Meinung
Kommentar: Warum Aiwanger jenseits aller parteipolitischen Erwägungen zu bewerten ist
In der Affäre Aiwanger sind Sachverhalte zu beachten, die nichts anderes als die Schlussfolgerung zulassen, dass Hubert Aiwanger so schnell wie möglich aus Amt und Würden entlassen werden muss.
Kommentar von Siegfried Zagler
Erstens hat es fast eine Woche gedauert, bis Aiwanger Worte des Bedauerns fand und sich bei denjenigen entschuldigt hat, die durch das Aiwanger-Pamphlet verletzt wurden. Diese gestern Abend getätigte zu späte Entschuldigung wirkt so, als sei sie aus taktischen Gründen nachgeschoben worden. Aiwangers Krisenkommunikation ist leicht durchschaubar: nicht mehr zugeben als nötig.
Zweitens wird in der Krisenkommunikation von Aiwanger und den Freien Wählern ein Ton angeschlagen, der die Einsicht freisetzt, dass die Freien Wähler die nationalsozialistische Rhetorik der Weimarer Republik pflegen. Der Reflex, die Veröffentlichungen zu Aiwanger als “Hetz- und Schmutzkampagne” zu bewerten, der Bierzelt und Ganovensprech Aiwangers (“niemand verpfeifen”) lässt diese Einsicht zu.
Die gesamte Kommunikation von Aiwanger und Co. zeigt, dass Aiwanger und die Freien Wähler davon ausgehen, dass die Veröffentlichungen bezüglich des antisemitischen Flugblatts parteipolitisch motiviert sind. Allein dieses Denken untermauert die These, dass die Freien Wähler mit Aiwanger den schweren Fehler begangen haben, aus den Gemeindeverwaltungen heraus den Weg in die große Politik gesucht zu haben. Verschwörungstheoretiker und völkisch Denkende repräsentieren in bundesdeutschen Parlamenten die politische Kultur vor 1945. Allein Aiwangers Satz, dass die Shoah zu parteipolitischen Zwecken missbraucht werde, katapultiert ihn in die dunkelste Ecke der Verschwörungstheoretiker.
Diese primitive Form der politischen Kultur gilt es zu isolieren. Aiwangers bodenlose Einlassungen zum Impfen und zur Flüchtlingssituation ergeben einen politischen Fingerabdruck, der im geistigen Sinn zum “Vaterlandsverräter-Pamphlet” hinführt.
Die Aussagen ehemaliger Lehrer und Mitschüler wirken demnach glaubhaft, Aiwangers Erinnerungslücken eher unglaubwürdig. Aiwanger hat sich jenseits aller politischen und parteipolitischen Erwägungen als Minister und Repräsentant des Freistaates unmöglich gemacht. Eine Person mit Einfärbungen dieser Art ist auf Regierungsebene im Jahr 2023 nicht mehr vorstellbar. Markus Söder und dem Bayerischen Landtag bleibt keine andere Wahl, als Hubert Aiwanger sich selbst und den Freien Wählern zu überlassen.