Jenufa: Liebe und Leid um einen Tisch und ein Bett
Dirk Kaftan bringt den Augsburgern ein wertvolles Geschenk mit einem Gruß von seiner neuen Wirkungsstätte
Von Halrun Reinholz
Nicht wenige Augsburger Theaterbesucher weinen dem ehemaligen Generalmusikdirektor Dirk Kaftan bittere Tränen nach. Mit seiner warmherzigen, bescheidenen Art bei gleichzeitig höchster Qualifikation und Mut bei der Auswahl des Repertoires hat er bei den Zuschauern (und auch bei den Chor- und Orchestermitgliedern) viele Bonuspunkte gesammelt. Nun kam er noch einmal zurück, um „Jenufa“ zu dirigieren – eine Inszenierung von Peter Konwitschny in Graz, die Dirk Kaftan sozusagen als Abschied von Augsburg durch eine Kooperation hierher geholt hat.
Unumwunden gaben Zuschauer zu, dass sie sich nur wegen Kaftan in die vermeintlich sperrige Janácek-Oper gewagt hatten. Doch durch die schlüssige Inszenierung findet man sich als Zuschauer schnell in einer Welt der dörflichen Enge und Normierung, wie wir sie aus vielen literarischen Zeugnissen kennen. Jenufa (hervorragend gesungen von Sally du Randt) erwartet ein Kind von dem leichtlebigen und trinkfreudigen Steva (Ji-Woon Kim) und hofft auf die baldige Heirat. Doch Steva erfährt erst nach der Geburt des Kindes davon und ist nicht bereit, sich der Schande zu stellen. Die tragische Schlüsselfigur ist jedoch die Küsterin Buryja, Stiefmutter und Vormund Jenufas (eindrucksvoll verkörpert von Kerstin Descher), die der Stieftochter leidvolle Entbehrungen ersparen will, wie sie sie einst selbst erlebt hat. Deswegen tötet sie das Kind ohne Wissen Jenufas und sorgt dafür, dass diese den ahnungslosen Laca (Mathias Schulz, neu im Ensemble) heiratet. Dramatischer Höhepunkt ist die Hochzeitsfeier der beiden, wo auch Steva (Stiefbruder Lacas) mit seiner Verlobten erscheint und während der die Kinderleiche gefunden wird. Die Dorfbewohner sind schon bereit, Jenufa zu steinigen, doch die Küsterin gesteht ihre Schuld und geht ins Gefängnis. Gegenpol zur Welt der gefühlsfernen Konventionen ist die echte Liebe zwischen Laca und Jenufa, die gleichsam als Epilog in die Zukunft weist.
Peter Konwitschny hat die „Oper aus dem mährischen Bauernleben“ (so der Untertitel) genau so inszeniert, wie man sich die dörfliche Enge vorstellt. Während der drei Akte ist das Bühnenbild fast unverändert: Ein Tisch im Vordergrund, ein Bett im Hintergrund. Das sind für den Regisseur die „wichtigsten Orte, an denen das Zusammenleben der Menschen geschieht“. Was sich ändert, ist die (Jahres-) Zeit. Der Sommer des ersten Aktes wird im zweiten zum Winter und schließlich kommt der hoffnungsvolle Frühling und die dramatische Zuspitzung des Geschehens findet in einem Meer aus Krokussen statt. Durch diese Reduktion auf das Wesentliche wird die Handlung verständlich geführt. Dass die Personen alle miteinander verflochten (und irgendwie verwandt) sind, wird zusätzlich durch die matriarchalisch anmutende Gestalt der Großmutter Buryja verkörpert (Elisabeth Hornung als Gast). Konwitschny, der früher auch durchaus auch mit skandalumwitterten Inszenierungen aufgefallen ist, gelingt es hier, Bodenständigkeit ohne Folklorismus und die dörfliche Enge ohne düstere Bühnenaccessoires (bis auf die schwarze Kleidung der Küsterin) hervorzurufen. Bühnenbild und Kostüme (beides von Johannes Leiacker) unterstreichen dezent und einfühlsam den Fortgang der Handlung. Zur Eröffnung der neuen Opernsaison ein Geschenk Kaftans an ein dankbares Augsburger Publikum.
Fotos: A.T. Schaefer