Kommentar: Vernarbt ist nicht verheilt
Manche Wunden heilen langsam, manche gar nicht, weil man sich zu oft daran schabt. Karl-Heinz Schneider (SPD) hat in der Stadtratssitzung am Donnerstag darauf hingewiesen, dass es ihm nicht darum gehe, neue Gräben aufzureißen, sondern darum, die alten Gräben zu zuschütten. Hätte Schneider „Wunden“ als Metapher gewählt, wäre das Bild passender gewesen.
Wer Wunden behandeln möchte, muss wissen, wo sie verlaufen. Bei den Parteien der ehemaligen Regenbogenregierung ist nach knapp einem Jahr der Wahlniederlage der Verlauf ihrer Verletzungen deutlich geworden. Sie fühlen durch die Ergebnisse des Ideenwettbewerbs in ihrem damaligen verkehrspolitischen Wollen bestätigt, während die CSU damals eine ganz andere Philosophie predigte. Für Schneider und Eva Leipprand (DIE GRÜNEN) ist der Ideenwettbewerb eine Modifikation „ihrer Mobilitätsdrehscheibe“. „Wir haben damals vielleicht den einen oder anderen Schritt zu schnell gemacht, aber der ‚Augsburg Boulevard‘ war das Thema der alten Stadtregierung“, so Schneider.
Für den „Alleswisser“ (Stefan Quarg) und Initiator des Bürgerbegehrens Volker Schafitel ist dies „Geschichtsklitterung“. Wer wissen möchte, wie stark sich der Walter-Wengert-Plan für den Königsplatz von dem des Siegerentwurfs des Innenstadtwettbewerbs unterscheidet, muss nur in die Toskanische Säulenhalle gehen und die beiden Entwürfe vergleichen. Das Gleiche gilt für den „Augsburg Boulevard“. Überzeichnet gesagt: Nur die Namen sind dieselben geblieben. Der Siegerentwurf hat ein neues Kapitel aufgeschlagen. Das „Wollen des Regenbogens“ wurde radikalisiert, und zwar dergestalt, dass man nicht mehr von derselben Philosophie, sondern von verschiedenen Welten sprechen muss.
Die damalige Stadtregierung fühlt sich durch die Ergebnisse des Ideenwettbewerbs in ihrer Politik inhaltlich bestätigt. Das ist weit her geholt, wenn nicht falsch. Richtig ist dagegen, dass sich die CSU mit ihrem damaligen Wahlkampfslogan „Tunnel statt Chaos“ für eine „Schlüssel ist unter dem Fußabstreifer-Lösung“ plädierte und sich dabei nicht gerade mit Ruhm bekleckerte. Die CSU unterstützte damals die Initiatoren des Bürgerbegehrens gegen die KÖ-Pläne des Regenbogens. Eine riskante, aber richtige Entscheidung, denn ohne die „Notbremse Bürgerbegehren“ (Gerd Merkle) hätte es den Ideenwettbewerb nicht gegeben. Kurioserweise hatte sich der heutige Juniorpartner der Regierungskoalition im Wahlkampf für die schnelle Realisierung der Regenbogenpläne und somit gegen den Ideenwettbewerb eingesetzt. Doch im Grunde interessiert das heute niemand mehr. Die Schlacht ist vorbei. „Mein KÖ, dein KÖ“ war eine politische Therapiedebatte, die am Donnerstagabend ihr Ende gefunden haben sollte.
Im Diskurs um die bessere Innenstadt sollte es nur einen Sieger geben: den Bürger! Stefan Quargs Parteienschelte muss für die Zukunft richtungsweisend sein. Es geht nicht um politische Richtlinien zur „Verkehrsthematik“, sondern um eine völlig andere, um eine bessere Innenstadt, also um eine Dimension, die mit parteipolitischen Ränkespielchen nicht zu bewältigen ist. Alexander Süßmair (DIE LINKEN) hat es auf den Punkt gebracht: „Wir sollten dieses zukunftweisende Projekt gemeinsam angehen.“
Die Gräben sind zugeschüttet, die Wunden vernarbt, jetzt geht es um Augsburg. Es wird ernst. Nicht nur für den Stadtrat, sondern für alle Bürger, die sich mit ihrer Stadt verbunden fühlen. Knapp 7000 Augsburger besuchten bis heute die ausgestellten Siegerentwürfe in der Toskanischen Säulenhalle im Zeughaus. Die meisten sähen die Pläne lieber heute als morgen realisiert. Das macht Hoffnung.
Siegfried Zagler