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Meinung

Kommentar zum FCA: Im Taumel der Glückseligkeit verliert man schnell den Verstand

Der FCA hat nach einer langen Durststrecke wieder das Augsburger Publikum begeistert. Am Ende wurde gegen Bayern München jeder gewonnene Zweikampf bejubelt und Rafal Gikiewicz als Held gefeiert. Neun Punkte sind den Augsburgern nun nicht mehr zu nehmen. Das ändert aber nichts daran, dass der FCA im Taumel der Glückseligkeit kühlen Verstand bewahren muss, denn die Situation bleibt weiterhin schwierig.

Kommentar von Siegfried Zagler

Vom Buhmann zum Supermann explodiert: Rafal Gikiewicz – Foto © Lina Mann

Es ist nicht gesichert, ob einer der größten Philosophen in der Geschichte des Denkens, nämlich Immanuel Kant, das antike Prinzip des ethischen Handelns vollumfassend verstanden hat. Kant verspottete das Streben nach Glückseligkeit als philosophisches Grundmuster und setzte die Kategorien der Vernunft dagegen. Mit Kants Autorität und dem Schub der Aufklärung verschwand die Ethik von Aristoteles und Co. im bedeutungslosen Nirwana der Metaphysik. Dabei hatten die Griechen vor der Eudaimonia, ein Zustand, der ins Deutsche unzureichend mit „Glückseligkeit“ übersetzt wurde, die menschliche Anstrengung gesetzt.

Was das mit dem FCA im Besonderen oder mit dem Fußball im Allgemeinen zu tun hat? Nicht wenig, besser gesagt: viel! Ziemlich viel sogar, da ein gewisser Pep Guardiola im Fußball, wie einst Immanuel Kant in der Philosophie, einen epochemachenden Paradigmenwechsel einleitete, indem er der natürlichen Struktur des Spiels etwas Künstliches entgegensetzte, das er „Ballbesitzfußball“ nannte. Die Knute der Vernunft gegen das Spiel der Leidenschaft.

„Wer dauerhaft den Ball hat, verhindert, dass der Gegner Tore erzielt“, so Guardiola, der mit seiner Fußballphilosophie zu einer Art Gottvater einer Trainergeneration wurde, zu der auch Enrico Maaßen gehört. Die Genese der guardiolischen Denkungsart hatte damit zu tun, dass er in Barcelona neben Xavi und Iniesta noch einige andere weltklasse Techniker vorfand, die im robusten, direkten und schnellen Spiel nach vorne unter ihren Möglichkeiten blieben. Guardiola hatte quasi aus der Not heraus seinem Kader ein System beigebracht, das zu ihm passte wie ein Maßanzug.

Ein System, das heute in zahlreichen Varianten und Untervarianten in allen Ligen gespielt wird – und nicht nur in seiner klassischen Form dazu führt, dass „Ballbesitz-Mannschaften“ im Ligabetrieb eher zu den erfolgreichen Ensembles gehören, was u.a. auch damit zu tun hat, dass darin Spitzentechniker am Werk sind, die handlungsschnell und wendig-kreativ sind, haargenau in jeder Situation den Ball passen können und nur selten falsche Entscheidungen treffen.

Selbstverständlich braucht es auch in diesen Teams wuchtige Abwehrriesen und humorlose Knipser. Fehlt Letzteres kann auch eine europäische Spitzenmannschaft wie Bayern München in eine Ergebniskrise schlittern. Womit wir endlich beim FC Augsburg wären.

Ein Fußballklub, wie er rätselhafter kaum sein kann. Nach dem Aufstieg in die Bundesliga entging der FCA in den ersten beiden Jahren dem Abstieg nur knapp und wurde dafür von seinem Anhang gefeiert.

Dann folgten zwei fette Jahre mit der Qualifikation für die Europa League. Danach ging es eher bergab, und zwar kontinuierlich. Womit nicht der Tabellenstand gemeint ist, sondern eine nicht erkennbare Team-Mentalität und die Instabilität des Kaders, der regelmäßig nach einem ordentlichen Auftritt einen haarsträubenden hinlegte und seine Fans von Saison zu Saison immer mehr zu Leidenden machte und teilweise sogar vergraulte. Festzuhalten ist auch, dass Manager Stefan Reuter bei den Verpflichtungen von Kreativspielern und Stürmern kaum noch ein glückliches Händchen hatte. Ballbesitz-Fußball schien mit technisch eher durchschnittlich begabten Spielern, wie sie der FCA überwiegend im Kader hat, nie eine ernstzunehmende Option zu sein.

Aus diesem Grund wurde Trainer Enrico Maaßen nach seiner ersten Pressekonferenz kurz nach seiner Verpflichtung in Augsburg mit offenen Mündern „bewundert“. Maaßen versprach, als wäre er von Bayern, Leipzig oder Leverkusen als Trainer verpflichtet worden, eine „Ballbesitz-Kultur“ als eine unverwechselbare DNA des FCA. Ganz so, als könnte er Wasser in Wein verwandeln.

In der Fußballstadt Augsburg, in der großartige Stürmer und Großtechniker wie Lehner, Biesinger, Haller, Hochstätter, Veh, Grahammer, Schuster, Hdiouad, Thurk und Bobadilla die Fußballschuhe schnürten, hatte man vom verkorksten Rumpelfußball des FCA die Nase voll – Bundesliga hin, Bundesliga her.

Maaßen versprach also genau das, was man in Augsburg hören wollte, und scheiterte damit krachend. Was gegen Stade Rennes zu erkennen war, in der ersten Hälfte gegen Freiburg zu sehen war, war gegen Mainz nur noch schablonenhaft und fragmentarisch wahrnehmbar und mündete gegen Hertha in eine Katastrophe, genauer: in einen fußballerischen Offenbarungseid. Gegen Hoffenheim spielte der FCA mit Pepi in der Startformation und niemand konnte erkennen, mit welchem System welchen Matchplan der FCA verfolgte.

Wie aber sind nun die neun Punkte zu bewerten? Hätten die Leverkusener und die Münchner nur 30 Prozent ihrer Großchancen verwandelt, hätte der FCA gegen beide Mannschaften mit vier bis fünf Toren Unterschied verloren. Ohne die kämpferische Leistung der Dreipunktespiele des FCA schmälern zu wollen, aber sechs der neun Punkte sind den Augsburgern von hoch überlegenen Mannschaften geschenkt worden.

Gestern schoss der FCA in der zweiten Halbzeit einmal aufs Münchner Tor und erzielte dabei prompt den Siegtreffer. Selten lief der Ball über mehr als drei Stationen. In sechs von den bisher sieben Bundesligaspielen war der FCA das deutlich schwächere Team. Es ist paradox, aber nicht von der Hand zu weisen: Je größer die Leistungsdifferenz zu Ungunsten des FCA, desto erfolgreicher die Punktausbeute der Augsburger. Nur die drei Punkte gegen Bremen stehen in einem verstehbaren Kontext, der sich halbwegs über Spielverlauf und Leistungswerte erklären lässt. Festhalten sollte man aber, dass in Bremen jedes Ergebnis möglich war und ein Unentschieden ein leistungsgerechteres Ergebnis gewesen wäre.

Kurzum: Würden beim Fußball die Punkte immer gerecht nach Leistung vergeben, stünde der FCA völlig zurecht nach dem 7. Spieltag zusammen mit Bochum am Tabellenende.

Dem neuen FCA-Trainer Enrico Maaßen darf man also vorwerfen, dass er den Augsburger Kader überschätzt hat und mit ihm einen Fußball spielen lassen wollte, der ihn überforderte. Dass Maaßen damit nicht gegen die Wand fuhr, hat in erster Linie mit sehr viel Glück und mit dem in allen siegreichen Spielen überragenden Torhüter Gikiewicz zu tun.

Dass Maaßen gegen Bremen die richtige Aufstellung fand, war auch dem Umstand geschuldet, dass der bis dahin gesetzte Arne Maier noch angeschlagen war. Hoch anrechnen darf man dem neuen FCA-Trainer indes, dass er seine Schnapsidee vom Augsburger Ballbesitz-Fußball aufgegeben hat und an der Bremer Aufstellung und der damit verbundenen Spielidee gegen Bayern festhielt.

Mit den rustikalen Stürmern Berisha, Niederlechner, Hahn und Demirovic wurde unermüdlich gepresst, Gruezo und Rexhbecaj sortierten das defensive Zentrum und Maximilian Bauer verteidigte im Verbund mit Gouweleeuw auf hohem Niveau, ganz stark auch Gumny, der rechts beinahe fehlerfrei wenig zuließ. Und auch mit dem Brasilianer Iago reift derzeit in Augsburg ein Außenverteidiger heran, der auch in seinem Defensivverhalten immer stärker wird. Dass Augsburgs Keeper Rafal Gikiewicz nach einer eher schwachen Vorsaison und ziemlich durchwachsenen Leistungen in den ersten Saisonspielen zu einem Torhüter-Giganten explodierte, gehört zu den spektakulärsten Geschichten der noch jungen Bundesligasaison.

Der FCA hat gegen Bremen und Bayern vieles richtig gemacht und zwei Spiele in Folge mit den Tugenden gewonnen, die man von diesem Kader verlangen und erwarten kann. Die „Maaßlos-Idee“ (so viel Kalauer darf sein) einer neuen FCA-DNA ist ausgeträumt und zu Grabe getragen.

Wohin die Reise der Augsburger in dieser Saison geht, ist allerdings noch nicht zu erkennen. Feststeht jedenfalls: Mit neun Punkten befindet sich der FCA nach dem 7. Spieltag nur drei Punkte hinter Bayern München.