Interview mit Volker Ullrich: “Die Karlstraße wird auf Dauer nicht so bleiben können”
Augsburgs CSU-Chef Volker Ullrich im Gespräch Siegfried Zagler
Dr. Volker Ullrich ist ein CSU-Politiker der ersten Kategorie. Er hat in der Bundestagsfraktion der CSU ein hohes Ansehen, einen guten Draht zur Bundeskanzlerin und hält von allen Bundestagsabgeordneten die meisten Reden. Ullrich organisiert in seinem Wahlkreis zahlreiche wie interessante und gut besuchte Podiumsdiskussionen, pflegt eine liberale Weltsicht und ist dennoch ein CSU-Mann wie er im Buche steht. DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler und Volker Ullrich pflegen ein respektvolles Miteinander, was man auch zum Beispiel daran erkennen kann, dass man ein Interview vereinbart, es ohne Netz und doppelten Boden durchführt und man es veröffentlichen kann, ohne dass ein PR-Berater oder ein Parteisekretär noch einen Blick darauf wirft. “Die Volkspartei CSU muss sich in einer wandelnden Gesellschaft ändern und den Mut zur Erneuerung haben. Die CSU in Augsburg hat diese Kraft”, so Ullrich im DAZ-Interview.
DAZ: Herr Ullrich, Sie sind seit Kurzem Vorsitzender des CSU-Bezirksverbands Augsburg. Sie sind Bundestagsabgeordneter und werden im Oktober gerade mal 44 Jahre alt. Eva Weber, die vorgesehene CSU-Nachfolgerin für das Augsburger OB-Amt ist zwei Jahre jünger als Sie. Leo Dietz nicht wesentlich älter. Was bedeutet der Führungswechsel für die Augsburger CSU, wenn die neue Spitze dergestalt jung ist? Was werden Sie weiter so machen, wie es bisher gemacht wurde, was werden Sie anders machen?
Ullrich: Unsere Gesellschaft ändert sich. Wir sehen das täglich mit Blick auf die Nachrichten und erleben es selbst. Auf diese Veränderungen brauchen wir starke politische Antworten. Ich glaube nach wie vor an die integrative Kraft der Volkspartei, die Menschen und Haltungen zusammenführt. Die Volkspartei CSU muss sich in einer wandelnden Gesellschaft ändern und den Mut zur Erneuerung haben. Die CSU in Augsburg hat diese Kraft. Wir gehen neue Wege und erhalten Bewährtes. Schauen Sie auf unsere Stadtratsliste. Hier haben wir eine wirklich gute Mischung aus erfahrenen Kandidaten und jungen Talenten. Wir brauchen sie in der CSU alle.
DAZ: Oliver Heim und Gerhard Schmid aus Inningen offenbar nicht. Sind die Inninger CSU-Leute zu nahe bei der AfD? Warum wurden sie nicht auf der CSU-Liste berücksichtigt?
Eine Zusammenarbeit oder Kooperation mit der AfD ist nicht vorstellbar
Ullrich: Der Ortsvorsitzende der CSU-Inningen ist bei der Aufstellungsversammlung der CSU-Augsburg insgesamt vier Mal für einen Platz auf der Stadtratsliste angetreten und konnte keine Mehrheit erzielen. Das gilt es demokratisch zu akzeptieren. Für die CSU ist dennoch nicht hinnehmbar, dass er jetzt auf der Stadtratsliste der WSA kandidiert. Er wird sich entscheiden müssen. CSU-Ortsvorsitzender und Kandidat bei der WSA sind unvereinbar. Im Übrigen gilt für CSU in Inningen wie für die gesamte CSU: Wir grenzen uns klar und deutlich in Inhalt, Haltung und Sprache von der AfD ab. Eine Zusammenarbeit oder Kooperation mit der AfD ist nicht vorstellbar.
DAZ: Die Haushaltslage der Stadt Augsburg ist im Vergleich zu anderen bayerischen Großstädten angespannt. Die Schulsanierungen wie die Theatersanierung sind ins Stocken geraten. Wie wollen Sie damit umgehen? Wie wollen Sie zum Beispiel die Theatersanierungskosten dem Bürger vor der Wahl vermitteln, wenn die Gelder für die Schulsanierung nicht vorhanden sind?
Ullrich: Wir sollten nicht den Fehler machen, einzelne politische Projekte in der Finanzierung gegeneinander auszuspielen. Wer das versucht, verzettelt sich …
Die Sanierung der Schulen und deren Ausstattung hat eine ganz hohe Priorität
DAZ: … Wenn nicht genug Geld für beides da ist, muss man doch priorisieren. Die CSU und ihre Finanzreferentin Weber tun gerade so, als sei noch alles im Lot. Ist es aber nicht. Und langsam bekommt dies der Wähler auch mit.
Ullrich: Wir brauchen beides. Die Sanierung der Schulen und deren Ausstattung hat eine ganz hohe Priorität. Deswegen haben wir eine Änderung des Grundgesetzes vorgenommen, damit der Bund in Abkehr der bisherigen Kompetenzverteilung selbst Kommunen bei der Finanzierung der Schulen unterstützen darf.
DAZ: Herr Ullrich, mit Verlaub, in München sind 6 Milliarden Euro für die Schulsanierungen beschlossen und bereitgestellt worden. In Augsburg hat man sich mit 300 Millionen Euro zufrieden gegeben. Das ist aktuell der Stand. München hat nicht die 20-fache Last zu tragen, sondern dort hat man wohl genauer Grundlagen ermittelt. Breche ich die Münchner Zahlen auf Augsburg herunter, brauchen wir für die Schulsanierungen in unserer Stadt wohl eine Milliarde Euro. Sollen die fehlenden 700 Millionen vom Bund kommen?
Ich weiß aber auch, dass es nicht bei den 300 Millionen Euro bleiben wird
Ullrich: Die 300 Millionen stellen in Augsburg bereits einen großen Kraftakt dar. Noch nie zuvor ist soviel Geld für die Schulsanierung aufgewendet worden. Das darf man nicht kleinreden. Ich weiß aber auch, dass es nicht bei den 300 Millionen Euro bleiben wird. Das wird der nächste Stadtrat zu entscheiden haben. Dabei hilft uns in Augsburg auch die Grundgesetzänderung. Im Übrigen gilt im Hinblick auf die Theatersanierung die Verpflichtung, auf die Einhaltung des Kostenrahmens zu achten.
DAZ: Wie können Sie den DAZ-Lesern erklären, dass ein erfolgloser parteiloser Kulturreferent wie Thomas Weitzel von der CSU unterstützt und wohl weiterhin als Referent gewollt wird, indem man ihn auf Listenplatz 9 setzt?
Ullrich: Einspruch! Die von Ihnen vorgenommene Beschreibung von Herrn Weitzel ist weder fair noch sachgerecht. Ich widerspreche hier ausdrücklich. Thomas Weitzel ist ein guter und erfolgreicher Kulturreferent. In seiner bisherigen Amtszeit ist die Umwandlung zum Staatstheater geglückt, Welterbe Wasser war erfolgreich, der Kulturpark West konnte auf das Gaswerk-Areal umziehen, die Archäologie hat ein neues Depot und eine bessere Einbindung der freien Kunst- und Kulturszene ist auf dem Weg. Das haben übrigens die Delegierten der CSU ganz genauso gesehen, indem diese Herrn Weitzel mit einem sehr überzeugenden Ergebnis auf Platz 9 unserer Stadtratsliste gewählt haben.
DAZ: Das Aufgezählte hat wenig mit der Person des Kulturreferenten zu tun. Ich lasse das aber mal so stehen und werde Ihrer Einschätzung an anderer Stelle widersprechen. – Die Differenzierung der Städte erfolgt über Kultur, nicht über geschickte Verkehrsführung: Können Sie dem zustimmen?
Ullrich: Die Differenzierung der Städte erfolgt über mehrere Faktoren. Gewiss ist die Kultur ein bedeutender Faktor. Aber eben nicht der einzige. Wenn Sie auf die lebenswertesten Städte der Welt sehen, dann ist es die Mischung aus starker Wirtschaftskraft und hoher Lebensqualität, die zählt. Das Thema Mobilität spielt hier übrigens eine ganz zentrale Rolle. Städte, die im Stau und Verkehr ersticken, haben keine Zukunft. Wir brauchen ein neues Denken und einen klugen Mobilitätsmix aus ÖPNV, Radverkehr und mobilisierten Individualverkehr. Da sind wir doch in Augsburg auf einem wirklich guten Weg.
DAZ: Auch das sehe ich anders, wenn man bedenkt, dass jeden Tag 20.000 Autos über die “Stadtautobahn Karlstraße” brausen. Eine Stadtautobahn zwischen Rathaus und Dom. Wo gibt es das sonst noch? Zu wenige Parkplätze für Autos, zu wenige für Fahrräder. Die Tarifreform der Stadtwerke ist krachend gegen die Wand gefahren. Die gesetzlich vorgeschriebenen Gesundheitswerte der Atemluft werden oft nicht eingehalten. Die Linie 6 endet auf dem Feld. Die Linie 5 ist in der Planfeststellung stecken geblieben – ebenso die Zielsetzungen zur Fahrradstadt 2020. In Augsburg ist man von einer zeitgemäßen Mobilität soweit entfernt wie vom Mond. Nicht umsonst will die OB-Kandidatin der CSU ein “Mobilitätsreferat” gründen.
Vielleicht geht eine Straßenbahnlinie durch die Karlstraße
Ullrich: Die Karlstraße wird auf Dauer nicht so bleiben können. Wie eine tiefe Schneise teilt diese Straße die Altstadt. Wir haben hier in der Tat zuviel Verkehr und mit die höchsten Schadstoffbelastungen in Augsburg. Wir müssen uns gemeinsam mit den Bürgern überlegen, wie wir hier neue Konzepte entwickeln können.
DAZ: Zusammen mit den Bürgern?! Das klingt gut. Aber ich hätte jetzt gern einen Vorschlag von Ihnen!
Ullrich: Vielleicht geht eine Straßenbahnlinie durch die Karlstraße und oder mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer. Insgesamt brauchen wir in Augsburg einen modernen Mobilitätsmix. Schneller und günstiger Nahverkehr, breite und sichere Radwege, Platz für Fußgänger und natürlich auch Raum für den Individualverkehr. Wir sollten Verkehrsträger ergänzen und vernetzen und sie nicht gegeneinander ausspielen. Genau wegen dieser Herausforderugen möchte Eva Weber als Oberbürgermeisterin ein Mobilitätsreferat einrichten. Ich halte das für sehr klug.
DAZ: Lassen Sie uns das Thema wechseln. Wenn man den Medien-Hype um die Weltkulturerbe-Ernennung, um die Friedensstadt-Debatte verfolgt und seit Jahrzehnten die Kulturpolitik in Augsburg vernachlässigt, dann muss man von Versäumnissen sprechen, von verlorener Zeit, die man nun aufholen müsste. Sehen Sie das auch so?
Die Auszeichnung zum Welterbe ist eine echte Chance
Ullrich: Nein, das sehe ich nicht so. Das Gegenteil ist der Fall. Ich sehe die Ernennung zum Welterbe nicht als Hype, sondern als echte Auszeichnung für Augsburg, über die wir uns freuen dürfen und sie ist eine echte Chance. Die Kulturszene in Augsburg ist lebendig, vielfältig und inspirierend. Jetzt gilt es, das fortzuentwickeln.
DAZ: Nach der Auszeichnung kam der Hype. Der Impuls, die Idee kam übrigens von einer Privatperson, nicht von der Kulturpolitik, die eher skeptisch war und diesbezüglich nur langsam in die Gänge kam. Sie sagen es ja selbst: “fortentwickeln”. Welche Kulturpolitik würde die Stadt weiterbringen? Welche Ziele sollten priorisiert werden?
Ullrich: Die große Voraussetzung für Kultur ist Freiheit. Deswegen brauchen Künstler kreative Freiräume einerseits und andererseits die Ermutigung, sich streitig mit den großen Fragen unserer Zeit zu beschäftigen. Daneben kann die Kulturpolitik in Augsburg nicht von unserem großen historischen Erbe getrennt werden. Das weiter zu pflegen und modern zu bewahren, bleibt eine große Aufgabe.
DAZ: Womit wir bei den Römern wären. Ein Erbe, das viele Jahrzehnte in der Dominikanerkirche vor sich hindämmerte und nun richtig brach liegt. Sie wollen mir jetzt doch nicht einreden, dass dieses große historische Erbe von der städtischen Kulturpolitik nicht vernachlässigt wurde.
Ullrich: Die städtische Kulturpolitik kann doch nicht alles auf einmal erledigen. Wie wir den Umgang mit unserem großen römischen Erbe zeitgemäß aufbereiten, wird eine der künftigen Fragen der städtischen Kulturpolitik sein.
DAZ: Herr Ullrich, vielen Dank für das Gespräch. ———– Fragen: Siegfried Zagler