Jugendkultur in Augsburgs City – ein innerstädtischer Verödungsprozess
Wer die beiden aktuellen Veröffentlichungen – die Sinus-Studie 2024 „Wie Jugendliche ticken“ und die neueste Shell-Jugendstudie – nur überfliegt, wird sehr schnell verstehen, welche Bedeutung jugendkulturellen Aktivitäten, Einstellungen und Problemen in einer demokratischen Stadtgesellschaft zukommt.
Von Peter Bommas
Möglicherweise vertiefen sich ja auch einige für die vergangene und zukünftige Stadtpolitik Verantwortliche in die Materie und überdenken ihre politischen Entscheidungen vor dem Hintergrund aktueller jugendpolitischer und jugendkultureller Entwicklungen sowie der wachsenden Bedeutung kultureller Bildung im Rahmen des kontroversen Demokratiediskurses. Ein Diskurs, der die Stadt Augsburg vor das Dilemma stellt, dass mit Wegfall der Fördergelder aus dem Topf von „Demokratie leben“ viele in den letzten vier Jahren erfolgreich etablierten Projekte, die anfangen Früchte zu tragen, vor dem Aus stehen oder sehr stark zurück gefahren werden müssen.
In Augsburgs Innenstadt – zwischen Rotem Tor, Fischertor, Vogeltor und Hauptbahnhof – treffen sich täglich ca. 15.000 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 13 und 30 Jahren an neun weiterführenden Schulen, zwei Fachakademien und einer Hochschule – lernen, studieren und tauschen sich über ihr Leben, ihre Freizeit, ihre Zukunftsaussichten aus. Die allermeisten von ihnen verschwinden nach Schulende aus der Innenstadt, laufen, radeln, fahren zu ihren Wohnquartieren in den Stadtteilen oder im Umland. Denn außer Shoppen und Konsumieren ist in Augsburgs City für Jugendliche und junge Erwachsene nicht viel möglich. Demokratische Lernprozesse im Zusammenhang jugendkultureller politischer Bildung und Szenekulturen haben hier keine Räume.
Outgesourct und abgeschafft
Sämtliche jugendkulturellen Anlaufstellen und Aufenthaltsorte sowie attraktiven und erschwinglichen Events wurden in den vergangenen 20 Jahren sukzessive „ausgelagert“ oder „abgeschafft“. Beispiel „Modular“ – Auftakt an der Alten Stadtmetzg vernetzt mit der Kresslesmühle, dann im Wittelsbacher Park mit Kongreßhalle, noch am Rand der Innenstadt, dann Abschieben zum Plärrer und schließlich outgesourct am Gaswerk als Nischenfestival. Oder das Brecht-Festival: von der Stadtmitte und den Schulen weg in die Stadtteile. Oder jüngst das Friedensfest – vom niederschwellig orientierten, partizipativen interkulturellen Highlight zurück in den Schoß der Religionen resp. Kirchen.
Öffentliche Plätze, Parks, Innenhöfe, Fußgängerzonen – eigentlich genuine Begegnungsareale gerade auch für Jugendliche – werden rigide sozial kontrolliert (Dompark, Bismarckpark, Rathausplatz, Elias-Holl-Platz, Holbein-Platz, Moritzplatz, Lueginsland, Rote-Tor-Anlagen), kneipenmäßig bestuhlt und beschirmt (Maxstraße, Rathausplatz, Martin-Luther-Platz) oder einfach sehr unfreundlich bzw. abweisend – meist betoniert und ohne grüne Beschattung – ausgestattet. Siehe Ernst-Reuter-Platz vor der Stadtbücherei, das für Jugendliche hermetisch wirkende Zeughaus, der Platz vor der Citygalerie oder ganz aktuell der kleine zugepflasterte Platz gegenüber dem Wasserturm am Roten Tor – wer will sich da aufhalten?
Kaum Treffpunkte ohne Konsumzwang
Sozialverträgliche Treffpunkte ohne Verzehr- und Bestellzwang und mit Schutz vor der Witterung wie das frühere Hausaufgaben-Cafe in der Mühle, das Schüler-Cafe Inca oder der Pavian mit Tip-Infozentrum am Schwibbogenplatz sind verschwunden. Nur das GrandHotel Cosmopolis und sehr eingeschränkt der ständig von der Schließung bedrohte Provino-Klub mit schattigem Biergarten, beides kulturelle Kleinode, kann man als Jugendlicher ohne definierten Konsumzwang aufsuchen. Mit einem Wort – die Aufenthaltsqualität für Jugendliche und junge Erwachsene mit kleinem Geldbeutel ist in der Innenstadt sehr limitiert.
Wo also kann in der Innenstadt jugendkulturelles Leben stattfinden, wo können sie sich treffen, diskutieren, kreativ werden oder nur gechillt abhängen? Das Klima-Camp neben dem Rathaus hat unter großer Anstrengung gezeigt, wie lebendige Jugendkultur und Partizipation aussehen kann. Ebenso das beim letztjährigen Brecht-Festival – inzwischen eigentlich ein zum Jugendkulturfestival mutiertes Format – sehr erfolgreich umgenutzte Gebäude beim Plärrer – eine Steilvorlage für die Leerstände in der Anna-, Bürgermeister-Fischer-, Maximilianstraße, beim Fischmarkt oder am Hohen Weg. Augsburgs City braucht keine Pop-Up-Stores sondern echte Um- oder notfalls Zwischennutzungen, die jugendkulturell interessante Inhalte transportieren oder als niederschwellig gemeinnützig betriebene Treffpunkte zum Verweilen, Chillen, Diskutieren und Pläne schmieden einladen. Nur so wird wieder attraktive, zukunftsgerichtete, partizipative jugendkulturelle Bewegung in der Innenstadt Fuß fassen können.