 Uhr wirksam.

4. Die Allgemeinverfügung ist bis zum Ablauf des 20.10.2023 gültig.

 Sachverhalt

Am 07.10.2023 startete die Hamas vom Gazastreifen aus einen Angriff auf Israel. Noch am selben Tag verkündete der israelische Ministerpräsident, dass sich Israel im Krieg befinde. Seitdem herrscht ein massisver Beschuss sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite. Bislang seien mindestens 1.300 Israeli getötet worden (Stand: 13.10.2023, 08:30 Uhr). Auf Seiten der Palästinenser betrage die Zahl der Getöteten mindestens 1.537 (Stand: 12.10.2023, 22:07 Uhr). Eine Waffenruhe oder gar eine Beendigung der kriegerischen Handlungen im Nahen Osten ist derzeit nicht ersichtlich. Vielmehr droht sogar eine Eskalation des Konflikts, da auch Beschuss in bzw. von Nachbarländern Israels zu verzeichnen ist. So werde Israel zum einen auch aus dem Libanon attackiert. Daneben wurden am 12.10.2023 zwei syrische Flughäfen von Israel beschossen 13.10.2023). Die derzeitige Lage im Nahen Osten kann zusammenfassend als sehr dynamisch mit einer raschen Entwicklung und neuesten Meldungen im Minutentakt beschrieben werden. Aufgrund des bereits seit Jahrzehnten schwelenden Konflikts zwischen Israel und Palästina herrscht ein hoher Emotionalisierungsgrad bei den betroffenen Bewohnern und Bewohnerinnen des Nahen Ostens.

Diese Emotionalisierung und aufgeheizte Stimmung spiegelt sich jedoch auch in der Bevölkerung Deutschlands wider. So kam es seit vergangenen Samstag, den 07.10.2023 zu einer Vielzahl an Aktionen und Versammlungen anlässlich des Konflikts im Nahen Osten. Noch am 07.10.2023 wurden in Berlin Süßigkeiten von pro-palästinensischen Aktivisten an Passanten verteilt, um den Angriff der Hamas auf Israel zu feiern. Daneben gab es im ganzen Bundesgebiet Pro- Palästina-Versammlungen, die zu Ausschreitungen und der Verwirklichung von Straftatbeständen führten.

So kam es am 09.10.2023 in München im Rahmen einer pro-palästinensischen Versammlung zu einer Beleidigung antisemitischen Inhalts und der Forderung nach der „völligen Auslöschung Israels“. In Berlin wurden mehrere Pro-Palästina-Versammlungen für den 11.10.2023 verboten. Jedoch versammelten sich trotz Verbots die Anhänger Pro-Palästinas und zeigten palästinensische Flaggen und Flugblätter mit israelfeindlichen Inhalten, wodurch der Verdacht der Volksverhetzung bestand. Daneben wurden polizeiliche Einsatzkräfte mit Pyrotechnik und Flaschen beworfen. Im Rahmen der zahlreichen Polizeieinsätze anlässlich der trotz des Versammlungsverbots durchgeführten Demonstrationen kam es zu 13 Strafermittlungsverfahren unter anderem wegen Beleidigung, gefährlicher Körperverletzung, Gefangenenbefreiung, Landfriedensbruchs, Widerstands und tätlichen Angriffs.

Daneben wurden 104 Ordnungswidrigkeitenanzeigen wegen Verstößen gegen das Versammlungsfreiheitsgesetz Berlins gefertigt. Die Stimmung auf den Versammlungen lässt sich bundesweit als sehr aggressiv und emotional beschreiben. Für Freitag, den 13.10.2023 hat die Hamas zudem weltweit zu antiisraelischen Protesten aufgerufen. Anlässlich des Aufrufs ist im gesamten Bundesgebiet mit israelfeindlichen Aktionen zu rechnen. Weitere Aufrufe der Hamas in dieser Richtung bei Fortbestehen des Kriegs im Nahen Osten sind zudem zu befürchten.

II. Rechtliche Würdigung

Die Stadt Augsburg ist zum Erlass dieser Allgemeinverfügung i. S. d. Art. 35 Satz 2 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) sachlich und örtlich zuständig (Art. 24 BayVersG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG).

Die getroffenen Beschränkungen unter Ziff. 1 und 2 fußen auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG, wonach die zuständige Behörde Versammlungen beschränken kann, sofern nach den zur Zeit des Erlassesder Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Die Stadt Augsburg verkennt hierbei nicht, dass an das Tatbestandsmerkmal der unmittelbaren Ge- fahr keine geringen Anforderungen zu stellen sind. Nach der Rechtsprechung des BVerfG setzt eine unmittelbare Gefährdung eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Inte- ressen führt. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprog- nose stellen. Daher müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergibt. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche An- haltspunkte erforderlich; bloße Vermutungen reichen nicht aus (BVerfG, Beschl. V. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04 (Rn. 20); BVerfGE 69, 315 [353 f.]; BVerfGE 115, 320 [361]). Nach allgemeinen sicher- heitsrechtlichen Grundsätzen sind aber auch im Versammlungsrecht an die Wahrscheinlichkeit umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der drohende Schaden ist (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 22.09.2016, 7 A 11077/15, Rn. 17 – juris; OVG Niedersachsen, Urt. v. 29.05.2008, 11 LC 138/06, Rn. 44 – juris; Barczak, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungs- recht, 2. Aufl., § 15 Rn. 176).

Die Anordnungen der Ziff. 1 und 2 dieser Allgemeinverfügung erfolgten in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (Art. 40 BayVwVfG). Wie oben beschrieben herrscht auf Versammlungen anlässlich des Kriegs im Nahen Osten ein hohes Gewalt- und Konfliktpotenzial. Dies rührt auch aufgrund der hohen Anteilnahme der Bevölkerung ohne persönlichen Bezug zu den betroffenen Konfliktparteien. Die Verwirklichung von Straftaten und / oder Verstöße versammlungsrechtlicher Natur prägen die Ver- sammlungslage in Deutschland. Schon durch augenscheinlich harmlose Handlungen wie das Ver- teilen von Süßwaren durch pro-palästinensische Anhänger wird eine Verherrlichung der Gräueltaten im Nahen Osten hervorgerufen und stellt eine Provokation dar. Durch den über Jahrzehnte anhal- tenden Konflikt im Nahen Osten ist die Stimmung außerdem besonders aufgeheizt. Die über diesen langen Zeitraum angestauten Gefühle und Emotionen entladen sich nun und schaffen ein Gesamt- bild der aggressiven und übermäßig angespannten Stimmungslage auf allen Seiten der Konfliktpar- teien.

Selbst präventive Versammlungsverbote, Auflösungen von Versammlungen, die Ahndung von Straf- taten und Ordnungswidrigkeiten sowie eine starke Polizeipräsenz auf Versammlungen tragen nicht zu einer Entspannung der Versammlungslage in Deutschland bei. Dabei macht es außerdem keinen Unterschied in welchem Gebiet oder in welcher Stadt in der Bundesrepublik die Versammlungen durchgeführt werden. So wie sich die Situation auf Versammlungen hierzulande nicht verändert, än- dert sich auch nicht das Geschehen im Nahen Osten. Vielmehr ist eine Bodenoffensive Israels wahr- scheinlich (vgl. https://www.fr.de/politik/bodenoffensive-israel-palaestina-gaza-zivile-opfer-raketen- hamas-92575554.html, zuletzt abgerufen am 13.10.2023). Hierbei ist eine weitere Eskalation des Kriegs umso konkreter zu befürchten. Bei einer Zuspitzung der Situation im Nahen Osten ist außer- dem ein Anstieg von Verstößen gegen die Rechtsordnung, insbesondere durch die Begehung von Straftaten hinsichtlich § 130 StGB (Volksverhetzung) § 126 StGB (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten) § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) § 104 StGB (Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten) §§ 86a, 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) oder anderen (menschen- )verachtenden Inhalten auf Versammlungen anlässlich des Krieges im Nahen Osten zu erwarten.

Dass sich dieses Verhalten über das gesamte Bundesgebiet erstreckt, wurde bereits oben aufgeführt. Dadurch ist auch im Hoheitsgebiet der Stadt Augsburg mit den beschriebenen und von Versammlungen ausgehenden konkreten Gefahren zu rechnen. Diese konkreten Gefahren belaufen sich durch das zu erwartende Mitführen bzw. die Verwendung der o. g. Symbole und Kennzeichen sowie der unter Ziffer 1 aufgeführten Äußerungen und Aktionen auf Verletzungen der Menschen- würde, Leben und Gesundheit (auch unbeteiligter Dritter) sowie Verletzungen gegen das Friedlich- keitsgebot auf Versammlungen und Verstöße gegen die Rechtsordnung. Die jeweils untersagten Symbole, Kennzeichen und Aktionen stellen laut Operativen Staatsschutz der Kriminalpolizei Schwaben Nord u. a. Straftaten dar, zeigen anti-israelische Einstellungen und führen zu einer star- ken Provokation von möglichen Gegendemonstranten. Selbiges gilt für feierliche Aktionen wie das Verteilen von Süßwaren.

Der Eingriff in die Versammlungsfreiheit ist daher verhältnismäßig. Die unter Ziff. 1 und 2 dieser Allgemeinverfügung verfügten Beschränkungen, stellen tatsächliche wie rechtlich mögliche Mittel dar, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verhindern. Insbesondere wird dem Tatbestandsmerkmal der Friedlichkeit aus Art. 8 Abs. 1 GG Rechnung getragen. Daneben werden konkrete Gefahren für die Rechtsordnung ausgeräumt.

Auch sind die Maßnahmen geeignet und erforderlich. Durch die Beschränkungen in Ziffer 1 und 2 wird der gesetzliche Zweck, die Gefahrenabwehr auf Versammlungen und das dortige Friedlichkeitsgebot erreicht und es sind keine milderen Mittel ersichtlich, welche gleich effektiv sind die bestehenden konkreten Gefahren für den öffentlichen Frieden, die Menschenwürde, Leben und Gesundheit und die Rechtsordnung zu beseitigen. Zudem würde eine komplette Untersagung von Versammlungen anlässlich des Krieges im Nahes Osten die Veranstaltenden in ihren Grundrechten weitaus mehr beeinträchtigen, als es durch die getroffenen Beschränkungen gegeben ist, zumal eine Untersagung nur als ultima ratio in Frage kommt.

Die Reduzierung der Maßnahmen auf Versammlungen mit eindeutigen Themen, die eine Billigung, Verherrlichung oder Verunglimpfung der Geschehnisse im Nahen Osten vor Ort konkret befürchten lassen, stellt zudem kein geeignetes milderes Mittel dar. Wie den Medien zu entnehmen ist, wurden in der Vergangenheit bereits mehrfach Verbote solcher zu befürchtenden unfriedlichen Versammlungen ausgesprochen. Dennoch haben sich die Veranstalter und Teilnehmenden über diese Verbote hinweggesetzt und sich versammelt. Hierbei kam es zu einer hochgradigen Verletzung der Rechtsordnung und einer erheblichen Anzahl von erstellten Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenanzeigen. Durch die Durchführung der verbotenen Versammlungen wurde so auch der öffentliche Friede nicht gewahrt. Um einem Versammlungsverbot zu entgehen, ist konkret zu befürchten, dass pro-palästinensische Aktivisten unter dem Deckmantel eines friedlichen oder neutralen Themas eine Versammlung anzeigen. Vor Ort könnten sodann unfriedliche bzw. provokative Äußerungen, Kundgabemittel oder Handlungen vollzogen werden. Aus diesem Grund ist auch die Ziff. 2 dieser Allgemeinverfügung erforderlich. So könnten pro-palästinensische Aktivisten auch bei Nichteinhaltung des Art. 13 BayVersG oder bei Anzeige einer überörtlichen Versammlung bei einer der weiteren zuständigen Kreisverwaltungsbehörden bewusst ein Versammlungsverbot oder den Erlass von versammlungsrechtlichen Verfügungen umgehen. Im Übrigen bewegt der aktuelle Konflikt im Nahen Osten eine breite Bevölkerungsschicht und somit auch eine Vielzahl von Gruppierungen, welche sich primär mit anderen (Versammlungs)themen beschäftigen. Somit ist davon auszugehen, dass auch auf Versammlungen mit grundsätzlich anderen Kernthemen – zumindest teilweise – der Nahostkonflikt thematisiert wird. Dass die Themensituation dynamisch ist, wurde bereits in der Vergangenheit bei verschiedenen Versammlungen aus dem linken und rechten Spektrum ersichtlich. Auch die Vielzahl von äußerst hetorogenen Themen bei den wöchentlichen Versammlungen der Corona Maßnahmengegner und die fortlaufende Themenanpassung unterstreichen dies. Somit ist damit zu rechnen, dass es auch Versammlungen ohne direkten Zusammenhang zum Nahostkonflikt zu Verstößen, Provokationen und unfriedlichen Versammlungen – ohne die Beschränkungen aus Ziffer 1 und 2 – kommen kann.

Im Übrigen sind die beschränkenden Verfügungen angemessen. In ihrer Ermessensausübung hatte die Stadt Augsburg zwischen einer uneingeschränkten Versammlungsausübung der Veranstaltenden aus Art. 8 Abs. 1 GG und der Wahrung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und dem öffentlichen Schutzgut der Rechtsordnung abzuwägen. Im Rahmen der praktischen Konkordanz sind diese Rechtsgüter in Ausgleich zu bringen. Soweit Beschränkungen verfügt werden, ist dies nach Art. 8 Abs. 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich, allerdings nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit (zuletzt etwa BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6; B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH B.v. 24.1.2021 – n.v. Rn. 12 des BA). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen etwa durch Auflagen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 a.a.O., juris Rn. 54, 63).

Werden die Gewalttaten im Nahen Osten verherrlicht, gebilligt oder verunglimpft so liegt angesichts der kriegerischen Handlungen und den zahlreichen (zivilen) Todesopfern auf beiden Seiten der Kriegsparteien eine Verachtung der Menschenwürde vor. Dies stellt für die Anhänger und Anhängerinnen der jeweiligen Konfliktparteien – auch in Deutschland – eine enorme Provokation dar, insbesondere aufgrund des hohen Emotionalisierungsgrades. Die Würde des Menschen ist in Art. 1 Abs. 1 GG geregelt. Somit steht sie an erster Stelle des Grundgesetzes. In Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ist zudem aufgeführt, dass sie zu achten und zu schützen die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist. Schon alleine durch das Aufführen der Menschenwürde an erster Stelle im Grundgesetz wird der hohe Stellenwert dieses Grundrechts in der Bundesrepublik Deutschland deutlich.

Daneben können sich Versammlungen nur auf den Schutzbereich des Art. 8 GG berufen solange sich die Teilnehmenden friedlich verhalten. Dass gerade dieses Tatbestandsmerkmal der Friedlichkeit in Zuge von Versammlungen zum Krieg im Nahen Osten nicht mehr gewahrt wird, wurde bereits in den oben getätigten Ausführen bewiesen. Die Gefährdung der Friedlichkeit setzt dabei nicht den Einsatz von Waffen voraus.

Die enormen Verstöße gegen die bestehende Rechtsordnung, insbesondere von Delikten, die die Tatbestände Billigung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Völkerstrafgesetzbuch), Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 Völkerstrafgesetzbuch), Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB), Billigung von Straftaten (§ 140 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB) sowie Verwenden von Kennzeichen / Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. Abs. 2 StGB bzw. § 20 VereinsG) belegen zum einen die Verletzungen der Menschenwürde und Verstöße gegen das Friedlichkeitsgebot auf Versammlungen.

Des Weiteren wurden bei vergangenen Versammlungen zum Themenkomplex Israel / Palästina pyrotechnische Gegenstände und Flaschen auf polizeiliche Einsatzkräfte geworfen, wodurch diese verletzt wurden. Daneben können die entstandenen Glasscherben oder versehentliche Flaschenwürfe auf unbeteiligte Dritte oder die Teilnehmenden selbst konkrete Gefahren für Leben und Gesundheit der Betroffenen darstellen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die unter Ziff. 1. und 2. getroffenen Verfügungen geeignete Maßnahmen darstellen, die die konkreten Gefahren für die Menschenwürde, die Friedlichkeit von Versammlungen, Leben und Gesundheit sowie die Rechtsordnung ausräumen. Ein Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand und der breiten Öffentlichkeit wird unter Einhaltung der angeordneten Beschränkungen gewährleistet.

Nach sorgfältiger Abwägung kommt die Stadt Augsburg zu dem Schluss, dass das Recht auf uneingeschränkte Durchführung der Versammlungen hinter den weiteren betroffenen Grundrechten, insbesondere den gewichtigen Grundrechten der Menschenwürde sowie Leben und Gesundheit, zurücksteht. Die getroffenen Verfügungen stellen zudem eine äußerst geringe Einschränkung dar. Die breite Öffentlichkeit kann von den Versammlungen hinlänglich angesprochen werden und Notiz von ihnen erlangen. Für Versammlungen, die keinen thematischen Bezug zum herrschenden Konflikt im Nahen Osten haben, stellen die getroffenen Verfügungen keine Einschränkungen der Versammlungsfreiheit dar.

Die angeordneten Beschränkungen sind somit verhältnismäßig.

Die Laufzeit unter Ziff. 4 dieser Allgemeinverfügung wurde bis einschließlich 10.12.2023 gewählt, um den dynamischen Entwicklungen im Nahen Osten zu entsprechen. Nach derzeitigem Stand ist außerdem nicht mit einer Waffenruhe oder gar einer Beendigung des Krieges zu rechnen. Aufgrund der Beteiligung weiterer Staaten an diesem Konflikt ist eher mit einer Ausweitung dessen konkret zu befürchten. Die Allgemeinverfügung mit der gewählten Laufzeit stellt so ein adäquates Instrument dar, um eine klare Rechtslage für Versammlungen in Augsburg zu schaffen.

Die Anordnungen in Ziffer 1 und 2 dieser Allgemeinverfügung sind gemäß Art. 25 BayVersG sofort vollziehbar.

Nach Art. 41 Abs. 4 Satz 3 BayVwVfG gilt bei der öffentlichen Bekanntgabe eines schriftlichen Verwaltungsaktes dieser zwei Wochen nach der ortsüblichen Bekanntgabe als bekannt gegeben. Um den oben beschriebenen konkreten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wirksam zu begegnen, wurde von der Möglichkeit des Art. 41 Abs. 4 Satz 4 BayVwVfG Gebrauch gemacht und ein früheres Bekanntgabedatum gewählt. Aufgrund der Brisanz und Gegenwärtigkeit des Nahost-Konflikts ist mit der Durchführung von Versammlungen zu diesem Thema vor Ablauf der zwei Wochen konkret zu rechnen.

Hinweise:

  1. Mit Geldbuße bis zu dreitausend Euro kann belegt werden, wer diesen vollziehbaren Anordnungen zuwiderhandelt, vgl. Art. 21 Abs. 1 Nr. 6 BayVersG.
  2. Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Veranstalter oder als Leiter diesen vollziehbaren Anordnungen Art. 20 Abs. 2 Nr. 4 BayVersG.