Im Weltkultur-Erbe wohnt man nicht!
Warum das Werben um den Titel „Weltkultur-Erbe“ eine gute und erfolgversprechende Unternehmung ist und dennoch hinterfragt werden muss
Von Siegfried Zagler
Augsburgs Identität ist nicht einfach darstellbar. Das ist nichts Schlechtes und spricht eher für den historischen und kulturellen Reichtum der Stadt, weshalb man sich hüten sollte, ein Image in den Vordergrund zu stellen. Fugger-Stadt, Universitätsstadt, Friedensstadt, Renaissance-Stadt, Sport-Stadt (FCA, AEV, Kanuten), Brecht-Stadt, Mozart-Stadt und natürlich darf die überstrapazierte Puppenkiste nicht fehlen. Es ist in den zurückliegenden Jahren auffällig geworden, dass die Priorisierung dieser Labels von Trends, politischen Nützlichkeitserwägungen und Zeitgeist-Erscheinungen abhängt. Lange hatte man sich mit Puppenkiste und Fugger-Stadt abgefunden, dann kam plötzlich die Universität zu Ehren (Ortsschilder zeugen davon), später Brecht und Frieden in Mode. Und nun kommt noch etwas dazu, das viele Jahrzehnte niemand so richtig auf der Rechnung hatte: die Kraft des Wassers.
Ökonomie und Kunst
Allein wegen der Idee darf man sich verbeugen und ohne jeden ironischen Unterton großen Respekt zollen und vielleicht – weil man schließlich in Augsburg ist – ein wenig augsburgern: „Warum ist man darauf nicht schon viel früher gekommen?“ Die Finanzierung belastet nicht den städtischen Haushalt, die Kosten der Bewerbung (48.000 Euro) übernehmen größtenteils private Sponsoren. Das Thema der Bewerbung wurde in Voraussicht auf seine nationale Genehmigungsfähigkeit sondiert und es ist ein passendes Thema, das in der Tat unabhängig vom Zeitgeist und politischer Präferenzen unkompliziert in die Matrix der Stadt eingewebt werden kann. Die Bewerbung scheint sehr professionell gemacht und es gibt auf den ersten Blick weit und breit keine Untiefe, woran das Projekt havarieren könnte. Hinzu kommt der feine Gedanke, dass durch diesen Titel kein historisches Baudenkmal eine Zurückstellung erfährt. Der Titel „Weltkultur-Erbe“ schärft das Bewusstsein der Historizität einer Stadt, schärft die Wahrnehmung innerhalb der Stadtgesellschaft hinsichtlich der Bedeutsamkeit in der zivilisatorischen Entwicklung, zeigt nicht nur den Sprung von der mittelalterlichen Gotik hin zur Renaissance und arbeitet somit möglicherweise den Gedanken einer verfeinerten Wertschöpfung heraus. Wasserkraft und Wasserspiele. Ökonomie und Kunst. Das bringt Heraushebungen in Reiseführern und schön gestaltbare städtische Broschüren. Und sonst?
Unesco ist zur Zentralagentur der Historisierung geworden
Zuerst muss man die Frage stellen, wie es um die Wertschöpfung der Unesco-Auszeichnung insgesamt steht. Anders gefragt: Was bedeutet dieser Titel allgemein für eine Stadt und deren Image? „Die Unesco ist mit ihrem Weltkulturerbe-Programm zu einer machtvollen Zentralagentur der Historisierung geworden, die im reißenden Strom des globalen technologischen Fortschritts Inseln regionaler Identität unter Artenschutz stellt. Ein kaminwarmes Kompensationsprogramm für die antitraditionellen Dynamiken der Globalisierung – mit den Mitteln der Globalbürokratie.“ So die Hamburger ZEIT vor einem Jahr, als es der Wochenzeitung darum ging, eine neue Kategorie der Welt-Kulturerbe-Bürokratie auf den Prüfstand zu nehmen: das „immaterielle Welt-Kulturerbe“. Eine Ausrichtung der Unesco-Arbeit allein am steingewordenen Erbe sei, so wurde argumentiert, eurozentrisch, da gerade in vielen asiatischen und afrikanischen Kulturen das eigentlich Überliefernswerte eher in der Form der Mündlichkeit, des Brauchtums und der sozialen Praxis zu suchen sei.
Seltsame Musealisierung der Welt
Dieses Argument sei zwar zutreffend, führe aber in letzter letzter Konsequenz zu einer „seltsamen Musealisierung der gesamten Welt“, so die These des ZEIT-Autors. Anlass dieser Kritik war der Unesco-Beschluss, die Lebensart der französischen Küche als Welt-Kulturerbe anzuerkennen. Was in letzter Konsequenz bedeute, dass unser aller Leben nichts anderes sei als Welt-Kultur-Erbe, da der heimische Hackbraten mit dem richtigen Bier und den Gesprächen dazu dem französischen Küchenklimbim in nichts nachstehe. Nichts wäre somit vor dem Zuspruch der Unesco sicher. Das Hauptproblem heißt somit museale Banalisierung und Beliebigkeit. Und wie ist das mit den traditionellen Kategorien, also Naturlandschaften, Landstrichen, Parks und historischen Ensembles? Ähnlich! Studiert man die nationalen Listen der Welt-Kultur-Erbe-Landmarks, so fällt zunächst auf, dass sich zuvorderst kleinere Städte um diesen Titel bemühen. Ein Titel, um den man sich offensichtlich kostspielig bewerben muss.
Therapeutikum gegen provinzielle Engstirnigkeit
37 Welt-Kulturerbe-Titel gibt es allein in Deutschland, 940 weltweit. Innerhalb Deutschlands hält die Stadt Trier mit 9 (!) historischen Bauwerken den Welt-Kulturerbe-Rekord. Zum Vergleich: Paris hat nur einen Titel und dieser bezieht sich auf das Seine-Ufer. Welche Titel sind noch auf der deutschen Welt-Kulturerbe-Liste zu finden? Zum Beispiel zahlreiche Landstriche, darunter ein Ex-Weltkulturerbe wie das Dresdner Elbtal, zwei Wattlandschaften und die Würzburger Residenz, eine Schuhleistenfabrik in Alfeld, ein bronzezeitliches Pfahlfeld unter Wasser in Unteruhlingen-Stollenwiesen, aber auch „urbane Landschaften“ wie etwa der Bamberger Stadtkern oder die Altstadt von Goslar sowie Parklandschaften wie das Dessau-Wörlitzer Gartenreich mit großangelegten Landschaftsparks und natürlich sakrale Gebäude wie der Aachener Dom, der Dom zu Speyer, der Naumburger Dom, der Hildesheimer Dom sowie die Hildesheimer Micheliskirche, der Kölner Dom, die Wieskirche, die Stiftskirche von Quedlinburg und selbstverständlich historisch urbane Ensembles wie Stadtamhof mit der Steinernen Brücke in Regensburg. Bekäme also Augsburg in etwa 2017 den Zuschlag, müsste man davon ausgehen, dass es in Deutschland mehr Weltkultur-Erbe-Titel als Universitäten gibt. Kurzum: Die Differenzierung der Städte erfolgt durch die Bedeutsamkeit ihrer Kultur- und Geistesgeschichte, nicht über eine Unescosierung eines Ortes oder einer Struktur. Aber – und dieses „Aber“ muss man sich mit drei Ausrufezeichen vorstellen – generiert die Welt-Kulturerbe-Etikettierung der Unesco gerade in kleineren Städten einen positiven Effekt: einen kulturell geprägten Heimatbegriff und somit größere Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Geschichte. In Gesellschaftsformen, deren Lebensformen kopierten Life-Style-Konzepten ähneln und sich somit beinahe ausschließlich um das Nützliche und Nächstliegende drehen, darf man einen Unesco-Titel als Heilmittel verstehen, als Therapeutikum gegen provinzielle Engstirnigkeit.
Die lokale Politik hätte sich an dieser Auszeichnung zu orientieren
Man muss auch berücksichtigen, dass die lokale Politik dazu geneigt sein könnte, sich an dieser Auszeichnung zu orientieren und sich möglicherweise auch in Augsburg bestimmte Entwicklungen nicht mehr denken ließen. Heimatpfleger Hubert Schulz hat kürzlich den Fünffingerlesturm in den Kontext dieser Bewerbung gestellt. Wäre die Idee eines Außentreppenanbaues an diesem Turm in der Nähe eines Unesco-Wasserdenkmals vorstellbar gewesen, hätte es den Weltkultur-Erbe-Titel in Augsburg bereits gegeben? Seit 2006 ist laut Stadtratsbeschluss im Roten Tor ein kleines Museum in Sachen Wallanlagen vorgesehen. Kann man diesen Gedanken aufgrund der Bewerbung endgültig löschen? Das historische Wasserwerk bei der Wolfzahnau ist bewohnt: ein Sakrileg. Im Welt-Kulturerbe wohnt man nicht! Alle Beispiele taugen für die These, dass die Unesco-Zusprechung eine konservative Denkungsart fördert, die das Vergangene als Abbild für das Zukünftige stilisiert.
Augsburg ist nicht Kleinkleckersdorf
Die Gefahr der Denkverbote besteht, aber man sollte deshalb nicht die Stirn in Sorgenfalten legen. Man muss sich nicht davor ängstigen, dass sich die Augsburger zu sehr mit ihrer „Wasserstadt“ identifizieren und sich quasi bei jedem Schluck heimischen Leitungswassers die eigene Bedeutung vor Augen führen. Auch vor einer Verfestigung einer rückwärts gerichtete Denkungsart innerhalb der politischen Kaste muss man sich nicht fürchten. Die Dresdner Bürgerschaft hat in einem Bürgerentscheid mit großer Mehrheit auf den Welt-Kulturerbe-Titel gepfiffen und sich für eine Verbesserung der Verkehrsführung entschieden. Vom Welt-Kultur-Erbe-Status „Wasser“ darf man sich ohnehin nicht zu viel mehr als einen angehobenen Besucher-Zuwachs erwarten. Das ist eine gute Sache, die Bewerbung selbstverständlich auch. Angesichts der langen und phasenweise glanzvollen Geschichte der Stadt sollte man jedoch aufgrund dieser Bewerbung nicht soviel Tam-Tam machen. Augsburg ist nicht Kleinkleckersdorf.