MEINUNG
Kommentar: “Mohr” ist eine Bezeichnung, die Menschen verletzt
Das Hotel Drei Mohren in der Augsburger Maximilianstraße soll seinen Namen und sein Logo ändern, beides sei rassistisch, so die Augsburger Jugendorganisationen von Amnesty und der SPD. Die Hotel-Leitung sieht das anders, auch viele Augsburger scheinen an dem Namen “Drei Mohren” zu hängen. Das ist zu bedauern. Aufklärung und Sprachkritik brauchen Zeit – wie nicht nur das langsame Sterben des “Sarotti-Mohrs” lehrt.
Kommentar von Siegfried Zagler
Es soll kein Zweifel daran bestehen, dass weder die Geschäftsführung noch die Besitzer des Drei Mohren rassistisch ambitioniert sind, auch wenn sie an dem historischen Namen “3M” festhalten wollen. Auch den vielen DAZ-Lesern, die sich in Leserbriefen (die Leserbriefspalte der DAZ befindet sich auf Facebook) für die Beibehaltung des kolonialen Namens einsetzen, sollte man nicht mehr unterstellen, als eben den Wunsch, dass das Drei Mohren weiterhin Drei Mohren heißen soll. Die Argumente derjenigen, die weiterhin auf den Namen bestehen, sind allerdings dünn, ihre Argumentation oft bleiern und teilweise herablassend.
Zuerst wird festgestellt, dass das Thema bezüglich Rassismus und bezüglich anderer Probleme irrelevant sei. Zweitens wird behauptet, dass der Name auf realen Ereignissen der Vergangenheit fuße, und deshalb unverfänglich sei. Und drittens, so die Umbenennungsgegner, wären, wäre die Typologisierung “Mohr” rassistisch, bestimmte Stellen in der deutschen Literatur, oder in Kinderbüchern und Comics zu streichen. Außerdem gebe es Ortschaften, Wappen, Straßen, Sammlungen, Biere, Apotheken, die den Namen “Mohr” führten, selbst Familiennamen müssten geändert werden.
Offensichtlich sind mit dem Haus in der Maximilianstraße Heimatgefühle verbunden. Das Drei Mohren ist ein Stück Augsburger Identität, eine historisch verankerte Instanz wie der Perlach, der Dom oder das Große Haus am Kennedyplatz, das seit kurzem “Staatstheater” heißt. Das Hotel-Management kann stolz darauf sein, dass das Augsburger Drei Mohren mehr ist als ein Hotel mit gutem Ruf. Genau deshalb ist es ja zur Zielscheibe von Protesten geworden. Niemand käme ernsthaft auf den Gedanken, gegen den “Mohrenkönig” in der Sulzerstraße einen Feldzug zu führen. Würde sich das Drei Mohren umbenennen, wäre das ein großer Schub in die richtige Richtung, dessen Sog vermutlich auch den Mohrenkönig mitreißen würde.
Die erhöhte Anzahl schwarzafrikanischer Einwanderer und Asylbewerber in jüngerer Zeit, ihr Bemühen um Integration und Bleiberecht haben das bisher eher theoretisch verhandelte Thema “Rassismus gegenüber Schwarzen” in eine neue gesellschaftliche Relevanz geführt, die emotionale Diskussionen auslöst, die es in Deutschland in dieser Heftigkeit noch nicht gab. Von jenen, die gegen eine liberale Zuwanderungspolitik eintreten, wird dabei unermüdlich auf das kleinteilige System der Political Correctness verwiesen, das sie als ein Mittel “vorstaatlicher Zensur und Propaganda” begreifen. Political Correctness sei ein System der Unterdrückung, das sich auf die Eliminierung kultureller Werte, milieubedingter Gewohnheiten und kulturell abgesicherter Metaphern spezialisiert zu haben scheint. Ein System, das man zu ignorieren habe, weil es einen albernen Angriff auf die Sprache führe.
Fangen wir also genau damit an, was die Verteidiger des Identitären den Vertretern der Political Correctness absprechen, nämlich die Ernsthaftigkeit. Und wie so oft hilft ein Blick in die Geistesgeschichte, besser ins Drama. In Friedrich Schillers „Verschwörung des Fiesco zu Genua“, dritter Akt, vierter Auftritt: Muley Hassan hat soeben dem Fiesco, Grafen von Lavagna, etliche Intrigen enthüllt und Spitzeldienste geleistet und hofft jetzt auf Belohnung. Doch Fiesco lässt ihn abblitzen: „Kerl, du verdientest einen eigenen Galgen, wo noch kein Sohn Adams gezappelt hat. Geh ins Vorzimmer, bis ich läute.“ Darauf grummelt Muley Hassan: „Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen.“
Ein gutes Beispiel dafür, dass auch die berühmtesten Zitate im deutschen Sprachgebrauch im Lauf der Jahrhunderte ein Eigenleben entwickeln: Bei Schiller war nicht von “Schuldigkeit” die Rede. Schillers Mohr hat gearbeitet. Das hat wenig mit Schuld, sondern vielmehr mit Arbeit zu tun, Lohnarbeit, die zu bezahlen ist. Der “Mohr Hassan” wird um seinen Lohn geprellt, er beklagt sich darüber und führt dabei fatalistisch den “Mohr” ins Feld, der er zu sein scheint, und mit dem man eben so umgehen könne. Schillers Muley Hassan ist nicht zufällig schwarz. Sein Part steht für die vorgeschobene, also verlogene höfische Toleranz und Weltläufigkeit. Hier muss nichts verändert werden. Das Gleiche gilt für Shakespeare, Mark Twain und viele mehr. Ihre Werke sind Dokumente, die Zeitgeist reflektieren. Huck Finn, der einen Sklaven befreit und mit ihm auf einem Floß flieht, sagt in diesem Zusammenhang achselzuckend zu sich selbst, als sich sein Freund (“der Sklave Jim”) gegen ihn durchsetzt: “Gibst du einem Neger den kleinen Finger nimmt er die ganze Hand.”
Wer nun meint, Literatur, Kinderbücher oder gar Familiennamen verändern zu müssen, weil man in Augsburg an einem prominenten Ort ein prominentes Hotel umbenennen will, hat sich weder ernsthaft mit Literatur noch mit dem Phänomen der Konnotation befasst. Es spielt nämlich keine Rolle, ob “Neger” von negro/negra hergeleitet wurde, oder ob diese rassistische Typologisierung geografischen Ursprung hat, da die ersten Sklaven aus dem westafrikanischem Niger bzw. aus der Gegend des Flusses “Niger” gefangen und deportiert worden sein sollen. Nicht die Denotation eines Begriffes ist von Bedeutung, sondern seine Konnotation, also der kontextuelle Gebrauch in der Sprache: “Nigger” ist eindeutig als Herablassung, als Schimpfwort konnotiert. Das Gleiche gilt für die europäische Variante “Neger”. Keine Frage also, dass man sich in einer urbanen und globalisierten Welt von diesen herablassenden Typologisierungen zu verabschieden hat. Das gilt auch für den “Mohren”, der im deutschen Sprachgebrauch weniger drastisch konnotiert wurde, aber insgesamt deutlich unter der Flagge der Kolonialisierung segelt.
Es besteht kein Zweifel daran, dass der Name “Drei Mohren” eine dunkle Phase der Zivilsationsgeschichte konnotiert, eine Phase, die nie ganz zu Ende gegangen ist und deren matter Spiegel allzu oft in die Gegenwart scheint. Naiv wirkt dagegen die Herkunftserklärung der Steigenberger Geschäftsführung, die sich auf den Heiligen Mauritius beruft, einen Kirchenmann, der dunkelhäutig gewesen sein soll und im Besitz der Heiligen Lanze – und deshalb im Mittelalter zum Schutzpatron der Kirchenheere avancierte.
Ob in Frankfurt Eschersheim, wo es um eine Apotheke geht oder die “Mohrenstraße” in Berlin, die ebenfalls ins Feuer der Kritik geriet, oder bei “Pippi Langstrumpf”, wo der “Negerkönig” zum “Südseekönig” wurde sowie in der “Kleinen Hexe” die “Negerlein” aus dem Buch gestrichen wurden: Es ist immer das gleiche Prozedere. Die Verteidiger und Inhaber der Namensrechte müssen sich weniger Kritik gefallen lassen als diejenigen, die gegen diese rassistische Sprachhülsen vorgehen. Dabei wirkt Rassismus-Kritik in den meisten Fällen, wenn auch langsam: Das Verschwinden des “Mohrenkopfes” ist bekannt. Er wurde als “Schaumkuss” wiedergeboren. Mindestens ein Vierteljahrhundert hat sich ein großer Schokoladenwarenhersteller gegen die Kritik an seinem “Mohren-Labeling” gewehrt. Nun heißt der “Sarotti-Mohr” “Magier der Sinne”.
Das Wort “Mohr” ist eine stereotype Bezeichnung. Dahinter stehen Menschen, die, wenn sie so bezeichnet werden, verletzt werden. Das ist ernst zu nehmen. Ernster als der Einwand, dass man sich gegen den Entzug der eigenen Sprache, der eigenen Welt zu wehren habe.
Foto: Eine der drei Mohrendarstellungen an der Fassade des Steigenberger Hotels © DAZ